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Das Phänomen „neben“ ist uns vertraut

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Das im internationalen Gebrauch stehende Wort Parapsychologie wurde 1886 von Max Odessoir, dem Autor des Werkes „Vom Jenseits der Seele“ vorgeschlagen. Die Vorsilbe para Soll zum Ausdruck bringen, daß sich diese Disziplin mit Phänomenen befaßt, die „neben“ den uns vertrauten, mit den gewohnten Kategorien unseres Weltverständnisses begreiflichen Erscheinungen auftreten oder aufzutreten scheinen. (Zitiert nach H. Bender.) Auf Grund der Initiative des britischen Physikers William Barrett wurde im Jahre 1882 in London die „Society för Psychical Research“ (Gesellschaft für psychische Forschung) gegründet.

Mitglieder .Gesellsptiäft gingem von der Annahme aus, dafö unan7 a fwriori . icht&iÄbe ’. sächliche Existenz parapsychischer Phänomene aussagen könne. Sicher wird es Menschen geben, die unkritisch hinter jedem Phänomen einen paranormalen Vorgang wittern. Widerlegt dies aber die Möglichkeit der tatsächlichen Existenz parapsychischer Phänomene? Zu allen Zeiten und aus allen Ländern tauchen immer wieder Berichte auf, die paranormale Vorgänge zum Inhalt haben. Ist da alles nur auf absichtliche oder unabsichtliche Täuschung bzw. Selbsttäuschung zurückzuführen? Die Gesellschaft für psychische Forschung wollte hier Klarheit schaffen. Dazu sammelte sie Berichte über sogenannte „spontane Phänomene“-Ahnungen, Wahrträume, Erscheinungen, und suchte sie durch Zeugenbefragungen sowie durch objektive Dokumentierungen zu sichern.

Die experimentelle Forschung

Bereits 1884 wurden von Charles Richet zur Auswertung von Tests über außersinnliche Wahrnehmung (Hellsehen und Telepathie) statistische Methoden eingeführt. Im Jahre 1917 kam es zur Veröffentlichung einer experimentellen Untersuchung über außersinnliche Wahrnehmung, die am psychologischen Institut der Stanford-Universität von Dr. John E. Coover durchgeführt wurde. 1920 wurden von den holländischen Psychologen Heymans und Brugmans nach den konventionellen statistischen Signifikanzgrenzen positiv bewertete Telepathieversuche im psychologischen Institut der Universität Groningen durchgeführt. 1927 begann die parapsychologische Forschung in Duke unter William McDougall und J. B. Rhine im psychologischen Department.

Auf Grund der statistischen Auswertung zahlreicher Versuche glaubt Rhine das Phänomen Hellsehen experimentell nachgewiesen zu haben. 1930 begann in Deutschland H. Bender, ein Schüler E. Rothackers, mit eigenen Experimenten. Er erzielte ebenfalls deutliche Hinweise auf die Existenz einer außersinnlichen Wahrnehmung. (Im Gegensatz zu den viel zahlreicheren Rhinschen Experimenten legte Bender mehr Wert auf das qualitative Moment. Er wollte vor allem die seelische Eigen-

art des paranormalen Erlebens ergründen.)

Der große Schweizer Psychiater C. G. Jung schrieb 1934 in „Seele und Tod“: „Eine objektive Sichtung und Kritik der vorhandenen Beobachtungen läßt feststellen, daß sich Wahrnehmungen ereignen, die teils so vor sich gehen, als ob es keinen Raum gäbe, teils so, als ob es keine Zeit gäbe.“

Ebenfalls in den dreißiger Jahren publizierte der britische Mathematiker Soal seine Präkognitions-(Vor- schau-)Testresultate, die extrem niedere Zufallswahrscheinlichkeiten aufzuweisen hatten. Dabei ist besonders interessant, daß von 160 ersuctapeponen diglich zwei für .dieses Resultat verantwortlich wä- j n,;- Mit den-anderen 158.Personen hätte Soal, von der statistischen Betrachtungsweise aus gesehen, nur Zufallstreffer erzielt.

1937 : Erklärung des Präsidenten des „American Institute of Mathe- matical Statistics“, in der die Methoden der statistischen Auswertung in der Parapsychologie als richtig anerkannt werden.

1948: Ein junger österreichischer Wissenschaftler, Dr. W. Daim, leistet einen originellen Beitrag zum Problem der experimentellen Traumtelepathie.

1953 wird Dr. W. H. C. Tenhaeff ein Lehrstuhl für Parapsychologie übertragen. Im darauffolgenden Jahr wird Dr. H. Bender ein Lehrstuhl für Grenzgebiete der Psychologie an der Universität Freiburg übertragen.

Eine besondere Überraschung ist die Tatsache, daß sogar russische Forscher, die doch durch die Dogmen ihrer materialistischen Weltanschauung eingeengt sind, beginnen, sich mit parapsychischen Phönome- nen wissenschaftlich auseinanderzusetzen. In Leningrad ist unter der Leitung des Physiologen Professor Wasilfew erst vor kurzer Zeit ein Institut für die Untersuchung der Telepathie eröffnet worden. Wasiljew kann sich die Telepathie zwar nur als energetisches Phänomen vorstellen, gibt aber zu, die übertragende Energie nicht zu kennen. Bemerkenswert ist ein Satz aus seinem Buch „Psychische Fernwirkung“ (Moskau, Gospolitisdat, 1962): „In der Geschichte der Wissenschaft ist es schon mehrmals geschehen, daß das Finden neuer Tatsachen, die durch das bisher Bekannte nicht erklärbar waren, die Eröffnung unvorhersehbarer Seiten des Daseins mit sich gebracht hat.“

Mit diesem kurzen Auszug aus der Geschichte der Parapsychologie dürfte aber doch schon die Beantwortung unserer anfangs- gestellten Frage gegeben sein: Die Wissenschaft Parapsychologie rechtfertigt sich als solche auf Grund ihrer exakten experimentellen Methodik, die aus der Beobachtung spontaner Fälle erwachsen ist, bzw. in diesen spontanen Fällen einen für ihre Interpretation notwendigen Realhintergrund sieht.

Analyse der Vorurteile

Ein skeptischer Sozialpsychologe definierte den Okkultismus als Metaphysik der Dummen. Solange es sich um „Okkultismus“ handelt, wird dieser Psychologe sicher recht haben. Wenn aber die Parapsychologie kritiklos mit extremen Gefühlsund Glaubenshaltungen gleichgesetzt wird, so liegt dem oft eine Abwehrhaltung zugrunde. Dazu äußert sich H. Bender: „Angesichts der vielen unerfreulichen Erscheinungen im Bereich des Okkultismus, wo in der Tat Wundersucht, Täuschung, Schwindel und phantastische Erwartungen Üf©t ie Blüten treiben, ist es verstärt&Ähf tfaß ein solches Vorurteil sich als Abwehrmechanismus einstellt und gar nicht erst zum Gegenstand kritischer Besinnung gemacht wird.“

Auf der gleichen Ebene liegt die Abwehrhaltung auf Grund der Angst, ins magische Denken der Primitiven zurückzufallen.

Häufig hört man auch die Meinung: „Paranormale Phänomene können nicht existieren, da dies dem naturwissenschaftlichen Weltbild widersprechen würde.“ Dagegen steht die Meinung führender theoretischer Physiker. So betont der kürzlich verstorbene Physiker Wolfgang Pauli, „daß erkenntnistheoretische A-priori-Gründe nicht ausreichen dürften, um die Existenz einer außersinnlichen Wahrnehmung abzulehnen“. Der Heidelberger Physiologe Hans Schaefer erklärte, daß die außersinnliche Wahrneh-

mung kein Axiom der Physik verletze, auch nicht die angebliche Prophetie. Das Vorurteil der Unmöglichkeit stammt aus einem überwundenen physikalischen Wirklichkeitsbegriff, der im Sinne der klassischen Naturwissenschaft verabsolutiert wird, als ob es keine von ihm unabhängige Erfahrungen geben könnte.

