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Religion und Weltraumrecht

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Die ungeheure Dynamik, welche die Entwicklung der Naturwissenschaften und der Technik in den vergangenen 200 Jahren, besonders aber seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, kennzeichnet, hat die innere Spaltung des einst geschlossen und harmonisch denkenden abendländischen Menschen beschleunigt. Dieser Prozeß nahm aber schon damals seinen Anfang, als sich die durch den christlichen Glauben in einem bestimmten Sinn geistig orientierte abendländische Menschheit vom Reichsgedanken des Mittelalters abwandte, und die Idee, daß alle Nationen von Rechts wegen dem Kaiser unterstehen, allmählich durch den nationalstaatlichen Gedanken abgelöst wurde.

Mit der Entdeckung Amerikas vollzog sich im Bewußtsein der abendländischen Menschheit ein gewaltiger Wandel, welcher bis heute nicht zum Stillstand gekommen ist. Hatte die Kenntnis vom Vorhandensein eines neuen Kontinents die Vorstellungen des abendländischen Menschen grundlegend geändert, so wurden diese Vorstellungen noch durch verschiedene Erfindungen weiter gewandelt. Hierzu gehört vor allem die Erfindung von Luftfahrzeugen, weil sie es dem Menschen ermöglichte, aus der Fläche in die dritte Dimension vorzustoßen. Dem Menschen, der an ein Leben in der Fläche gebunden war — und sei diese Fläche auch gekrümmt —, mögen gewisse Gedanken gar nicht gekommen sein, welche ein Aufsteigen in die dritte Dimension mit sich bringt. Denn neue Wahrnehmungen durch die Sinne bilden einen gewaltigen Ansporn für neue Gedanken, besonders bei der großen Masse, welcher abstrakte Ideen wesentlich ferner liegen als ein Denken, das durch unmittelbare sinnliche Eindrücke beeinflußt wird.

Dieser Vorstoß in die drjtte. Djmensj&n w#r4e;:rfijunj,dirch di^rFofittcfeWe 4wi Ra^tent^nik mit ejrftm^chJag stark vergrößert. Während Ballons oder propellergetriebene Luftfahrzeuge ihre natürlichen Grenzen in der Auftriebskraft der Luft finden, so daß die Erhebung oberhalb der Erdoberfläche im Vergleich zum Erdumfang verhältnismäßig sehr gering mißt, ist eine Grenze der Raketenraumfahrt vorläufig nicht bekannt. Theoretisch ist der Raumfahrt eine Grenze nur durch die Zeit gesetzt, nämlich durch die Lebensdauer des Menschen, der sich mittels eines Raumfahrzeuges bewegt.

Mit dieser Entwicklung der physikalischen und technischen Wissenschaften kann das gesellschaftliche und politische Leben der Menschen nicht Schritt halten und bleibt zurück. Dadurch vergrößert sich die Spannung, und der einst geistig geschlossene abendländische Mensch wird innerlich zerrissen. Dies gilt in gleicher Weise für alle Völker, die sich mit den technischen Errungenschaften vertraut machen, für manche Völker vielleicht in noch stärkerem Ausmaß. Es bilden sich Spannungen zwischen den herkömmlichen Lebensanschauungen und Lebensgewohnheiten auf der einen Seite und der durch die Anwendung der Technik geschaffenen Lage auf der anderen Seite. Weil die Lebensformen von der Religion stark beeinflußt sind, werden damit auch unmittelbar Fragen des religiösen Glaubens auf das tiefste berührt.

Nach den Vorstellungen vieler Religionen bildet der Himmel ein Reservat der Gottheit, zu welchem dem Menschen zu seinen Lebzeiten der Zutritt versagt ist. Der Himmel ist der Raum außerhalb der Erde. In Vorstellungen, welche die Erde als eine Hache ansehen, ist dies der Raum oberhalb der Erde. Eine starke Erschütterung des bisherigen Glaubens mag es bedeutet haben, als die Kugelgestalt der Erde bekannt wurde und man daher von einem Raum oberhalb der Erde nicht mehr sprechen konnte.

Im Christentum sind Himmel und

Hölle nicht als Örtlichkeiten aufzufassen. Es wird zwar behauptet, daß der Jenseitsglaube der Bibel und der mittelalterlichen Kirche überwunden sei, weil dem ein Weltbild zugrunde liege, das heute nicht mehr als richtig anerkannt wird und insbesondere die Erde nicht im Mittelpunkt der Welt steht, über der sich der Himmel wie ein Gewölbe ausbreitet. Auch aus dem Apostolischen Glaubensbekenntnis, „abgestiegen zur Hölle, aufgefahren zum Himmel“, würde diese überholte Einstellung hervorgehen, welche lange Zeit hindurch wörtlich verstanden worden sei, so daß auch behauptet wurde, der christliche Gottesglaube sei mit dem naturwissenschaftlichen Weltbild auf das engste verbunden. Dies ist aber nicht richtig. Himmel und Hölle sind nciht im räumlichen Sinn zu verstehen.

Schon in der Offenbarung des Johannes deckt sich die Vorstellung vom Jüngsten Gericht nicht mit dem ägyptisch-griechischen Weltbild. „Und ich sehe einen neuen Himmel und eine neue Erde, denn der erste Himmel und die erste Erde waren vergangen, und das Meer ist nicht mehr.“ Bei Cyrill von Jerusalem heißt es: „Die Sterne und die Himmel gehen wie wir selbst einem Sterben entgegen, aber auch einer Auferstehung.“ Diese Idee eines ewigen Wandels entspricht durchaus modernen wissenschaftlichen Auffassungen und geht über die Auffassung einer aus drei Stockwerken bestehenden Welt — Himmel, Erde und Unterwelt — weit hinaus. Im 15. Jahrhundert hat der Kardinal und Philosoph Nikolaus von Kues die Unendlichkeit der Welt gelehrt.

Nun leben allerdings im Glauben der großen Masse des Volkes alte Vorstellungen lange fort und vererben sich von einer Generation auf die andere. Das gilt auch von der Vor-

Stellung, daß der Himmel der Raum außerhalb der Erde sei. In diesen dringt der Mensch ein und unternimmt es, dort seine Rechtsordnung einzurichten, die allerdings religiöse Fragen nicht berührt. Eine Beziehung zur Religion besteht aber in jenem Ausmaß, wie dies für das Völkerrecht im allgemeinen gilt, da große Teile des Weltraumrechtes dem Völkerrecht angehören. Die Weltraumjuristen in vielen Ländern der Erde haben im Laufe der letzten Jahre die wesentlichen Rechtsprobleme aufgezeigt, welche einer Lösung bedürfen. Es sei insbesondere auch an die Tagung der Grotiusstiftung vom Jahre 1958 erinnert, welche dem Weltraumrecht gewidmet war. Auch die Vereinten Nationen haben einen Ausschuß gebildet, der sich mit solchen Fragen beschäftigt. Auch die International Astro-nautical Federation ist auf diesem Gebiet sehr tätig. Welche sind nun die Rechtsprobleme, mit denen sich die Juristen vorwiegend zu befassen haben?

Im Mittelpunkt der Erörterungen steht die räumliche Grenze der staatlichen Souveränität. Darüber, daß die Hoheitsrechte des einzelnen Staates nicht unbegrenzt in den Weltraum reichen können, besteht Übereinstimmung. Angesichts der Drehung der Erde müßte sich eine ins Ungemessene reichende Zone im Weltraum ständig verschieben. Im einzelnen schwanken aber die Ansichten der meisten Autoren etwa zwischen einer Höhe von 50 Kilometern und einer solchen von mehreren hundert Kilometern oberhalb der Erdoberfläche. Bezüglich der Rechtsgrundsätze, welche im Weltraum gelten sollen, wird der Vorschlag gemacht, die Prinzipien, welche für die hohe See bestehen, auch auf den Weltraum anzuwenden, obwohl ein Unterschied besteht. Schiffe auf hoher See stellen normalerweise keine Gefahr für ein T and dar. während Weltraumfahr-Teuee oder Satelliten die Länder, über deren Territorium sie hinwegfliegen, gefährden können. Sehr interessant ist auch die Frage, ob Spionage aus dem Weltraum möglich ist oder ob Beobachtungen aus ihr rechtlich zulässig sind. Weitere Rechtsfragen betreffen die Freiheit der Forschung im Weltraum und ihre Nutzbarmachung sowie die Zuteilung der Radiowellenlängen an Erdsatelliten, Raumfahrzeuge oder Raumstationen, die Haftung für Schäden, welche durch Satelliten und Raumfahrzeuge verursacht werden sowie die Unschädlichmachung von Erdsatelliten, welche der Erde so nahe kommen, daß sie eine Gefahr für die Luftschiffahrt bilden. Von Bedeutung ist ferner die Identifizierung und Registrierung von Raumfahrzeugen aller Art, die Einführung eines internationalen Inspektionssystems und anderes.

Seinen bisherigen Höhepunkt hat das Rechtsproblem der Beherrschung eines Teiles des Weltraumes durch den Menschen durch die Frage erreicht: „Wem gehört der Mond?“ Diese Frage ist zu weit gefaßt und ebensowenig berechtigt wie etwa die Frage „Wem gehört die Erde?“ Es kann sich höchstens darum handeln, an kleinen Teilen der Mondoberfläche und gewissen zugänglichen Teilen unter ihr Ausschließlichkeitsrechte zu begründen.

Wie dem auch im einzelnen sei, dadurch, daß der Mensch sich anschickt, in einen vorläufig nicht begrenzten Raum außerhalb der Erde vorzustoßen und dort sein eigenes Recht zu setzen, gerät sein Verhalten in einen gewaltigen Gegensatz zu manchen bisherigen Vorstellungen, deren Bedeutung nicht unterschätzt werden darf. Da der Mensch nur allzu leicht dazu neigt, Vorstellungen über Gott mit Gott selbst zu verwechseln, führt dies vielfach zu einer Absage an jeden Glauben an Gott. Die tatsächlichen Verhältnisse, wie sie in vielen Ländern der Erde herrschen, beweisen die Richtigkeit dieser Ansicht. Der innerlich gespaltene Mensch, welcher seine Orientierung verloren hat und diesen Widerspruch nicht zu überbrücken vermag, wendet sich von jedem Glauben an Gott ab. Durch die bloße Verdammung eines solchen Verhaltens Wird an den Tatsachen nichts geändert. Geräöezu keiinzeichiierfd für diesen Widerspruch zwischen religiösen Vorstellungen und den durch das Eindringen des Menschen in den Weltraum geschaffenen Gegebenheiten bildete die Mitteilung in einer sowjetrussischen Zeitung, die vor nicht langer Zeit erschienen ist; in ihr hieß es, daß Zusammenstöße zwischen Satelliten und Engeln bisher nicht festgestellt werden konnten; daraus gehe hervor, daß es keine Engel gibt.

Nun darf aber nicht übersehen werden, daß der Mensch, der in den Weltraum vordringt und den Versuch unternimmt, in einem kleinen Teil desselben sein Recht zu verwirklichen, trotz allem seiner eigenen Natur treu bleiben muß. So wie er sich auf der Erde den Naturgesetzen beugen muß, so ist er auch an die Naturgesetze, die im Weltraum gelten, gebunden. Die von ihm geschaffenen Gesetze müssen sich den Erfordernissen der Natur anpassen, da sie ansonsten keinen Bestand haben können. Nur soweit sein Wille frei ist, das heißt, soweit er nicht durch sinnliche Bestimmungsgründe zum Handeln genötigt wird, steht er außerhalb der Kausalprinzipien der Welt. Das gilt aber für den Menschen unabhängig davon, wo er sich befindet. Zufolge dieser Willensfreiheit vermag der Mensch die Naturkräfte in gewissem Ausmaß umzuwandeln und für seine Zwecke nutzbar zu machen, aber erschaffen kann er sie nicht. Und hierin liegt der entscheidende Punkt. Das Geheimnis der Schöpfung bleibt bestehen. Die modernen Naturwissenschaften maßen sich auch gar nicht an, die Welt ergründen zu wollen. Sie begnügen sich damit, bestimmte Vorgänge zu begründen. Sie vermögen uns vieles verständlich zu machen, ohne aber die letzte Frage nach der Schöpfung überhaupt zu berühren. Die Äußerlichkeiten, welche viele Religionen aufweisen, stehen wohl in zahlreichen Fragen im Widerspruch zu den Entdeckungen der Wissenschaft. Dies besagt aber nichts über den Kern, der jeder Religion zugrunde liegt. Vielleicht bewirkt gerade die Erweiterung des Raumes, in den der Mensch eindringt, auf der anderen Seite eine Verinnerlichung, welche manche herkömmliche religiöse Vorstellung nur um so deutlicher als Sinnbild erscheinen läßt, ohne aber das Wesen des Glaubens zu berühren.

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