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Byzanzforscher tagten

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Die Erforschung des tausendjährigen Reiche« am Bosporus, des „zweiten Roms", des Stammhalters und Wahrers griechisch- römischer Antike in. einer immer mehr sich barbarisicrenden Umwelt, zieht seit 300 Jahren die Aufmerksamkeit der Gelehrtenwelt auf «ich; ihrer Erforschung widmet sich eine eigene Wissenschaft, die Byzantinistik.

Der vergangene Sommer war für die Byzantinistik reich an bedeutungsvollen Ereignissen. Nachdem der letzte Weltkongreß der Byzanzforscher, der für den 2. Oktober 1939 in Algier angesetzt war, infolge des Krieges ausfallen mußte, traf sich nun die gelehrte Welt auf den kurz aufeinanderfolgenden Kongressen in Paris und Brüssel. Paris ist nicht nur durch den Reichtum an byzantinischen Denkmälern, sondern zumal als Wiege und Pflegestätte der byzantinischen Studien zur Kongreßstadt geradezu prädestiniert. Dies war auch die Ursache, daß trotz Reiseschwierigkeiten und Nichtbeteiligung einzelner Länder weit über 250 Kongressisten fast aus allen Ländern Europas und Amerikas am Kongreß teilnahmen. So ergab sich Fühlung mit den hervorragendsten Vertretern dieser Disziplin, ein Vorteil, der als besondere Wohltat von den Angehörigen jener Länder empfunden wurde, die durch Kriegsereignisse lange von den ausländischen Kulturzentren abgeschnitten waren.

Die Vorträge waren in vier Sektionen eingeteilt: Religion, Recht, Geschichte, Kunst und Archäologie. Das Hauptgewicht lag in der letzten Sektion. Das ergab sich durch die Ausrichtung der byzantinischen Studien in Frankreich, wo Kunstgeschichte, Archäologie und Geschichte durch so bedeutende Vertreter, wie Milljet, Brehier und Diehl, besonders gepflegt wurden. An den Vorträgen waren die Österreicher mit einer Reihe bedeutender Themen beteiligt: „Die Datierung des Corpus Areopa- giticum“ (E. Ivanka), „Byzantinische Kunst in Österreich" (W. Sas-Zaloziecky), „Bvzan- tinische und abendländische Strafverfahren"(H. F. Schmid) und „Die Mosaiken der Tribuna des Florentiner Baptisteriums“ (Demus). Die Vorlesungen fanden ihren Abschluß in der Vollversammlung am 2. August. Außer über organisatorische Fragen erfolgte hier auch eine Aussprache über den Tagungsort des nächsten Kongresses. Zwei Vorschläge lagen vor: eine offizielle Einladung der Wiener Akademie der Wissenschaften und des Wiener Unterrichtsministeriums, welche die österreichischen Delegierten überbracht hatten, und eine inoffizielle Erwägung: Konstantinopel. Die Abstimmung ergab nach einer belebten Diskussion eine Stimmenmehrheit für Wien (36 : 51). Herzliche Sympathiekundgebungen begleiteten die Annahme des österreichischen Vorschlages. Den Kongressisten waren in Paris einige Ausstellungen in glänzender Aufmachung durch das Organisationskomitee dargeboten worden. So konnte man in der Buchausstellung der nationalen Archive in der Rue Turenne die Anfänge der Byzantinistik in Frankreich verfolgen. Da bot sich dem Besucher zum Beispiel die berühmte, 1645 erschienene Louvreausgabe des Corpus historiae bvzan- tinae, mit dem die Byzantinistik al« historische Disziplin ihren Anfang nahm. Eine Überraschung bildeten die vor kurzem ausgegrabenen Mosaiken au« Antiochia im Louvre.

Erstmalig konnte man die reichen Schätze an illuminierten Handschriften der Pariser Nationalbibliothek in einem chronologisch geordneten Ensemble betrachten, so auch die berühmtesten unter ihnen, die Miniaturen des Pariser Psalters und der Predigten Gregors von Nazianz, farbenprächtige Kunstwerke aus der Konstantinopler Hofmalschule des 9. bis 10. Jahrhunderts.

Die Kongressisten verließen Paris mit dem Gefühl nicht nur einer wissenschaftlichen Bereicherung, sondern auch einer dankbaren Erinnerung an den liebenswürdigen Empfang. Die österreichischen Delegierten durften sich eines besonderen Entgegenkommens von Seiten der französischen Forscher und Veranstalter des Kongresses erfreuen.

Von Paris übersiedelten die Teilnehmer des Kongresses nach Brüssel, um hier ihre VII. internationale Tagung aufzunehmen, die nun den Pariser Kongreß in der Richtung ergänzte, daß hier G e- schichte, Philologie, Slawistik und Literaturgeschichte in den Vordergrund traten. Brüssel bildet heute einen wichtigen Mittelpunkt der byzantinischen Studien. Zwar besitzt es nicht die alte Tradition wie Paris, wo bereits im 17. Jahrhundert die Grundlagen der byzantinischen Disziplin in klassisch zu nennenden wissenschaftlichen Werken gelegt worden sind — aber im Jahre 1925 wurde in Brüssel durch den hervorragendsten belgischen Byzantinisten und international bekannten Forscher Henry Gregoire die Zeitschrift „Byzantion“ gegründet, um die sich eine Reihe von bedeutenden Forschern gruppierte.

