6557813-1948_32_03.jpg
Digital In Arbeit

Österreich in der Levante

Werbung
Werbung
Werbung

Im Libanon kann man auch von ganz einfachen Dorfbewohnern zuweilen eine recht eigenartige Redewendung hören, wenn jemand bezeichnet werden soll, der sehr selbstbewußt auftritt. Man sagt, er benehme sich „misl unsul an-Namsa“, wie „der Konsul von Österreich“. Diese Wendung stammt aus einer Zeit, da dem Vertreter des Kaisers von Österreich der Schutz der maronitischen Christen im osmanischen Imperium anvertraut war, der österreichische Lloyd als die bedeutendste Levantelinie galt, die vornehmen türkischen und arabischen Familien ihre Söhne am Theresianum, an der Konsularakademie oder der Universität in Wien studieren ließen und Wien das große Zentrum der Orientalistik wa.-. Es war die Zeit, da Hammer-Purgstall, Prokesch-Osten und Barb lebten, und Österreich Kenner und Gestalter des Ostens, wie den Beduinenforscher Prälat Musil, den Reformator des Sudans, Slatin Pascha, und den Erbauer iranischer Straßen, Gasteiger Khan, nach dem Orient entsandte.

Die erste Republik hat dem ererbten Glanz nichts wesentlich Neues hinzugefügt. An den Wiener Hochschulen studierten zahlreiche Araber, Türken, Iraner, Afghanen und Inder; es gab einen Orientbund, es gab Kaffeehäuser, die orientalische Zeitungen aufliegen hatten. Der Handel mit dem Orient, besonders mit der Türkei, war nicht unbedeutend, österreichische Künstler, Wissenschaftler und Techniker wurden nah dem Orient berufen —, es sei nur Clemens Holzmeister genannt, der eine rege Bautätigkeit in der Türkei entfaltete. Das Orientalische Institut der Universität stand auf der Höhe und die Orientalische Akademie Konsularakademie, an der Jansky die Orientsprachen lehrte, setzte ihre Tradition so unbeirrt fort, daß sogar das Emblem „Für Gott und den Kaiser“ beim Eingang die erste Republik und das Dritte Reih überdauerte, weil es persisch geschrieben war und von den Ikonoklasten nicht verstanden wurde Die österreichischen Alpen waren das Ziel vieler Sommerfrischler aus dem Orient. Wien beschäftigte ihre persönliche und literarische Phantasie, es sei hier nur auf die wunderbare, tief empfundene und verständnisvolle Schilderung des Wien der zwanziger Jahre in dem Werk „Waladi“ Mein Knabe von Mohammed Husein Heikel Pascha, der jetzt Präsident des ägyptischen Senats ist, hingewiesen. In diesen Glanz teilten sih übrigens — der Pikanterie halber sei es vermerkt — auh die Sukzessionsstaaten. Der im Orient so beliebte „österreichische Fez“ wurde noch immer unter dieser Marke und Bezeichnung weiter verkauft, wiewohl er längst in der Tshechoslowakei, wo die Fabrik lag Stra- konitz, erzeugt wurde, und die Levantiner fuhren noch immer mit dem „österreichischen Schiff“, mochte es auch die Flaggen Italiens und des Lloyd Triestino tragen und neueren Datums auf einer italienischen Werft gebaut worden sein.

Das wiedererstandene Österreich hätte wirklich dafür Sorge zu tragen, daß das Wirken dieser großen Ostkenner und Orientbearbeiter nicht vergeblich war und ihre Arbeit nicht tot ist. Es bieten sich nämlich Möglichkeiten, die die erste Republik nicht hatte und die zum Teil schon wahrgenommen werden. Die wichtigste davon ist durch die politische Ausschaltung Deutschlands auf dem wirtschaftlichen und dem kulturellen Sektor bedingt. Der Osten braucht Industrieprodukte der verschiedensten Art und kann dafür Baumwolle, Olivenöl, Wolle, Kohle, Chrom und andere Bergbauprodukte, Tee, Reis, Südfrüchte und Gewürze bieten. Österreich wird sich auf der diesjährigen Messe in Smyrna als Aussteller zeigen, es hat mit der Türkei einen Handelsvertrag geschlossen und steht mit Ägypten in Verhandlungen. Die österreichische Flagge wird vom Triester Freihafen aus die Häfen der Levente befahren und den Warenaustausch besorgen. Die Anfragen und Wünsche seitens orientalischer Firmen gehen derzeit weit darüber hinaus, was Österreich angesichts der augenblicklichen Wirtschaftsund Verkehrslage erfüllen kann.

