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Triumph des Verstandes —Niederlage der Vernunft

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Etwa vor Jahresfrist konnte ich an dieser Stelle über die Erfolge der Raketentechnik nach dem Start der beiden ersten Sputniks berichten. Der Aufsatz hatte vor allem in seinem letzten Teil eine Haltung, die helfen sollte, den Ueber- schwang der Weltraumfans zu dämpfen und auf die ethische Seite des ganzen Komplexes hinzuweisen. Wie ist die Lage heute nach dem erfolgreichen Start weiterer amerikanischer und russischer Satelliten und den in Richtung Mond gestarteten Raketen?

Bei einer offenen und ehrlichen Stellungnahme ist es allerdings notwendig, einige „heiße Eisen” anzufassen, die der Oėffentlichkeit (Presse, Zeitschriften usw.) nach Möglichkeit nicht gezeigt werden.

ASTRONOMIE UND KRIEGSTECHNIK

Zunächst sollte nie vergessen werden, daß es sich um eine Entwicklung der schrecklichsten aller Kriegswaffen handelt. Die Raketen sollen so gesteuert werden, daß sie möglichst zielsicher mit ihren Atomsprengköpfen ihre Bestimmungsorte erreichen. Hilfsmittel bei diesen Entwicklungen sind unter anderem die Meßmethoden der optischen und funktechnischen Astronomie. Die Himmelskunde selbst hat dabei nicht den geringsten Vorteil, ist nur ein notwendiges Hilfsmittel. Dies begann bereits während des letzten Weltkrieges, als es sich als notwendig erwies, Ferngeschosse mit Leuchtspuren, mit sogenannten photogrammetrischen Theodoliten zur Festlegung der Bahn im Raum zu vermessen. Solche Aufnahmen konnten wegen der großen Höhe der Geschosse nur des Nachts bei wolkenlosem Himmel erfolgen, und so erschienen auf den Platten auch Sternspuren, die zur Verbesserung der Methode äußerst willkommen waren. Diese Verfahren wurden in Amerika und wohl auch in Rußland mit den sogenannten Super- Schmidf-Kameras nach 1945 weiterentwickelt, wobei als Abfallprodukt für die Wissenschaft sich sehr interessante Studien über Sternschnuppen und Meteore ergaben. Beim Start jeder Rakete möchte man wissen, ob die gewünschte Geschwindigkeit bei Schluß des Raketenantriebes erreicht ist, und ebenso, wie genau die gewünschte Richtung erzielt wurde.

Schon im ersten Weltkrieg ergab sich für die Artillerie die Notwendigkeit, den Einfluß der jeweiligen Wetterlage auf die Geschoßbahnen zu berücksichtigen. Das gilt natürlich ebenso von den Raketen. So kann also jeder der bisher gestarteten Sputniks zunächst als Testobjekt benützt werden, ob die Mechanismen für Antriebsgeschwindigkeit und -richtung genügend sicher arbeiten, genügend, das heißt, um auch bei gewollter Aenderung der Startrichtung aus einem friedlichen Satelliten eine Transkontinental- oder Globalkampfrakete zu machen. Die in die Satelliten eingebauten Meßapparate sowie die wieder mit astronomischen Methoden berechneten Bahnen und ihre Aenderungen erlauben Schlüsse auf die Konstitution der Hochatmosphäre und Ionosphäre, so wie es schon um 1917 herum die militärischen Wettertrupps in den untersten Schichten der Luft für das Artillerieschießen getan haben. — Auf das zweite heiße Eisen komme ich am Schluß des Aufsatzes zu sprechen, nämlich auf die politische Propaganda.

GEOPHYSIKALISCHE ERGEBNISSE

In einem interessanten Vortrag des vergangenen Juni hatte Frau Prof. Massevitch (Moskau) in der Wiener Universität über die Sputnikbeobachtungen berichtet. Sie’ sagte unter anderem, daß diese Objekte bis heute noch nichts astronomisch Wichtiges gebracht haben. Es gebe noch keine astronomischen, sondern nur geophysikalische Raketen. Diese haben allerdings mit ihren Ergebnissen aus West und Ost ganz außerordentlich viel zur Physik der höchsten Atmosphärenschichten beigetragen. Da ich aber über das Astronomische berichten will, seien nur einige der wichtigsten geophysikalischen Ergebnisse angeführt. Vor allem handelt es sich dabei um die sogenannte van-Allen-Schicht, die in etwa 1000 Kilometer Höhe beginnt und sich anscheinend bis zu 10.000 Kilometer und mehr erstreckt. Eine aus dem Raum kommende, äußerst kurzwellige Strahlung, wird durch das Magnetfeld der Erde in dem angeführten Raum konzentriert. Sie ist so intensiv, daß ein Aufenthalt des Menschen in diesen Bereichen, auch von nur einer halben Stunde, tödliche Folgen hätte. Damit sind natürlich alle Projekte der Weltraumtechniker, eine Außenstation, die um die Erde kreist, zu errichten, ad calendas graecas verschoben.

GERINGES INTERESSE DER FACHWELT

Angesichts dieser Lage ist es nicht erstaunlich, daß die große Mehrheit der Astronomen alle Weltraumreiseprojekte kühl, ja ablehnend betrachtet. Auf dem großen Moskauer Astronomenkongreß im vergangenen August, mit rund tausend ernsten Wissenschaftlern, fand auch eine ausgedehnte Nachmittagssitzung statt, mit dem Thema; Ballons, Raketen und Satelliten. Zu Beginn der Sitzung hatten sich vielleicht 150 Teilnehmer eingefunden, die dann gegen Ende sich auf 20 reduzierten. Die meisten Kollegen hielten sich in den Wandelgängen der großen, neuen Universität auf, begrüßten einander und hatten die immer bei Kongressen so sehr fruchtbringenden wissenschaftlichen Privataussprachen. In unserer gesamten Fachliteratur ist von all diesen Dingen so gut wie nichts zu spüren, weil eben erst verschwindend geringe Neuerkenntnisse vorliegen und m a n a 1 s W i s- senschaftler über weitreichende Zukunftsprojekte nicht spricht. Das gilt auch von etwaigen Reisen zum Mond oder zu den Planeten. Eines der betrüblichsten Dinge, die man feststellen muß, sind die Unzahl von aufgebauschten oder direkt falschen Meldungen, die unsere Zeitungen, Illustrierten usw. ständig bringen. Dabei sind derartige Entgleisungen, verbreitet durch westliche Nachrichtenagenturen, etwa doppelt so häufig als solche der TASS — leider. Betrachten wir dazu als Beispiel die Mondraketen.

DIE MONDRAKETEN

Schon die primitivsten Ansätze der Himmelsmechanik zeigen, daß die Geschwindigkeit, um zum Mond zu kommen, sehr genau 11,10 Kilometer in der Sekunde sein muß. Eine Abweichung hiervon um nur 1 Promille verlagert die Erdferne der Bahn um etwa 40.000 Kilometer. Man wird aber die Genauigkeit, mit der Raketen gestartet werden können, doch wohl nur auf ein Prozent anzusetzen haben, das heißt aber, es ist fast ein Hasardspiel, überhaupt in die Nähe des Mondes zu kommen. Die Amerikaner hatten die Geschwindigkeit einige Prozent zu klein und kamen so nur auf ein Drittel der Mondentfernung; die Russen trafen sie ein Prozent zu groß und ihre Rakete verlor sich im Planetensystem, ebenso wie die der Amerikaner beim letzten Versuch. Wie der hervorragende russische Theoretiker Jegorow gezeigt hat, müßte eine Rakete, die in enger Bahn den Mond umkreisen und in größerem Abstand wieder zur Erde zurückkehren soll, eine auf 20 Zentimeter richtige Geschwindigkeit bekommen. Solange es nicht möglich ist, mit Stoß- und Bremsraketen während des Fluges auf Richtung und Geschwindigkeit Einfluß zu nehmen, bleibt also das Ergebnis einem wohlwollenden Zufall überlassen.

