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Achtung! Achtung! Testwarnung!

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Attention! Geophysical Year Warning! Alert starts immediately … Diese erregende Alarmmeldung geht seit Jänner 1957 zwischen dem 10. und 16. eines jeden Monats versuchsweise über das Nachrichtennetz des Weltwetterdienstes. Es handelt sich um Testsendungen für das am 1. Juli 1957 beginnende und achtzehn Monate lang dauernde Internationale Geophysikalische Jahr (abgekürzt IGY = International Geophysical Year), die von der IGY-Warn- zentrale in Fort Belvoir, USA, ausgegeben werden und Beginn, Fortsetzung oder Ende von Zeitabschnitten erhöhter Aufmerksamkeit angeben. Die Meldung wird an den Versuchswarntagen um 16 Uhr Greenwicher Zeit über das inländische meteorologische Fernschreibnetz der USA nach New York, Miami und San Franzisko übermittelt. Von New York wird sie um 16.12 Uhr mittels Funks über den Nordatlantik nach London weitergegeben. Um 16.30 Uhr strahlt Sender London die Alarmmeldung den subkontinentalen Fernschreibzentren des europäischen und nordafrikanischen Wetterdienstes, Frankfurt am Main, Rom, Moskau, Ankara, Kairo und Dakar zu, von welchen die Meldung übernommen und nach einem genau festgelegten Plan Weitergegeben wird. Kairo muß z. B. die um 16.30 eingehende Alarmmeldung bis 17 Uhr an seine regionalen Stationen weitergegeben Jmben. Um 17.20 Uhr wird die Meldung von Kairo weiter an Neu-Delhi übermittelt, von hier um 19 30 Uhr weiter an Manila, von hier um 20.30 Uhr an Tokio und um 21 Uhr an Canberra und von hier schließlich um 21.30 Uhr nach Neuseeland.

Wir kehren zurück nach Frankfurt am Main, wo die Warnmeldung um 16.30 Uhr von der Wetterfunkstation London eingetroffen ist. Die Meldung wird bis 17 Uhr über das mitteleuropäische Fernschreibnetz (Wetterring) verbreitet, an das auch die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik in Wien, Hohe Warte, angeschlossen ist. Die z. B. am 13. März 1957 von der IGY-Warnzentrale in Fort Belvoir, USA, um 16 Uhr ausgegebene Warnmeldung traf in Wien um 16.43 Uhr über Wetterring von Frankfurt am Main ein.-:S?&; Jfätte :4o1e6b letf Wortlaut: „AGT GEOPHYSICAL YEAR WARNING NUMBCR EIGHTEEN ALERT STARTS IMMEDIATELY 13/ieoo Z.”

AGI bedeutet Anmfe Geophysique Internationale und stellt die Kennung der Warnmeldung dar, die ins Deutsche übersetzt lautet:

„AGI-TESTWARNUNG NUMMER ACHTZEHN FÜR DAS GEOPHYSIKALISCHF JAHR. DER ZUSTAND ERHÖHTER AUFMERKSAMKEIT BEGINNT AM 13. DES MONATS UM 16 UHR GREENWICHER ZEIT.”

Die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik hat die Verpflichtung, diese Meldung sofort nach ihrem Eintreffen an folgende Stellen weiterzuleiten: 1. Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen, 2. Physikalisches Institut der Universität Innsbruck, 3. Institut für Meteorologie und Geophysik der Universität Graz, 4. Sonnenobservatorium Kanzelhöhe.

An diesem Beispiel der Uebermittlung einer Testwarnung vor Beginn des IGY kann die globale wissenschaftliche Zusammenarbeit und die Präzision der bis in letzte Einzelheiten reichenden Vorbereitungsarbeiten für dieses bisher größte wissenschaftliche Projekt, wie es das IGY darstellt, ermessen werden.

Der Gedanke, die Erde als gemeinsames Forschungsziel aller Länder der Erde meteorologisch und geophysikalisch zu untersuchen, stammt von dem österreichischen Polarforscher Leutnant der k. u. k. Marine Karl Weyprecht (1838 bis 1881), dem Entdecker des Franz-Joseph-Landes. Sein Plan, den er 1879 beim Internationalen Meteorologenkongreß in Rom darlegte, zielte vor allem darauf ab, die Polarkalotten der Erde, über deren meteorologische Verhältnisse damals noch wenig bekannt war, genauer zu erforschen. Die Vorgänger des heutigen „geonhysikalischen Jahres hießen daher „Polarjahre”.