Prfipär,geht, jes aber, wie H- Bender betont, nicht um die Erklärbarkeit, sondern einzig und allein um die gesicherte Erfahrung. Bender weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß Elementarstes, nämlich die Nahtstelle zwischen Psyche und Physis, naturwissenschaftlich (noch) nicht erklärbar ist.

Es ist daher nicht verwunderlich, wenn führende, empirisch eingestellte Psychologen wie H. J. Eysenck oder P. R. Hofstätter bei aller der heiklen Materie angemessenen Vorsicht die Existenz parapsychischer Phänomene bejahen.

Ein Beweis dafür, daß das Klima um die Parapsychologie nach wie vor vorürteilsgeladen ist, ergibt sich aus der Tatsache, daß ein Wiener Psychologe im Zusammenhang mit einer Rundfunksendung erklärte, parapsychische Phänomene seien nicht bewiesen, und auch Professor Bender glaube nur daran. Abgesehen davon, daß hier Professor Bender falsch zitiert wird, selbst die kritischen Experimentalpsychologen Professor Dr. H. J. Eysenck und Professor Dr. P. R. Hofstätter weisen darauf hin, daß die Realität der parapsychischen Phänomene kaum noch bestritten werden kann. Von Wiener Fächpsychologen wird nun gerne vorgobracht, daß die Paräpsychölo- gen im Gegensatz zu den Experimentalpsychologen spekulativ arbeiten und daher unwissenschaftlich sind. Bedauerlich ist die Tatsache, daß sich diese Skeptiker auf die Professoren Dr. H. Rohracher und Dr. E. Mittenecker berufen. Gerade das Wiener Psychologische Institut unter der Leitung von Professor Dr. H. Rohracher genießt wegen seiner objektiven, exakt wissenschaftlichen Arbeitsweise einen ausgezeichneten internationalen Ruf. (Besonders die Arbeiten zur Kontrolle der Reliabilität und Validität persönlichkeitsdiagnostischer Verfahren werden hier mit größter Sorgfalt durchgeführt. Man denke nur an den hervorragend geeichten PI-Test, der von Professor Dr. E. Mittenecker und Dozent Dr. W. Toman entwickelt worden war, und der aus der psychologischen Praxis kaum mehr wegzudenken ist.) In Fragen der Parapsychologie wird das Wiener Psychologische Institut seinen Standpunkt jedoch genau abzuwägen haben, will es seinen Ruf der Objektivität und strengen Wissenschaftlichkeit wahren.

Die psycho-hygienisehe Funktion der Parapsychologie

Es gibt allerdings nicht nur Vorurteile gegen die Parapsychologie, es gibt auch Vorurteile zugunsten des Okkultismus: Hang zum Wunderbaren, magische Beziehungsstiftung, pseudo-religiöse Bedürfnisse. Hier wird der kritische Parapsychologe vor Mißbrauch des Okkulten warnen, er wird darauf hinweisen, daß telepathisch begabte Menschen, wenn sie günstig disponiert sind, paranormal die seelische Lage eines anderen erfassen können, daß jede Auskunft über die tatsächliche Situation des „Klienten“ mit der größten Vorsicht aufzunehmen ist. (Sensitive „Lebensberater“ erfassen oftmals tatsächlich nur Bewußtseinsinhalte.) Hier liegt wohl eine der größten Gefahrenquellen. Wenn man aber alles Parapsychische a priori leugnet, so schafft man jenes Vakuum, durch welches der Aberglaube erst recht einströmt. Deshalb sieht H. Bender zu recht eine der wesentlichsten Funktionen der Parapsychologie in der positiven Kritik des Aberglaubens.

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