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Veränderliche Sterne
Seit jeher galten die Sterne als Inbegriff der Unveränderlichkeit über einer rastlosen irdischen Welt, nicht nur in der Sprache der Dichter und im Empfinden des einfachen Mannes, sondern auch’ in den Augen der Wissenschaft. Einzig die altbekannten Planeten mußte man schon seit grauer Vorzeit von dem vermeintlichen Gesetz absoluter Beständigkeit ausnehmen, während man das seltene Aufflammen und allmähliche Wiederverglimmen sogenannter neuer Sterne ebenso in die „untermondige“ Welt verlegte wie Meteore und Kometen. Nur zögernd wurden seit dem 16. Jahrhundert die ersten unwiderleglichen Beweise wirklicher Änderungen auch jenseits der Planetenkreise zur Kenntnis genommen, und noch vor wenig mehr als hundert Jahren waren die Fixsterne mit veränderlicher Helligkeit, von denen hier gesprochen werden soll, seltene Kuriosa, mit denen man nicht viel anzufangen wußte, während heute ihre Erforschung zu den wichtigsten Teilgebieten der Astrophysik gehört. Hier sei einmal auf zwei Hauptgruppen von ihnen näher eingegangen, die sich vor allen übrigen durch die exakte Periodizität ihres Lichtwechsels auszeichnen.
Da sind zunächst die sogenannten B e- deckungsveränderlichen. Die Benennung gibt bereits zu erkennen, daß die wesentliche Ursache des Lichtwechsels hier .in der gegenseitigen Bedeckung oder Verfinsterung zweier Sterne zu suchen ist, die in einer nur wenig gegen den Sehstrahl geneigten Bahnebene einander umkreisen. Es ist dies also eine besondere Art von Doppelsternen, die zwar so dicht nebeneinander stehen, daß auch die besten Fernrohre sie nur als einen einzigen Lichtpunkt zeigen, die aber an der bei jedem Vorübergang des einen Sternes vor dem andern stattfindenden Verfinsterung und außerdem an der spekro- skopisch meßbaren Radialkomponente ihrer Umlaufsbewegung zu erkennen sind.
Nun ist es nicht nur möglich, auf solche Weise die Erscheinung des in seinem Verlauf sehr charakteristischen Lichtwechsels dieser Sterne zu erklären, wie bereits 1782 Good- ricke richtig erkannte, sondern man kann umgekehrt aus fortlaufenden Messungsreihen der Helligkeitsänderungen zusammen mit denen der Bewegungskomponente längs der Gesichtslinie (Radialgeschwindigkeit) in vielen Fällen sehr weitgehende Rückschlüsse auf die Eigenschaften der beiden beteiligten Sterne ziehen. Die geometrischen Verhältnisse, wie Bahngröße, Bahnform und Neigungswinkel, die Durchmesser der beiden Sterne und ihre Formänderung durch Abplattung und Gezeiten sowie ihre Rotationsgeschwindigkeit lassen sich berechnen. Man findet nicht nur, wie groß der Anteil jedes der beiden Sterne an der Gesamthelligkeit ist, sondern kann auch die physikalisch so wichtige Lichtausstrahlung pro Flächeneinheit und die von der Sonne her bekannte Abschattung nach dem Rande hin bestimmen. Mitunter ist auch die gegenseitige Beleuchtung der Teilsterne merklich. Sind Umlaufszeit und Bahngröße bekannt, so ergibt sich daraus nach dem Gravitationsgesetz auch die Masse des Systems.
Zu diesen Daten, die wir sonst in annähernd gleicher Vollständigkeit bei keinem
Stern (außer der Sonne) ohne Hypothesen aus Beobachtungen ableiten können, kommt hier noch die sogar bei der Sonne versagte Möglichkeit, gewissermaßen Einblick in den inneren Aufbau zu nehmen. Bekanntlich bewegen sich zwei Massen nach dem Gravitationsgesetz nur dann in einer genauen, ungestörten Ellipsenbahn, wenn entweder ihre Ausdehnung im Vergleich zu ihrem Abstand verschwindend klein oder wenigstens die Massenverteilung im Innern der Körper streng kugelsymmetrisch ist. Diese Voraussetzungen sind selbstverständlich bei so eng- benachbarten Doppelsternen niemals gegeben, und in einigen Fällen wurden die himmelsmechanisch zu erwartenden Störungen auch tatsächlich schon beobachtet und untersucht. Ungeachtet der großen mathematischen Schwierigkeiten einer strengen Lösung des Problems sieht man leicht die Richtigkeit folgender Überlegung ein: bei sonst völlig gleichen geometrischen Verhältnissen, die nach dem Voranstehenden bereits als bekannt angenommen werden dürfen, werden die bezeichneten Störungen um so geringer sein, je weniger Masse — grob gesprochen — auf Äquatorwulst und Flütberge der Teilsterne des Systems entfällt, mit anderen Worten, je stärker die Massenkonzentration gegen die Mittelpunkte der beiden Körper ist. So ist hier tatsächlich eine beobachtungsmäßige Kontrollmöglichkeit der Theorie des inneren Sternaufbaues gegeben.