Das erste Internationale Polarjahr wurde 1882/83 durchgeführt. Es kam erstmals eine gToße internationale Zusammenarbeit zustande, der es gelang, durch 13 Monate hindurch eine größere Anzahl von Beobachtungsstationen in der Arktis und Antarktis zu betreiben. Nach einem vorher aufgestellten Programm wurden von diesen Stationen Beobachtungen über meteorologische Erscheinungen, über Erdmagnetismus, Nordlicht und andere geophysikalische Phänomene angestellt. Diese Beobachtungen lieferten ein einzigartiges Material, das zu einem sprunghaften Zuwachs unseres Wissens über die meteorologischen und geophysikalischen Verhältnisse in den Polarzonen führte.

Das Zweite Internationale Polarjahr wurde 1932/33 abgehalten, also genau 50 Jahre später. In der Erinnerung an die bedeutenden Ergebnisse des ersten Polarjahres wurde der neue Plan von allen naturwissenschaftlichen Kreisen mit großer Begeisterung aufgenommen. Zwischen den beiden internationalen Jahren hatte sich der Horizont des meteorologischen und geophysikalischen Wissens wesentlich erweitert. Im zweiten Polarjahr wurden nun auch Erscheinungen in der Ionosphäre’ untersucht. In meteorologischer Hinsicht erweiterte man die Untersuchungen durch Vornahme aerologischer Messungen (Höhenmessungen in der freien Atmosphäre). Die Ergebnisse auch des zweiten Polarjahres waren so bedeutend, daß man nun in wesentlich kürzerem Abstand das nächste wissenschaftliche Forschungsjahr ansetzte.

Seit dem zweiten Polarjahr und besonders seit dem zweiten Weltkrieg haben die Beobachtungsund Untersuchungsmethoden sehr beachtliche Fortschritte gemacht. Es genügt wohl der Hinweis auf Radiosonde, Radar und Rakete, um sich die in den letzten Jahren erreichten Fortschritte zu vergegenwärtigen. Diese Erfindungen und die mit ihrer Hilfe gänzlich neuartigen Untersuchungsmethoden haben umwälzende Entwicklungen in den geophysikalischen Wissenschaften hervorgerufen, vor allem deshalb, weil es nun schon möglich geworden ist, die bisher unzulänglichen höheren atmosphärischen Bereiche der Forschung aufzuschließen. Diese Gründe ließen es nicht zu, das hundertjährige Jubiläum des ersten Polarjahres abzuwarten, sondern gaben Anlaß, bereits seinen 75. Geburtstag auszunützen. Dazu kommt noch der außerordentlich günstige Umstand, daß 1957/58 die Sonnenfleckenaktivität ein Maximum erreichen wird, während im vergangenen internationalen Jahr die solare Aktivität gerade ein Minimum aufwies. Für jene Phänomene, die von der Sonnenaktivität stark beeinflußt werden, wie z. B. magnetische Stürme, Polarlichter, Veränderungen in der Ionosphäre und die damit zusammenhängenden Störungen der Ausbreitung von Radiowellen werden sich interessante Vergleichsmöglichkeiten ergeben.

In einer Sitzung der Internationalen Kommission für Ionosphärenforschung im Juli 1950 wurde der Plan eines dritten internationalen Forschungsjahres für 1957/58 angeregt. Nach eingehenden Beratungen wurde für dieses große Forschungsprojekt, die Bezeichnung International Geophysical Year (IGY) = Internationales Geophysikalisches Jahr gewählt, da es notwendig geworden ist, die Beobachtung von meteorologischen und geophysikalischen Phänomenen nicht nur über den Polarkalotten durchzuführen, sondern über die gesamte Erde auszuweiten. Im Oktober 1952 konstituierte sich ein spezielles Komitee (Special Comittee for the International Geophysical Year = SCIGY) für alle Fragen des am 1. Juli 1957 beginnenden und am 31. Dezember 1958 endenden IGY.

In fast allen Ländern der Erde wurden nationale Komitees für die Vorbereitung und Durchführung des IGY gebildet. In Oesterreich übernahm die Geophysikalische Kommission der Oesterreichischen Akademie der Wissenschaften diese Arbeiten.

