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Die Theresianische Akademie

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Sowohl die geographische Lage als auch die historische Entwicklung der alten österreichisch-ungarischen Monarchie hat es mit sich gebracht, daß die Beziehungen zwischen der Türkei und der Haupt- und Residenzstadt Wien immer sehr, sehr rege waren. Zweimal in der Geschichte sogar so rege, daß vor und auf den Wällen unserer Stadt Ströme von Blut flössen. Doch nach dem glücklichen Entsatz von 1683 und dem allmählichen Absinken der osmanischen Macht verbesserten sich die Beziehungen wieder zusehends. Die türkische Pluderhose und der Turban wurden zu einem integrierenden Bestandteil des Wiener Straßenbildes. Ja, noch bis in unsere Tage hinein grüßten von allen Tabaktrafiken herab verbindlich schmunzelnde pfeifenrauchende Osmanen.

Bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts hatte man für den diplomatischen Dienst an der Pforte keine österreichischen Untertanen, sondern meist Levantiner italienischer Herkunft mit den entsprechenden Sprachenkenntnissen verwendet. Jedoch die schlechten Erfahrungen, die man mit ihnen machen mußte, führten dazu, daß man um die Mitte des Jahrhunderts die von anderen Staaten schon längst vorgebildete Institution der sogenannten „Sprachknaben“ auch in Österreich einführte. Acht bis zwölf Stück dieser Sorte wurden nun an die Gestade des Bosporus entsandt und lebten dort auf Staatskosten im Haus des österreichischen Residenten zu Konstantinopel. Seiner Exzellenz, dem Herrn Residenten, war auch die Aufsicht über die Sprachknaben anvertraut. Doch im Drang seiner Geschäfte wurde er dieser Aufgabe nicht immer gerecht, so daß sich der junge Diplomatennachwuchs, verführt durch die Romantik von „Tausendundeiner Nacht“,' weniger intensiv dem Studium der orientalischen Sprachen als vielmehr den Vergnügungen am „Goldenen Horn“ hingab. Das aber war nun ganz und gar nicht im Sinne der genialen aber sittenstrengen Mutter des Reiches, der Kaiserin Maria Theresia, gelegen, die am 20. April 1753 verlauten ließ: „Unsere gnädigste Willensmeinung gehet dahin, in Zukunft keine Sprachknaben mehr in Konstantinopel zu halten, sonder acht derselben für beständig allhier in einem

Seminario gemeinsam unterrichten und verpflegen zu lassen.“

Dies war die Geburtsstunde der späteren „k. k. Orientalischen Akademie“, die am 1. Jänner 1754 ins Leben gerufen und bezeichnenderweise in der philosophischen Stube der alten Universität in der Postgasse untergebracht wurde. Als pikantes Detail sei hier nur nebenbei vermerkt, daß die aus Konstantinopel zurückberufenen Sprachknaben nicht mit den Zöglingen der neugegründeten Anstalt vereinigt werden durften.

Die „Orientalische Akademie“ unterschied sich grundlegend von den einstigen „Sprachknabeninstituten“. Ihr Studienplan war auf einer viel breiteren Grundlage aufgebaut und sollte nicht nur sprachliche Fertigkeiten, sondern auch eine ge-

wisse allgemeine Vorbildung für den Staatsdienst vermitteln. In einem „Alleruntertänigsten Bericht von dem damaligen Fürgang der Jugend in dieser Academia“, verfaßt von derem ersten Direktor, dem Jesuitenpater Franz, kann man lesen: „Gemäß der Allerhöchsten Gesinnung soll die hier angestellte Jugend in guten Sitten, in der

