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Der Schrecken im Weltall

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Über die friedlichen Absichten von „Sojus 6, 7 und 8“ lassen die Sowjets keinen Zweifel aufkommen; das Großkommando im Raum soll schon demnächst mehr Wissenswertes zur Erde funken, als die Kurzbesuche der Astronauten mit dem Sternenbanner am Revers oder dem Sowjetstern an der dicken Schutzjacke vermitteln konnten. Denn der wissenschaftlich wertvollste Raumflug der Russen dient dem „fliegenden Laboratorium“, das schon 1972 Wirklichkeit werden könnte.

Und doch ist die auch .in der Sowjetunion selbst stets mit einer Aura des Geheimnisvollen umgebene Raumfahrt Anlaß von Spekulationen:

• erstens ist die Raumfahrt seit dem ersten Start des „Sputnik“ eine Prestigefrage für die beiden Supermächte; daher auch diesmal;

• und anderseits war und ist bis heute der militärische Zwecknutzen im Vordergrund gestanden.

Was nach dem ersten Räumfahrterfolg der Sowjets am 4. 10. 1957 Amerikas politische und militärische Führung wirklich schockte, war die Tatsache, daß die Sowjets über so schuibstarke Raketen verfügten, daß sie einmal Weltraumprojektile, ein anderesmal aber Atomsprengköpfe tragen könnten.

Seither haben die USA aufgeholt. Die „Raketenlücke“ ist geschlossen. Und doch zweifeln die Experten, daß ein generelles „Gleichgewicht“ tatsächlich hergestellt sei. Zumindest in bezug auf die Raumfahrt ist das, was die Sowjets über die Amerikaner wissen, wahrscheinlich erheblich mehr als umgekehrt. Einfach deshalb, weil sich die Sowjets nur in den Lehnstuhl petzen und die Vielzahl amerikanischer Fachschriften zu lesen brauchen, die sehr offenherzig auch konkrete Details wiedergeben. Überdies haben die Satelliten, verbunden mit der Infrarotphotographie, die ganze Kunst militärischer Tarnung revolutioniert. Denn die USA-Satelliten haben bereits längst jeden Quadratmeter Sowjetboden erkundet (Details von 30 Zentimetern können aus einer Höhe von 480 Kilometern klar erkannt werden); und die ICBM- Alarmsatelliten (auch als „Midas“ bekannt) können jeden Raketenstart auf Grund der Hitzeentwicklung in Sekundenbruchteilen feststellen und mitteilen.

Die Sowjets haben seit Beginn ihres Raumfahrtprogrammes dutzende sogenannte Cosmos-Satelliten mit Neigungswinkeln von 65 und 51 Grad zum Äquator losgeschickt. Sie funkten alle Details über die Erdoberfläche der nichtrussischen Welt zur Erde oder kamen mit voller Speicherung als sogenannte Achttage-Satel- liten zur Erde zurück. Aber mit diesen Raumfahrzeugen wurden auch militärische Versuche durchgeführt. Bald werden es 200 Cosmos-Satelliten sein, die die Erde umkreist haben. Mindestens 50 Prozent von ihnen hatten einen militärischen Zweck.

Als die Sowjets die KY-56-Satelliten vom Kapustin-Jar-Kosmodrom nahe der Wolga starteten,, wußte auch das Pentagon, daß diese Satelliten zumindest Trägermöglichkeiten für Weltraumbomben besaßen: in ihrer Wirkung aber waren die KY 56 noch dadurch erhöht, daß fünf von ihnen von einer einzigen Rakete in den Himmel geschossen werden konnten. Gegen Bomben aus dem Raum sind die traditionellen.. Vorwarnsysteme nutzlos — wiewohl weder die Sowjets noch die Amerikaner derzeit auch lückenlose Schutzschilder gegen ballistische Raketenangtiffiė besitzen. Wer allein Raumbomben besitzt, hätte einen unschlagbaren Vorsprung. Jederzeit könnten auf jeden beliebigen Punkt der Erde Atombomben abgelassen werden, die nur mit der halben Vorwarnzeit registriert und praktisch nicht abgefangen werden können. Die Drohung wäre nicht geringer, als hätte Hitler unter ganz Frankreich Tunnels errichtet, um Sprengladungen jederzeit hochgehen zu lassen, wie William Shelton, einer der besten westlichen Kenner der sowjetischen Raumfahrt, meint.

1966 67 haben die Vereinten Nationen einen Vertrag abgeschlossen, demzufolge im Weltraum keine Massenvernichtungswaffen stationiert werden dürfen und demzufolge der Weltraum nicht zum Manöverfeld irdischer Militärverbände werden darf.

Abgesehen vom utopischen Konzept bezog sich der Vertrag nicht auf bereits kreisende Himmelskörper; und überdies gibt es noch keine Prü- funigs- und Kontrollmöglichkeiten und -Instanzen, die den tatsächlichen Inhalt von kreisenden Körpern prüfen.

So weiß niemand, was der militärische Hintergrund der sowjetischen Raumpläne ist; niemand kann wirklich verbindlich feststeiler» ob und wie die Sowjet? (aber auch die Amerikaner) den Weltraum in ihre strategischen Überlegungen einbeziehen. Feststeht nach der Mondlandung der USA und nach dem Großmanöver der Sojus-Schiffe lediglich: das „Gleichgewicht des Schreckens“ umgreift auch das Weltall. Beide Supermächte sind zur militärischen Benützung des Weltraums technisch in der Lage. Und beide haben — Gott sei Dank — davor auch Angrt.

Nicht umsonst erzählt man sich in Moskau die Anekdote: „Was soll ich tun, wenn es einen nuklearen Angriff gibt?“ „Zieh dir ein Leintuch über den Kopf und fang an, ganz langsam dem nächsten Friedhof zu- zugehen.“

„Warum langsam?“

„Damit du auf der Straße keine Panik verursachst“

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