Das SCIGY gab als allgemeine Richtlinie bekannt, daß das Beobachtungsprogramm für das IGY unter Berücksichtigung der zu lösenden, die Erde als Ganzes umfassenden Probleme, aber auch unter sorgfältiger Beobachtung örtlicher Interessen erstellt werden soll. Ferner wurden Arbeitsgruppen für die Erweiterung des meteorologischen Beobachtungsnetzes, Festsetzung weltmeteorologischer Tage und Intervalle für Meteorologie, Erdmagnetismus, Nordlicht und Nachthimmelslicht, Ionosphäre, Sonnenaktivität, kosmische Strahlung, Glaziologie und Klimaschwankungen, Ozeanographie und IGY-Publikationen eingerichtet.

In dem über die ganze Erde ausgebreiteten meteorologischen Beobachtungsnetz gibt es noch immer große Lücken. Vor allem fehlen in den Polar- und Wüstengebieten sowie auf den Weltmeeren ständige und kontinuierlich arbeitende Beobachtungsstationen. Besonders unzulänglich ist das meteorologische Beobachtungsnetz in niedrigen Breiten, vor allem über den äquatorialen Meeresgebieten. In diesen Teilen der Erde gibt es bedeutend mehr Lücken als im Stationsnetz der Arktis und Antarktis. Auch im chinesischen Raum sind derzeit noch weite Gebiete ohne jede meteorologische Kontrolle. Endlich gibt es auch auf dem Pazifischen Ozean und auf dem Atlantik, abseits der südamerikanischen Küste, weite Gebiete, in denen keine einzige aerologische Station (Radiosondenmeßstelle) vorhanden ist. Ebenso gibt es einige Lücken zwischen der Südafrikanischen Union und Britisch- Kongo, ferner im Nordosten des südamerikanischen Kontinents.

Da es in den erwähnten Teilen der Erde praktisch nicht möglich ist, ständig Beobachtungsstationen zu betreiben — einerseits, weil es unmöglich ist, dort dauernd zu leben, und anderseits, weil es die hohen Einrichtungs- und Erhaltungskosten verbieten —, ergibt sich die zwingende Notwendigkeit, periodische meteorologische bzw. geophysikalische Forschungskampagnen durchzuführen. Für diese wissenschaftlichen Feldzüge werden Expeditionen ausgerüstet und in die sonst für den Menschen unzugänglichen Erdteile ausgesandt. Dies ist der einzig gangbare Weg, um Beobachtungen aus allen Teilen der Erde zu erlangen, die unbedingt erforderlich sind für eine Beschreibung globaler Phänomene.

Oesterreich beteiligt sich an den Maßnahmen zur Schließung der Lücken im Beobachtungsnetz durch die Entsendung zweier österreichischer Wissenschaftler, die auf vorgeschobenem Posten ein wichtiges Arbeitsprogramm durchzuführen haben. Der an der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik in Wien tätige Meteorologe Dr. Norbert Unter- Steiner erhielt von der Amerikanischen Akademie der Wissenschaften den Auftrag, an einer auf dem Packeis des Nordpolgebietes, Standort 80 Grad nördlicher Breite und 180 Grad Länge einzurichtenden meteorologischen Station Messungen über den Wärmehaushalt an der Eisoberfläche durchzuführen. Eine ähnliche Aufgabe erhielt auch Universitätsprofessor Dr. Herfried H o i n k e s, Universität Innsbruck, auf Little America in der Antarktis.

Für jeden Monat im IGY wurden von der zuständigen Arbeitsgruppe drei sogenannte „reguläre Welttage” festgelegt. Zwei dieser Welttage wurden zur Zeit des Neumondes ausgewählt, der dritte Welttag fällt in Zeitabschnitte mit ungewöhnlicher Meteorhäufigkeit, Außerdem wurden zehntägige Perioden, sogenannte „weltmeteorologische Intervalle’ festgelegt, die für die einzelnen Jahreszeiten repräsentativ sind. Insgesamt sind sieben Weltintervalle vorgesehen. Das erste fällt in die Zeit vom 20. bis 29. Juni 1957, liegt also knapp vor Beginn des IGY und ist als Versuchsintervall gedacht. Die anderen Weltintervalle wurden für September und Dezember 1957 bzw. für März, Juni, September und Dezember 195 8 festgelegt.

Außer den im voraus festgelegten und in einem Weltbeobachtungskalender bekanntgegebenen regulären Welttagen und Weltintervallen werden alle Beobachtungsstationen der Erde noch von fallweise zu bestimmenden speziellen weltmeteorologischen Intervallen über ein Alarmsystem benachrichtigt werden. Ein alle Stationen in den Zustand erhöhter Aufmerksamkeit setzender Alarm wird jeweils vier bis sechs Tage vor besonderen Phänomenen, wie verstärkter Sonnenfleckenaktivität, magnetischen Stürmen usw., nach einem genau festgelegten Uebermittlungsplan über das internationale Wetternachrichtennetz verbreitet. In der Einleitung dieses Berichtes wurde an einem Beispiel der Weg einer solchen Alarmmeldung verfolgt.

