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Rot-weiß-rot und halber Mond

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Eine Woche lang währte soeben eine österreichisch-türkische Begegnung in Istanbul, die noch beachtliche Früchte zeitigen dürfte. Unter dem Titel „österreichisch-türkische Beziehungen im Laufe der Geschichte“ wurden sowohl historische Forschungsergebnisse über die Zeit der welthistorischen Konflagration (15.-18. Jahrhundert), bei der es für Österreich um Sein oder Nichtsein ging, wie auch des kommerziellen und kulturellen Miteinanders im 19. und der völligen Verwandlung vom Gegner zum Freund im 20. Jahrhundert ausgebreitet.

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Eine Woche lang währte soeben eine österreichisch-türkische Begegnung in Istanbul, die noch beachtliche Früchte zeitigen dürfte. Unter dem Titel „österreichisch-türkische Beziehungen im Laufe der Geschichte“ wurden sowohl historische Forschungsergebnisse über die Zeit der welthistorischen Konflagration (15.-18. Jahrhundert), bei der es für Österreich um Sein oder Nichtsein ging, wie auch des kommerziellen und kulturellen Miteinanders im 19. und der völligen Verwandlung vom Gegner zum Freund im 20. Jahrhundert ausgebreitet.

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Es ist der Förderung durch das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten und der Initiative des rührigen österreichischen Kulturinstitutes unter Konsul Hofrat Prof. Hanns Kaspar, aber auch dem Einsatz türkischer Fachleute und Österreich-Freunde sowie von fünf Experten aus Wien und Graz zu danken, daß dieses Symposium zustan- dekam, für welches das Kulturinstitut und die Generaldirektion des türkischen Staatsarchivs unter Prof. Ne- jat Goyūnę verantwortlich zeichneten.

Die Vorträge fanden teils im Kulturinstitut statt, das auch eine Ausstellung der einschlägigen Werke bot, und teils im Türkischen Staatsarchiv, das wertvolle Handschriften präsentierte.

Bei der Eröffnung vor zahlreichem Publikum verwiesen Generaldirektor Prof. Goyūnę und Hofrat Kaspar ganz besonders auf die Wandlung des einstigen Feindbildes zum Freundbild sowie auf die gegenseitigen kulturellen Verflechtungen. Diese bezeugte vor allem der bedeutende Literat und Theatermann Hal- dun Taner (eben wird in Istanbul eines seiner Stücke aufgeführt) in seinem Vortrag „österreichische Einflüsse auf Theater und Literatur der Türkei“.

Der Erinnerung an den Siegeszug der Operette eines Franz Lehär und Emmerich Kälmän schloß sich der Hinweis auf den Einfluß von Arthur Schnitzler, Franz Kafka und Robert Musil, sowie auf die Lyrik Rainer Maria Rilkes an. Er betonte auch den grundsätzlich tiefen Einfluß von Sigmund Freud. Auch die Dramatiker Ödön von Horvath und Franz Molnär werden in der Türkei gespielt. Prof. O. Aslanapa zeigte an Hand von Lichtbildern, was von der türkischen Architektur auf dem Balkan blieb.

Besonderes Interesse erweckte Prof. Karl Teply (Wien) mit seinen Forschungsergebnissen rund um den wiederholten Griff der Osmanen nach dem mythischen Goldenen Apfel Wien (zwecks Besiegelung ihrer Weltherrschaft), der für sie aber auf zauberische Weise unerreichbar blieb: „Der Kampf um Wien (1529, 1683) in der Sicht des türkischen Volksglaubens.“

Im Staatsarchiv bot Dozent Karl Vocelka (Universität Wien) einen vorzüglichen Überblick: „Osmanische und österreichische Expansion vom 15. bis zum 18. Jahrhundert.“ Ihm schloß sich Prof. Tayyib Gökbil- gin (Universität Istanbul) mit dem Thema: „Ferdinand I. und J. Zapolya als Qegenspieler im Königreich Ungarn - Osmanische Politik und Botschafterverhandlungen (1528-1533)“ an. Markus Köhbach (Universität Wien) erläuterte „Aspekte der osmanischen Expansion im 16. Jahrhundert.“ Dabei erhellte er die wechselseitige Fesselung der Osmanen im Westen durch die Habsburger und im Osten durch die Perser, wobei Österreich jeweils Ruhe hatte, wenn im Osten die Perser angriffen.