Der Wert all dieser aus Beobachtungen gewonnenen Daten wird noch dadurch gesteigert, daß die unter den Bedeckungsveränderlichen vorkommenden verschiedenen physikalischen Typen auch sonst zahlreich unter den Sternen vertreten sind. Die gefundenen Ergebnisse dürfen demnach für ganze Klassen von Sternen als repräsentativ gelten und bilden so eine unschätzbare Grundlage für das tiefere Verständnis der Natur der Sterne im allgemeinen und für weiterreichende Fragen nach ihrer Entwicklungsgeschichte.
In vollstem Gegensatz dazu sind die nach ihrem typischen Vertreter, Delta im K e p h e u s, benannten veränderlichen Sterne (von welchen jene mit Perioden von weniger als einem Tag meist als besondere, nach ihrem Prototyp RR in der Leier bezeichnete Unter gruppe unterschieden werden) wirklich äußerst seltene, man möchte fast sagen, pathologische Fälle. Der uns nächste von ihnen befindet sich bereits in der ansehnlichen Entfernung von rund 85 Sternweiten; es ist der eine Teilstern unseres wohlbekannten Polarsterns, der bekanntlich ein spektroskopischer Duplex ist. Delta im Kepheus, der zweitnächste, ist rund doppelt so weit entfernt, und eine Überschlagsrechnung zeigt, daß im allgemeinen Sternfeld erst auf je einige hunderttausend andere Sterne e i n Veränderlicher der eben genannten Klasse trifft. In manchen kugelförmigen Sternhaufen sind sie allerdings häufiger. Erheblich größer, nämlich etwa drei bis vier auf tausend, ist ihre scheinbare Häufigkeit, weil sie infolge ihrer außerordentlichen Helligkeit noch auf sehr weite Entfernung hin sichtbar sind.
Der Lichtwechsel dieser merkwürdigen Sterne kommt dadurch zustande, daß die riesigen, unsere Sonne an Größe um ein Vielfaches übertreffenden Glutbälle „pulsieren“, das heißt ihr Durchmesser schwankt mit der Periode des Lichtwechsels um durchschnittlich etwa 10 Prozent um seinen Mittelwert hin und her, wie zuerst Ritter 1879 vermutete und spätere Untersuchungen erwiesen haben. Die damit einhergehenden periodischen Dichteschwankungen der ganzen Materie eines solchen Sterns haben wiederum bedeutende Temperaturänderungen zur Folge. Das meist relativ rasche Anwachsen und langsamere Zurückgehen der Gesamthelligkeit resultiert aus der mit der Temperatur wechselnden Ausstrahlung je Flächeneinheit zusammen mit der Größenänderung der Oberfläche selbst im Rhythmus der Pulsationen. Die Vorgänge dabei sind theoretisch weitgehend erfaßbar und liefern bei genauer Durchrechnung auch quantitativ mit den Beobachtungen befriedigend harmonierende Ergebnisse. Über die treibende Ursache der Pulsationen selbst wissen wir freilich noch nichts Bestimmtes. Doch trifft vielleicht die Hypothese das Richtige, welche in ihnen Sterne erblickt, die infolge ihrer Rotation nahe der Stabilitätsgrenze angelangt und im Begriffe sind, sich in Doppelsterne zu zerspalten. Das wäre ein, kosmogonisch gesehen, „vorübergehender“ Zustand, womit die außerordentliche Seltenheit dieses Typus begreiflich gemacht wäre.
Die besondere Bedeutung der Pulsationsveränderlichen (wie man sie kurz nennen könnte) liegt aber darin, daß durch Beobachtungen eine streng gesetzmäßige Beziehung zwischen der Periode ihres Lichtwechsels und ihrer wahren, sogenannten „absoluten“ Leuchtkraft aufgedeckt worden ist. Und zwar haben, um etwa die Extremwerte zu kennzeichnen, jene mit Perioden unter einen Tag (also die nach RR in der Leier benannte Untergruppe) rund die hundertfache Leuchtkraft unserer Sonne, während ein Pulsationsveränderlicher mit vierzigtägiger Periode so hell wäre, wie zehntausend Sonnen zusammen. Einige wenige Sterne überschreiten sogar noch die letztgenannten Werte. Nach dem bekannten Gesetz, daß die scheinbare Helligkeit einer Lichtquelle mit dem Quadrat ihres Abstandes vom Beobachter abnimmt, kann man daher von jedem Veränderlichen dieser Gattung aus dem Verhältnis der beobachteten scheinbaren Helligkeit zu seiner wahren Leuchtkraft, die man aus der Periodenlänge erschließt, die Entfernung berechnen. Damit sind die Pulsationsveränderlichen gleichsam zu Leuchtfeuern geworden, die uns, soweit man überhaupt noch einzelne Sterne unterscheiden kaffn und wo immer sie vorkommen mögen, zur Auslotung der Tiefen des Weltraumes dienen, bis hinaus zu den kugelförmigen Sternhaufen und selbst zu den „Spiralnebeln“, jenen fernen Sternsystemen, die unserer Milchstraße gleichgeordnet sind.
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