Die Ueberlegungen der russischen Fachleute werden etwa folgende gewesen sein:

• Die Geschwindigkeit ist etwas zu klein, dann kehrt die Rakete zur Erde zurück, kann aber während ihres Fluges durch die eingebauten Apparate viel astronomisch Interessantes melden, so wie es tatsächlich die beiden amerikanischen Versuche gebracht haben. Allerdings würde dann, in Unkenntnis der Dinge, die westlich orientierte Presse wieder losbrüllen: Auch die Russen haben den Mond verfehlt! Astronomisch wäre, dies allerdings interessanter als die zwei anderen Fälle geworden.

• Die Rakete trifft auf den Mond auf: ein politischer Propagandaschlager erster Klasse, der wissenschaftlich nahezu wertlos ist.

• Die Geschwindigkeit ist etwas zu groß — wie es der Fall war —, dann können die Meßgeräte für kurze Zeit astronomisch Interessantes herunterfunken, wonach sich die Rakete als einer der vielen Millionen von Meteoriten im Sonnensystem auf Nimmerwiedersehen verliert. Propagandamäßig kann man natürlich durchaus dann sagen, daß erstmalig ein künstlicher Planet lanciert worden sei, wobei aber das Wort Planet, ja sogar Planetoid, ganz falsch am Platz ist, denn die ungefähr drei Meter Durchmesser der Rakete sind verschwindend gegenüber den 30 Kilometern eines Planetoiden oder gar den 3000 bis mehr als 100.000 Kilometern eines der neun großen Planeten. Da hat sich die russische Propaganda überschlagen.

Erfreulicherweise hatte die russische Rakete vielartige, gut funktionierende Meßgeräte an Bord. Ohne diese wäre es zwar auch zu einem politischen Propagandaerfolg gekommen, die Rakete wäre dann aber, astronomisch gesehen, absolut wertlos. Bis zur Veröffentlichung der Meßergebnisse der Rakete, die wir Astronomen durchaus mit Spannung erwarten, kann es allerdings, wie bei jeder ernsten wissenschaftlichen Arbeit, noch Monate dauern oder auch noch mehr.

EINE ASTRONOMISCH WIRKLICH ERFOLGREICHE RAKETE

Das zeigt das Beispiel einer bescheidenen amerikanischen Rakete, die als erste und einzige bisher wirklich eine grundlegende astronomische .Entdeckung gemacht hat. Es handelt sich um eine Aerobee-Rakete, die im März 1957, also noch vor dem Start des ersten russischen Sputnik, im Senkrechtschuß auf nur- rund 150 Kilometer Höhe gebracht wurde, sich im Bereich von mehr als 100 Kilometer nur für einige Minuten aufhielt und dann abstürzte. Die Meßergebnisse dieser Rakete lagen Ende 1958 vor. In ihr waren ein Dutzend spezielle lichtelektrische Zellen eingebaut, die es ermöglichten, die Achsenrichtung der ziemlich rasch rotierenden Rakete in jedem Augenblick genügend genau festzustellen, was zur Auswertung der Messungen weiterer Apparate notwendig war. Dabei wurde vor allem die von der Sphäre kommende Strahlung im Bereich zwischen der Grenze des normalen ultravioletten Lichts und dem Gebiet der Röntgenstrahlen untersucht, das heißt im Bereich von 1300 Angström- Einheiten. Es ergaben sich für etwa die Hälfte des Himmels neun verschieden große Strahlungsfelder, die gutteils im Zuge der Milchstraße liegen, ein besonders intensives allerdings weit außerhalb. Letzteres liegt in großer Ausdehnung im Sternbild der Jungfrau, etwa konzentriert um den hellsten Stern Spika. Die Gesamtintensität in diesem schmalen Strahlungsbereich übersteigt die des sichtbaren Strahlungsbereiches der Sonne um etwa das Viertausendfache. Die zehntausendfache Stärke haben wir aber im Gebiete des Orion, der allerdings auch sonstige Strahlungen der verschiedensten Wellenlängen aufweist, wie man schon lange weiß. Im Bereich des Orjon- nebels haben wir eben die Hexenküche, in der besonders nach den Forschungen von Ambar- zumjan und Parenago, aber auch amerikanischer Forscher, auch heute noch zahlreiche Sterne im Entstehen begriffen sind oder vor kurzem (das heißt vor einer Million Jahren und weniger) sich aus den gewaltigen Gas- und Staubmassen gebildet haben. Diese Gasmassen dürften die der Sonne um etwa das Fünftausendfache übersteigen.