Bei Harald Heppner (Universität Graz) erschien „Der lange Krieg von 1593-1606 als Wendepunkt der osmanischen Expansion im 16. Jahrhundert“, besonders gekennzeichnet durch die zahlreichen Aufstände der christlichen Balkanvölker, wie sie in solcher Dichte bisher kaum bekannt waren.

Schließlich erläuterte Dozent Georg Wagner (Universität Wien) die „Osmanische und kaiserlich-österreichische Politik im Dreißigjährigen Krieg“, darunter eines der „Mirakel“ des Hauses Österreich, warum nämlich die Pforte damals Österreich in seiner höchsten Not (Einkreisung durch Frankreich, Schweden, Siebenbürger) nicht angriff: Es war die diplomatische Meisterleistung des Hermann Grafen Czernin (1576-1651) als Großbotschafter in Konstantinopel 1644/45, der den Sultan vom Landkrieg gegen Österreich zum Seekrieg um Candia (Kreta) mit Ve

nedig ablenkte - sonst wäre Österreich verloren gewesen.

Dozent Hans Georg Majer (Universität München) ließ an Hand der „Logistischen Probleme der osmanischen und österreichischen Kriegführung am Ende des 17. Jahrhunderts“ den Schluß zu, daß infolge der Rüstungsunzulänglichkeiten auf beiden Seiten eigentlich nur das überlegene Feldhermtum (Prinz Eugen) Österreich siegen ließ.

Dozent über Ortayli (Ankara) legte die Entfaltung der österreichischen Wirtschaftsbeziehungen nach dem Großen Türkenkrieg (Karlowitz 1698) dar. Interessant ist, daß Österreich zwischen 1780 und 1880 im Handel mit der Türkei dominierte, bis der „große deutsche Bruder“ (nach 1871) ins Orientgeschäft einstieg.

Zum Abschluß entwarf Dozent Vocelka das „Bild der Osmanen in Literatur und Propaganda Mitteleuropas der frühen Neuzeit“. An Hand zahlreicher Tendenz-Flugschriften zeigte er, daß man gegenüber Greuelnach- richten immer sehr kritisch sein und sie an Hand von zuverlässigen Quellen auf ihren Wahrheitskem überprü

fen muß. Das überdüstere Bild des „Erbfeinds“ und die erfundenen Absagebriefe der Sultane an die Christenheit dienten teils zur Lockerma- chung der Stände-Beiträge zu den Türkenkriegen, teils zu einer Willig- machung der Untertanen (der Großtürke - „Zuchtrute Gottes“).

Aber inzwischen hat sich das Feindbild längst zu einem Freundbild gewandelt: In diesem Sinne war die Begegnung, die mit einer Einladung der Teilnehmer in das Haus von Prof. Goyūnę am asiatischen Steil-, ufer des Bosporus endete, ein Beispiel türkischer Gastfreundschaft. Die Österreicher erlebten einen unvergeßlichen Sonneuntergang über der Hagia Sophia, den riesigen Moscheen und ihren Minaretten in der Feme, und in der Nähe das Aufgehen zahlloser Lichter in den Restaurants und Villen der bergigen Bosporus- ufer, so daß sich ihnen die unerhört schöne Lage von Istanbul (Byzanz- Konstantinopel) tief einprägte.

Diese Begegnung erscheint um so bedeutender, als sich bei ihr thematisch in manchem jener Themenkreis ankündigte, der 1983 anläßlich der

300-Jahr-Feier des Entsatzes von Wien 1683 auch zu einem gerechteren Feind-Freund-Bild des ehemals welthistorischen Gegners führen sollte. Die angeknüpften Kontakte werden für dieses, sich bereits vielfach ankündigende Großereignis fruchtbar gemacht werden können.

Hier läßt sich nun unschwer eine Brücke zu dem Unternehmen der „österreichisch-polnischen Gesellschaft“ schlagen, die ein Koordinationskomitee für 1983 unter dem Titel „300 Jahre Entsatz von Wien mit König Jan III. Sobieski“ ins Leben gerufen hat. Wohlgemerkt: es kommt hier auf mit an - ein durch wäre übertrieben. Man will anscheinend im Maß bleiben: Denn Wien wäre ohne die Polen 1683 verloren gewesen, aber ohne das noch stärkere Korps der kaiserlich-österreichischen Truppen unter Karl von Lothringen (dazu nicht zu vergessen die Hilfskorps aus dem Reiche) noch gewisser.

Der Wahrheit wird also in jeder Hinsicht die Ehre gegeben werden. Aber Wahrheit auch im Blick auf jene Türkei, die mit Österreich im Ersten Weltkrieg Schulter an Schulter gekämpft hat.

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