Dem Orient ist an einer kulturellen Befruchtung durch Österreich sehr viel gelegen. Zwar werden die Orientstaaten jetzt nicht wie im vergangenen Jahrhundert ihre Jugend ans Theresianum nach Wien zur Erwerbung einer allgemeinen Ausbildung schicken, denn sie verfügen selbst über brauchbare Schulen, aber für die Spezialausbildung wird noch immer im Westen eine Ergänzung gesucht werden, und da könnte Wien ein sehr geeigneter Platz sein. Trotz aller Lebensmittelknappheit hätte längst der Zustrom orientalischer Studenten nach Wien begonnen, wenn nicht die Einreise durch Umstände verhindert würde, auf die Österreich keinen Einfluß hat. Aus wohlverstandenem eigenen Interesse würden diese Studenten hieherkommen, da die Orientalen, die in Wien studiert hatten, eine tüchtige Grundlage an Wissen und Können in ihre Heimat mixbrachten und gute Karrieren machten, wofür nur zwei Beispiele der allerletzten Zeit angeführt seien: Dr. Ziai, der noch vor kurzer Zeit in Wien an der Klinik Meller wirkte, ist heute einer der gesuchtesten Augenärzte von Teheran, und Dr. Dschamil Salem, der 1946 Oberarzt am Mauthner-Markhofschen Kinderspital war, wurde 1947 als Ordinarius für Kinderheilkunde an die Universität Damaskus berufen. Immer werden die berühmten Institute Wiens für Medizin, Kunst, Welthandel und Technik ein Anziehungspunkt für die Studenten des Orients bleiben.

Hiezu kommt aber noch die Anziehungskraft des österreichischen Gewerbeschulwesens. Das moderne technisierte Leben, das in die orientalischen Länder Einzug gehalten hat, verlangt eine große Anzahl von Mittelschultechnikern, sei es in der neu erstehenden Industrie, sei es bei Bahn, Post oder im Bauwesen. Ein solches Schulwesen zu gründen, dazu gehört jedoch eine große industrielle Erfahrung, die in den Ländern des Nahen Ostens noch vielfach fehlt.

Schon ist jetzt ein Kulturaustausch mit dem Orient eingesetzt, dessen Initiative vielfach dem Orient selbst entsprang. Vor zwei Jahren wurde in Wien und Teheran auf Anregung von Dr. Ali Asghar Azizi eine österreichisch-iranische Kulturvereinigung ins Leben gerufen, die seither in beiden Ländern eine reiche Veranstaltungstätigkeit entfaltet. Die afghanische Regierung suchte um die Entsendung österreichischer Lehrkräfte an, die an den Hochschulen Kabuls wirken und das Ned- schat-Kolleg, eine Realschule, die bisher von Deutschen geleitet wurde, übernehmen sollen. Das Kolleg St. Georg in Istanbul, die „österreichische Schule“, hat einen Zulauf wie nie vorher, da sie nun zum Teil auch das Erbe der „deutschen Schule“ an-tritt. Die Sängerknaben führten eine erfolgreiche Gastspielreise nach der Türkei durch und wurden zu einer anderen nach dem Libanon eingeladen, wie auch an der neuen Staatsoper in Ankara österreichische Kräfte wirken. Der Botaniker Dr. Reschinger vom Naturhistorischen Museum in Wien wurde nach Teheran berufen, wo er ein Werk über die Flora Irans herausgeben soll. Demel hat als Expeditionsleiter bereits zwei Expeditionen von schweizer archäologischen Gesellschaften nach dem Nahen Osten geleitet.

Die Regierung Abessiniens hat vier österreichische Ärzte engagiert, die syrische Regierung suchte um die Entsendung österreichischer Spezialärzte und Krankenschwestern und die türkische um österreichische Techniker für didaktische Aufgaben an. Das österreichische Echo auf diesen Ruf blieb nicht’ aus. An der Wiener Akademie der Wissenschaften wurde eine eigene Sektion für die Erforschung des Orients ins Leben gerufen, die unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Hassinger und des Iran- forschers Dr. Stratil-Sauer steht; die „Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes“ bringt eben ihre erste Nummer in der Nachkriegszeit heraus, eine rege Übersetzertätigkeit aus den Orientsprachen hat eingesetzt. Österreich wird den am 23. Juli in Paris beginnenden 21. internationalen Orientalistenkongreß beschicken Duda und Helene Zeißl. P. Fuchs SVD ist mit reichem ethnographischem Material aus Indien Indore zurückgekehrt und bereitet darüber eine Publikation vor. Die studierende Jugend Wiens hat jetzt Gelegenheit, an der Universität von einem Iraner Azizi Persisch und von einem Inder Ramtschandra Hindustan! zu lernen. Man muß in der Geschichte des orientalischen Unterrichts in Österreich schon sehr weit zurückgreifen, um . diese Möglichkeit, die den reicher dotierten Instituten Englands und Frankreichs immer zur Verfügung stand, in bezug auf Persisch zu finden, Hindustani lehrte aber bisher noch niemand in Wien, der es als Muttersprache beherrschte. Wenn auch die Orientalische Akademie nicht mehr besteht, so nimmt die Hochschule für Welthandel ihre Tradition auf und lehrt in einem viersemestrigen Studiengang die wichtigsten, früher an der Orientalischen Akademie tradierten Sprachen und Orientdisziplinen. Mit der Türkei und Ägypten wurden die diplomatischen Beziehungen aufgenommen; mit anderen Orientstaaten schweben diesbezügliche Verhandlungen, die sich nur durch den Palästinakrieg verzögert haben. Das Außenamt verfügt über gründliche Kenner des Orients und die UNESCO-Tagung in Beirut, die im Oktober stattfindet, wird eine günstige Gelegenheit für Österreich sein, durch seine Delegation, der Orientkenner beigegeben werden sollen, mit dem Osten in direkten Kontakt zu kommen.

Das sind anerkennenswerte und ermutigende Leistungen, und größer noch sind die Ansätze zu weiteren Möglichkeiten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung