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Wien als Weltzentrum der Byzanz-Forschung

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1981 soll in Wien der 16. Internationale Byzantinisten-Kongreß unter dem Motto „Byzantinistik bis 2000. Retrospektiven und Prospektiven“ stattfinden. Der Vorstand des Instituts für Byzantinistik an der Universität Wien, Univ.-Prof. Herbert Hunger, steht als Präsident an der Spitze der internationalen Byzantinisten-Vereinigung.

Diese Tatsachen deuten daraufhin, daß die Arbeit der österreichischen Byzantinisten weltweit größte Anerkennung findet. Dabei handelt es sich um eine in Österreich noch sehr junge Wissenschaft - erst seit 1962 gibt es ein eigenes Institut, darüber hinaus seit einigen Jahren zwei mit einschlägigen Forschungen betraute Kommissionen der österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Daß unter dem Titel „Byzantinistik“ ein eigener mit einem Fünf-Jahre-Budget von 10 Millionen Schilling dotierter Forschungsschwerpunkt des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung läuft ist wohl in erster Linie dem Weltrang der hier geleisteten Arbeit zu verdanken. Am Rande mag auch mitgespielt haben, daß Projektleiter Hunger immerhin Präsident der österreichischen Akademie der Wissenschaften ist.

Im Gespräch mit Hunger lernt man einen leidenschaftlichen geisteswissenschaftlichen Forscher kennen, wie er gerade auf diesem Gebiet, das neben einer gründlichen Ausbildung in klassischer Phüologie, Handschriftenkunde, Geschichte und Literatur auch ein gerüttelt Maß an kriminalistischem Spürsinn erfordert, vonnöten ist.

Grundlegendes Anliegen der Byzantinistik ist die Erhellung der Kultur, der Gesellschaft der Geschichte, der Sprache und der Literatur des byzantinischen Reiches vom Ende der Antike bis zur Eroberung der Hauptstadt Konstantinopel 1453. Was sie zutage fördert, ist keineswegs nur „tote Geschichte“, sondern oft ein lebendiges Bild einer der unseren gar nicht so unähnlichen Gesellschaft (Man denke an den Artikel „Polit-Terror gab es schon in Byzanz“ in FURCHE Nr. 17,1979).

Prof. Hunger nennt ein anderes Beispiel: „Das heute so brisante Thema der Bewußtseinsänderung durch Sprache läßt sich am byzantinischen Beispiel studieren. Einerseits verloren politische Begriffe aus der antiken griechischen Sprache in Byzanz allmählich ihre alte Bedeutung (das gilt von den Wörtern für „Demokratie“ und für „Tyrann“), anderseits vollzog sich in der frühbyzantinischen Zeit mit dem Übergang vom Heidentum zum Christentum auch eine Umwertung philosophischer und kultureller Begriffe.“

Der Forschungsschwerpunkt gliedert sich in sieben, teilweise sehr umfangreiche Teilprojekte:

• Griechische Paläographie und Handschriftenkunde

• Arbeiten zur byzantinischen Ha-giographie und Literaturgeschichte

• Herausgabe des Registers des Patriarchats von Konstantinopel

• Historische Geographie des byzantinischen Reiches

• Prosopographisches Lexikon der Palaiologenzeit

• Katalog der byzantinischen Bleisiegel in öffentlichen und privaten Sammlungen Österreichs

• Aufbau der byzantinischen Münzprägung - Rekonstruktion der Prägetabellen

Hinter den Titeln der ersten fünf Teilprojekte verbergen sich

1. die Katalogisierung der griechischen Handschriften der österreichischen Nationalbibliothek und die Erstellung eines Repertoriums griechischer Kopisten von 800 bis 1600;

2. Untersuchungen zu byzantinischen Heiligenlegeriden und Profanliteratur;

3. kritische Übersetzungen der Prozeßakten des für die Jurisdiktion zuständigen Patriarchats von Konstantinopel;

4. ein Großprojekt, „an dem noch Generationen arbeiten werden“ (Hunger), die Erstellung eines vierzigbändigen Atlanten, der alle zeitweise zum Byzantinischen Reich gehörenden Gebiete umfaßt und historische Orte besonders hervorhebt; und ,

5. ein Lexikon aller griechisch belegten Personen der letzten zwei Jahrhunderte von Byzanz, wobei erstmals in der Byzantinistik die elektronische Datenverarbeitung zu Hilfe genommen wurde (bisher wurden 6000 Personen erfaßt, man erwartet insgesamt rund 25.000).

Das anspruchsvollste Vorhaben ist wohl das Teilprojekt 4, an dem auch das Institut für Kartographie der österreichischen Akademie der Wissenschaften beteiligt ist. Kooperation über den eigenen „Elfenbeinturm“ hinaus wird auch bei anderen Teilprojekten großgeschrieben - so arbeiten am ersten Teilprojekt auch die Freie Universität Berlin und die römische Biblioteca Vaticana mit, am dritten Teilprojekt auch die Institute für Römisches Recht und Antike Rechtsgeschichte der Universität Wien.

Natürlich wird man eine Wissenschaft wie die Byzantinistik schwer w\\ „den Mann von der Straße“ verkaufen können, natürlich wird sie es auf die Dauer schwerer haben als Naturwissenschaften, großzügig gefördert zu werden. Immerhin bietet sie ein eindrucksvolles Beispiel, wie man mit vergleichsweise geringem finanziellen Aufwand auch in Österreich Forschung von Weltruf betreiben kann.

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