Furcht Gottes und in Liebe und Treue gegen Eure Majestät erzogen werden … Sie soll alle Wissenschaften erlernen … Ihre Obliegenheit erstreckt sich weiter auf die türkische Sprachkundigkeit… Endlich muß die Erfahrenheit in mehreren okzidentalen und orientalischen Sprachen, die Kunst, zu konzipieren und wohleingerichtete Aufsätze schriftlich zu verfassen dieser Aller- gnädigst angestellten Jugend die letzte Geschicklichkeit zu den Allerhöchsten Diensten beibringen.“ Im Humus dieser Grundsätze wurzelte der Wahlspruch der späteren Konsularakademiker: „Für Gott und den Herrscher.“

Der vielleicht erlauchteste Zögling der Orientalischen Akademie, der große Orientalist Josef Freiherr von Hammer-Purgstall, schildert uns in seinen Lebenserinnerungen in einem unglaublich plastischen Telegramm-

stil den Tagesablauf eines Zöglings: „Um sechs Uhr ward aufgestanden und zugleich im Studiersaal das Morgengebet gemeinschaftlich verrichtet … Nach diesem hergeplapflerten Gebete ward • solgeieh in die Messe zu den Dominikanern auf den Chor gegangen … Die Stunde von sieben bis acht war zur Vorbereitung zu den beginnenden Lehrstunden bestimmt… Von acht bis neun war der philosophische oder juridische Vortrag, von neun bis zehn Zeichenstunde… Von zehn bis elf orientalische Lehrstunde, von elf bis zwölf französische, von zwölf bis eins dreimal die Woche Schreibstunde, die andern dreimal der Tanzmeister und die Reitschule … Um eins das Mittagmahl, fünt Speisen zu Mittag und drei des Abends, davon freilich nicht alle eßbar… Die Stunde von zwei bis drei war frei und konnte zu musikalischem

Unterricht verwendet werden … Von drei bis vier Lehrstunde der Philosophie… Von vier bis fünf Geographie oder Geschichte… Von fünf bis sechs orientalische Sprachen … Von sechs bis sieben Privatstunde des Orientalischen… Von sieben bis acht Wiederholung der Geographie und Geschichte… Von acht bis neun Erholungsstunde, um neun Uhr das Nachtmahl, dann

Rosenkranz und das Nachtgebėt? '

Von der alten Universität in der Postgasse übersiedelte die Orientalische Akademie in das gegenüberliegende Konvikt zu St. Barbara, dann in das Profeßhaus der Jesuiten in der Annagasse und von dort in den alten „Jakoberhof“ an der Stelle des heutigen Bezirksgerichtes in der Riemergasse, wo sie fast 100 Jahre lang verblieb. 1883 kam dann die „Orientalische“ in jenen Trakt der Theresianischen Akademie auf der Wieden, der nun ab heute auch die neue „Diplomatische Akademie“ der Republik Österreich beherbergt. 1898 erfolgte eine durchgreifende Reorganisation der Anstalt mit dem Auftrag, „daß sie in Hinkunft den

Titel einer k. u. k. Konsularakade- mie zu führen habe“. Bis 1904 stand nun die Konsularakademie in einer direkten ökonomisch-administrativen Verbindung mit dem Theresianum. Seit 1905 führte sie in ihrem neuen, in den Jahren 1902 bis 1904 erbauten Eigenheim in der Boltz- manngasse wiederum ein Sonderdasein.

Nun haben die „Sprachknaben“

der Zweiten Republik in ihr altes maria-iheresianisches Haus in der Favoritenstraße heimgefunden, und man kann nur hoffen, daß sich auch an der neuen „Diplomatischen Akademie“ jenes österreichische Wunder vollziehen möge, das wir am neuen „Theresianum“ erleben konnten: nämlich den nahtlosen und organischen Übergang von alt zu neu, von einer streng geburtsständisch bestimmten kaiserlichen Ritterakademie zu einer vorbildlich modernen, demokratischen Begabtenschule. Dies wünscht als einen Willkommgruß zu ihrem Eintritt in das neue alte Haus den jungen Diplomaten von morgen ein alter Theresianist von gestern.

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