An den regulären und speziellen Welttagen und Weltintervallen wird die Aktivität der Forschung auf dem ganzen Erdball außerordentlich gesteigert werden. Alle Hilfsmittel der modernen Technik und Wissenschaft werden auf diese Zeitabschnitte konzentriert werden, um alle Schichten der Atmosphäre, vor allem aber auch die höchsten Luftschichten zu erforschen. An den Welttagen und Weltintervallen sollen alle Arten von Beobachtungsmethoden angewendet und alle Typen von Meßvorrichtungen zum Einsatz kommen. Die an normalen Beobachtu’nestagen regelmäßig zweimal täglich durchgeführten Radiosondenaufstiege werden an den Welttagen und Weltintervallen viermal gestartet. Dabei sollen alle technischen Vorkehrungen getroffen werden, daß mindestens das 50-mb-Niveau (etwa

20.0 m Höhe), womöglich sogar das 10-mb- Niveau (etwa 31.000 m Höhe) erreicht wird. An den Welttagen werden ferner gehäuft Meßraketenflüge durchgeführt. Vor allem die USA und Frankreich haben Pläne für Meßraketenflüge während des IGY vorbereitet. Die USA beabsichtigen 36 Großraketen vom Typ „Aerobee” und 100 kleine Raketen, sogenannte „Rockoons”, zu stärtöh. Fj’äh refcili fiilfdfttr yÄ fÄitzendl’ lätk- gen mit dem Raketentyp /Vefonique “Btrfch-”‘“ führen. Auch ändere Länder, vor allem Großbritannien und Australien,, werden Beiträge zum Raketenprogramm liefern.

Die Rockoons sind imstande, Instrumente, die ein Gewicht von 50 kg haben, bis in eine Höhe von 100 km zu befördern. Sie werden entweder vom Flugzeug oder durch Fernsteuerung von Ballons abgefeuert. Sobald der Ballon eine Höhe von 20 bis 25 km erreicht hat, wird vom Boden ein elektromagnetisches Signal ausgesendet, das den Start der Rakete auslöst. Die Rockoonrakete ist nicht sehr teuer und ihre Wartung verhältnismäßig einfach, so daß sich auch Länder mit beschränkten Geldmitteln an dem Raketenprogramm beteiligen können.

Mit der Rakete werden Messungen der Ultraviolettstrahlung, des Ozongehaltes, der kosmischen Strahlung, des magnetischen Feldes, der Luftdichte, der Temperatur und des Luftdruckes, des Windes und der Zusammensetzung der Luft durchgeführt. Raketen vom Typ „Aerobee” können 50 bis 70 kg schwere Meßgeräte bis in die E-Region der Ionosphäre und höher befördern. Sie können daher Informationen über Ionosphäre und Thermosphäre, über die Natur von freien Ionen, Molekülen und Atomen und anderes mehr liefern.

Schließlich sollen in ęoch größerer Höhe künstliche Satelliten den Erdball umkreisen. Sie werden uns Aufschluß über die wirkliche Dichte der Materie an der Grenze des „leeren” Weltraumes geben. Die USA beabsichtigen, Satelliten in einer exzentrischen Bahn die Erde umkreisen zu lassen. Der Abstand zwischen Erdnähe und Erdferne soll zwischen 300 km und 1300 km schwanken. Ein Satellit auf solcher Bahn könnte genauere Aufschlüsse über die obere Grenze der Atmosphäre geben. Messungen der ultravioletten Sonnenstrahlung, die von der Erde aus wegen der abschirmenden Wirkung der Lufthülle nicht möglich sind, könnten vielleicht die Frage klären, ob gewisse Wettervorgänge von der Sonne beeinflußt werden. Schließlich könnte auch die natürliche Konzentration des Meteorstaubs im Weltenraum gemessen und die Meteoritendichte bestimmt werden.

Das Satellitenprojekt stellt zweifellos eine wertvolle Bereicherung des IGY-Programms durch den Vorstoß in bisher unerschlossene Räume dar. Sollte es aber scheitern, so könnte der Ausfall des Satellitenprogramms das Forschungsergebnis letzten Endes nicht wesentlich beeinträchtigen.

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