Eine andere Atmosphäre wie in Paris bestimmte den Brüsseler Kongreß. Man spürt diese Veränderung, wenn man sich unmittelbar von Paris nach Brüssel versetzt sieht; besonders dem Österreicher ist diese neue Atmosphäre nicht unvertraut: vor allem ist es der Geist der Überbrückung nationaler Kulturen, das heißt der flämischen und wallonischen, der in einer übernationalen Staatsidee gipfelnd, hier in Erscheinung tritt. Im Gegensatz zum ausgeglichenen Pariser Klassizismus herrscht hier, wie in Österreich, ein schwerblütiges Barock, neben spielerisch-dekorativer Gotik und Spätgotik. Man spürt, daß man sich in der Heimat eines Rubens befindet, der die üppige Sensualität des Südens mit nordischer Schwerblütigkeit zu verbinden gewußt hat. Aber dem Österreicher wehen auf Schritt und Tritt noch andere wertvolle Erinnerungen entgegen; Reminiszenzen, daß dieses blühende Land durch Jahrhunderte ein wahres Juwel des universalen Habsburgerreiches gebildet hat. Die Glasfenster der Kadethrale von St. Gudule zeigen heute noch die Bilder österreichischer Herrscherpersönlichkeiten, wie Maximilian von Österreich und seine Gemahlin Maria von Burgund, Karl V., Ferdinand I. und Margarethe von. Österreich, im Chorraum ragt das imposante Grabdenkmal de« Generalstatthalters Ernst von Österreich (t 1595) auf. In dem berühmten Rathaus der Stadt wird man in einen Maximilian- Saal geführt, der mit einem Doppelbildnis des Kaisers und seiner Gemahlin geschmückt ist. Besondere Verdienste um die Architektur Belgiens haben sich Albrecht und Isabella von Österreich durch die Errichtung der Augustinerkirche erworben, der unzählige ähnliche barockisierende Bauten im ganzen Lande folgten. Auch in den Saal der Akademie der Wissenschaften, wo der byzantinische Kongreß tagte, strahlte der Abglanz der österreichischen Staatsuniversalität: überlebensgroße Bildnisse Karls VI., Maria Theresias und Josephs II. schmückten den Saal.

Der Kongreß wurde in Anwesenheit des belgischen Kultusministers vom Präsidenten der Gesellschaft der Bollandisten, Pater Paul Peeters, eröffnet. Unter den eingelaufenen Begrüßungen durch das Ausland wurde auch die des Rektors der Grazer Universität, Prof. Dr. H. Gerstinger, verlesen, der die Einladung nach Wien namens der Akademie der Wissenschaften aussprach. _ Die Vorlesungen waren in vier Sektionen eingeteilt: Innere und äußere Geschichte (Untersektion Geographie), Sprache und byzantinische Literatur (Untersektion Neo- graeca) und Die Probleme der Beziehungen Byzanz zu den Slawen sowie Varia.

Als Einleitung wurde von M. Thomas Whittemore vom byzantinischen Institut PariSrlstambul ein farbiger Film über den aktuellen Zustand der Auf deckung der Mosaiken in der Sophienkirche und in der Chora- kirche in Konstantinopel vorgeführt. Der Film vermittelt eine gute Vorstellung von der Pracht dieses goldglitzernden Mosaikschmuckes. Von den Österreichern sprach W. Sas-Zaloziecky „Über die Beziehungen Österreich zu Byzanz während der Kreuzzüge“, F. H. Schmid zum Thema: „Kann der älteste slawische Codex des Gesetzes über die Verurteilung der Leute als Replik byzantinischer Vorbilder betrachtet werden?" Hatten sich in Brüssel anfänglich Bedenken gegen die Abhaltung des nächsten Kongresses in Wien ergeben, so wurden diese in der Schlußsitzung des Kongresses zerstreut; ein einstimmiger Beschluß bestätigte Wien als Tagungsort des nächsten (VIII.) Kongresses, der 1950 stattfinden soll. Ins Organisationskomitee wurden Univ.-Prof. Dr. Gerstinger (Graz), W. Sas-

Zaloziecky (Wien), F. H. Schmid (Wien) gewählt. Im Anschluß an die Kongreßberatungen fanden eine Reihe aufschlußreicher Besichtigungen statt. Eine Überraschung, nicht zuletzt für'die Österreicher, brachte ein Besuch der Privatsammlung Stöcklet, die erstklassige Mosaiken, Miniaturen und Emailarbeiten vereinigt; sie ist in einer Villa untergebracht, die von dem Wiener Architekten Hoffmann errichtet, mit Mosaiken Klimts geschmückt ist. Eine österreichische Kunstenklave bildet den ausgesucht geschmackvollen Rahmen der weltberühmten Sammlung. Eine Reihe von Exkursionen nach Liege, Maastricht, Tour- nai, Moriemond, Namur, mit Besichtigung von byzantinischen und byzantinisierenden Kunstdenkmälern, bildete den Abschluß des Kongresses, der zu einer glanzvollen Ergänzung des Pariser Kongresses geworden war.

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