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Alte neue Gelehrtenrepublik

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Jene Gelehrten des Wiener Vormärz, denen Kaiser Ferdinands Patent vom Mai 1847 die Konstituierung der „Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften“ attestierte, wären wohl entsetzt gewesen über die Freizügigkeit, mit der ihre Nachfolger hundertfünfundzwanzig Jahre später mit Journalisten über Sinn, Zweck und Aufgaben dieser Gelehrtenrepublik diskutierten. Für sie genügte es, das Diskussionsforum zu bilden, auf dem die immer drängender werdenden wissenschaftlichen Probleme besprochen und Abhilfe beraten werden sollte. Die Errichtung der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik, die Herausgabe des „Wurzbach“, des großen biographischen Lexikons des alten Österreich, die Ausrüstung der „Novara“-Expe-dition und der Nordpolfahrt von Payer und Weiprecht, die Entsendung österreichischer Ärzte in die indischen Pestgebiete, das erste Phonogramm-Archiv in Europa — Beispiele genug für die Feststellung, daß die Akademie der Wissenschaften schon im ersten halben Jahrhundert ihres Bestehens ihre Funktionen in ausgesprochen zukunftsgewandter Weise erkannt und erfüllt hat.

Aber die Zeiten ändern sich — die Zeiten der Gelehrtenrepublik sind vorbei. Wo sie noch erhalten geblieben sind, in Westdeutschland oder Frankreich, sind neben ihnen neue Organisationsformen entstanden, um neue Aufgaben übernehmen zu können. Im Osten blieb der Name erhalten, der Inhalt änderte sich. Wohin sollte sich die österreichische Akademie der Wissenschaften wenden?

Seit etwa der Mitte der sechziger Jahre hat man in den barocken Prunkräumen der Alten Universität diese Frage sehr eingehend untersucht. Die erste Diskussionsphase der Hochschulreform hatte auch die

Frage auftauchen lassen, ob die Universität von morgen die Forschung noch mitformen könne und solle ... Sie allein konnte auf keinen Fall alle neuen Probleme bewältigen, die die über die Grenzen der einzelnen Disziplinen hinausgreifende Forschung mit sich brachte. In Deutschland gab es die Max-Planck-Gesellschaft — Österreich hatte hier nichts aufzuweisen.

Aber es hatte einen Kristallisationspunkt in der Akademie der Wissenschaften: Schon 1910 hatte Karl Kupelwieser der Akademie das Institut für Radiumforschung gestiftet — in der weisen Voraussicht, daß die gerade erst entdeckte Radioaktivität einer Stelle bedürfe, die sie wissenschaftlich erforschen und damit im Griff behalten sollte, Vorläufer des modernen Umweltschutzes. Über dieses Institut hatte Marie Curie, hatte Lord Rutherford die Pechblende aus Joachimstahl bezogen.

So entschlossen sich die Verantwortungsträger am Ignaz-Seipel-Platz, dieser Spur zu folgen. 1965 wurden das Institut für Hochenergiephysik und jenes für Molekularbiologie ins Leben gerufen — beide haben sich in diesen Jahren bereits einen festen Platz in der internationalen Forschung erringen können, das Physikinstitut vor allem durch seine enge Zusammenarbeit mit dem westeuropäischen Zentrum in Genf und jenem des Ostens in Serpuchow. In der Zwischenzeit sind diese Institute gewachsen, andere wurden neu geschaffen, neu geordnet: die Festkörperphysik, entscheidend für die ganze Industrie, fand einen festen Platz in Anlehnung an die Montanistische Hochschule in Leoben, aus der anderen Kupelwieser-Gründung, der Biologischen Station in Lunz, wurde das Institut für Lim-nologie, das sich nun zum Mondsee hin erweitern soll. Die vergleichende Verhaltensforschung, am Wilhel-minenberg lokalisiert, wurde von der Akademie übernommen; die Hirnforschung erhielt ein neues Zentrum. Im Bereich der Geisteswissenschaften entstanden die Institute für Kartographie — vor allem zur Erstellung des Österreichatlas — und für mittelalterliche Realienkunde in Krems. Hier will man, durch analytische Untersuchung, vor allem alter Bildwerke, herausbekommen, wie sich das tägliche Leben unserer Vorfahren vor Jahrhunderten praktisch abgespielt hat.

Man muß die Feste feiern wie sie fällen — der 125. Gründungstag kann als Anlaß genommen werden, sich zu besinnen und in die Zukunft zu schauen. So soll noch zum Jubiläum im Mai ein konkretes Fünfjahresprogramm für die dringendsten Aufgaben vorgelegt werden, eingebettet in die Forschungskonzep-zeption des Wissenschaftsministeriums, denn auch hier ist Planung und Koordination unerläßlich geworden. Diese Planung ist — in verschiedener Richtung — stark auf die „Umwelt“ gerichtet: unmittelbar im Sinn des Umweltschutzes soll das Institut für Limnologie Grundfragen der Wasserreinheit klären. Die geographisch-kulturelle Umwelt soll mit der Erarbeitung eines neuen kulturgeschichtlichen Österreichbildes erfaßt werden, wozu an die Errichtung neuer Akademieinstitute für mittelalterliche Geschichte und für Volkskunde gedacht wird. Der Umwelt über unserm Globus ist die Arbeit des — einstweilen noch nur auf dem Papier stehenden — Instituts für Weltraumforschung gewidmet, in dem Wissenschaftler aus Graz, Innsbruck und Wien zusammenarbeiten, nicht um den „Satelliten Austria I“ in den Weltraum zu entsenden, sondern um mit bescheidenen eigenen Mitteln zur internationalen Erforschung des Kosmos beizutragen. Wie schließlich unsere Welt übermorgen aussehen Wird, soll im Institut für Zukunftsforschung errechnet werden, dessen Keimzelle kürzlich durch die Bildung einer eigenen Kommission gelegt wurde.

Von der kaiserlichen Dotation am Start bis zum heutigen 48-Millionen-Budget war ein weiter Weg — aber trotz aller Fortschritte kann sich Österreichs Akademie der Wissenschaften auch relativ nicht mit den Möglichkeiten der Max-Planck-Gesellschaft messen, die 420 Millionen D-Mark umsetzen kann. Viel wird noch geschehen müssen, um der Funktion der Akademie der Wissenschaften in der Gesellschaft von heute und morgen gerecht zu werden, von den Verantwortlichen, von allen Mitarbeitern und Mitgliedern dieser Gemeinschaft ebenso wie von der Gesellschaft selbst. Nur wenn die Wissenschaft im Bewußtsein der Menschen integriert wird, kann sie sich im Interesse der Gesellschaft auswirken. Nur wenn die Verantwortungsträger der Wissenschaft sich ihrer Informationspflicht der Gesellschaft gegenüber bewußt sind, können sie auch auf deren Anteilnahme, auf deren Hilfe rechnen. Das erste Kamingespräch mit den Vertretern der Öffentlichkeit, mit den Bil-dungs- und Wissenschafts Journalisten, war ein erster, erfolgversprechender Schritt in dieser Richtung.

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