Von diesen Entdeckungen der kleinen amerikanischen Rakete „sang bisher kein Lied, kein Heldenbuch”. Sie sind nicht gut geeignet für Sensationsberichte, lassen sich nur mit Diagrammen und Tabellen wiedergeben, nicht aber mit irgendwelchen Photographien.

So ist alles in allem bei der Raketentechnik bis heute für die Astronomie noch wenig herausgekommen, zumal wenn man die hineingesteckten Kosten bedenkt. Eine Atlasrakete soll ja nach den Angaben von Präsident Eisenhower fast eine Milliarde österreichische Schilling kosten, wobei der Aufwand an astronomischen Beobachtungsstationen in aller Welt, ihrer nachrichtentechnischen Verbindungen usw., noch gar nicht mitgezählt sind. Da kann man nur hoffen — worauf unter anderem der führende deutsche Sonnenphysiker, Prof. Kiepenheuer, hingewiesen hat —, daß noch viele der kleinen, billigen Raketen gestartet werden, wie das angeführte Beispiel zeigt. Oder aber auch man startet echte astronomische Satelliten, das heißt solche, die sich zwischen 40.000 und 100.000 Kilometer Distanz um die Erde bewegen und dies auf Jahrzehnte, ja vielleicht Jahrtausende tun können. Ihre Beobachtung und die Sendungen ihrer eingebauten Apparate würden uns viel mehr Erkenntnisse bringen als jede Mondrakete. Uebrigens eine Anregung, die Frau Professor Massevitsch bei ihrem Wiener Vortrag gegeben hat.

RAKETEN UND POLITIK

Leider sind vorab die Raketen, auch die zum Monde, in erster Linie Mittel der politischen Propaganda. Es ist auch nicht bekannt geworden, welchem wissenschaftlichen Zweck der am 19. Dezember 1958 gestartete amerikanische Satellit diente. Entgegen den ersten Propagandameldungen ist das Gewicht seiner eingebauten Geräte geringer als der des ersten Sputnik. Daß die Amerikaner darin die Russen übertroffen haben sollen, war einfach eine Propagandafehlmeldung. Aber was sollte er sonst? Die Ansprachen Eisenhowers in aller Welt bekanntgeben? Das kann man doch viel einfacher haben mit der sonstigen modernen Nachrichtentechnik. In wie viele Länder der Erde wurden z. B. die Krönungsfeierlichkeiten Papst Johannes XXIII. in Direktsendung übertragen. Wohl hat die amerikanische Rakete bewiesen, daß dort die Militärs auch in der Lage sind, eine globale Kampfrakete irgendwohin auf die Erde zu schießen — mit welcher Treffsicherheit, sei dahingestellt.

Es mehren sich aber Stimmen wie die des deutschen Nobelpreisträgers und Atomforschers Max Born: „Vorläufig handelt es sich um einen Triumph des Verstandes und eine Niederlage der Vernunft.” Ihr hat sich ein anderer Nobelpreisträger dem Sinn nach angeschlossen, nämlich der englische Philosoph Bertrand Russejll. Unser Bundesrat und bekannte Atomphysiker Professor Dr. Hans Thirring hat gleichfalls in einer in Amerika erschienenen Schrift auf die physikalische Unmöglichkeit vieler Weltraumreiseprojekte hingewiesen. Wir können nur hoffen, daß, auf die Dauer gesehen, doch die Vernunft über den Verstand den Vorrang bekommt.

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