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Geht Byzanz zum zweiten Mal zugrunde?

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Geisteswissenschaftliche Studien mit wenig Hörern stehen auf der Liste der vom Aussterben bedrohten Fächer.

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Geisteswissenschaftliche Studien mit wenig Hörern stehen auf der Liste der vom Aussterben bedrohten Fächer.

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Orchideen sind seltene Gewächse. Doch ihre prächtigen Farben und Formen bezaubern den Menschen. Liebhaber lassen sich die vergängliche Schönheit der Blumen mitunter einiges kosten, obwohl der wirtschaftliche Nutzen, den sie daraus ziehen, gegen Null strebt. An den österreichischen Universitäten gedeihen solche Pflanzen nicht nur in den Glashäusern der botanischen Institute: Studien mit wenig Hörern und mit für Laien rätselhaften Inhalten werden gemeinhin als Orchideenfächer bezeichnet. Gesichtet werden sie vor allem unter den Geisteswissenschaften: Numismatik, Byzantinistik oder Tibe-tologie heißen einige der seltsamen Exemplare.

Während die 20.000 verschiedenen Orchideenarten weltweit unter Naturschutz stehen, könnten in Österreich manche Orchideenfächer der Sense von Gevatter Sparefroh zum Opfer fallen. Franz Ceska, Generalsekretär der Industriellenvereinigung, warf unlängst bei einer Pressekonferenz die Frage auf, ob die Finanzierung von Studien mit wenig Hörern sinnvoll sei. Wie in der Wirtschaft müßten auch auf den Universitäten Aufwand und Ergebnis genau abgewogen werden, erklärte Ceska, der den Sinn von „Studien mit einem Absolventen alle zwei Jahre” bezweifelt. „Es müssen Prioritäten gesetzt werden”, verkündete der Industriellenvertreter, der „mehr Markt im Bildungswesen” fordert.

Byzantinistik und Indologie...

Daß einige aus Sicht der Wirtschaft unrentable Orchideenstudien vom Bildungsmarkt verschwinden könnten, hält der Rektor der Universität Wien, Alfred Ebenbauer, angesichts der Finanzmisere der österreichischen Hochschulen für möglich (siehe die Furche 20, Seite 9). Numismatik beispielsweise wurde als eigenes Fach schon vor längerem aufgegeben. Mit Münzforschung können sich Studenten nur mehr im Rahmen eines Fächerbündels oder eines Doktoratsstudiums auseinandersetzen.

Das Studium der Byzantinistik und Neogräzistik ist ein typisches Orchideenfach: 33 ordentliche Hörer* beschäftigen sich eingehend mit der byzantinischen und neugriechischen Sprache, Kultur und Geschichte.

„Wir agieren nicht im luftleeren Raum”, sagt Ewald Kislinger, Assistent am Institut für Byzantinistik und Neogräzistik der Universität Wien: „Denn die europäische Kultur fußt in der griechisch-römischen Kultur.” Weiters lebe die byzantinische Tradition noch heute am Balkan und in Bußland weiter, sagt Kislinger.

In Österreich gibt es eine lange Tradition der Beschäftigung mit der byzantinischen Welt: Durch die politischen Interessen der Donaumonarchie am Balkan ergab sich eine intensive Auseinandersetzung mit der griechischen Kultur des Mittelalters. Denn die christlichen Völker des Balkans waren damals von der byzantinischen Kultur geprägt, die den politischen Untergang des oströmischen Beiches 1453 überlebt hatte. So kommt es, daß die österreichische Nationalbibliothek über eine der weltweit größten Sammlungen byzantinischer Handschriften verfügt.

Die Vorlesungen und Sprachkurse auf dem Gebiet des Neugriechischen sind auch für Institutsfremde ein Anziehungspunkt. Schließlich ist Griechenland Mitglied der Europäischen Union. „Will man etwas in ein anderes Land verkaufen, so muß man die Mentalität kennen”, betont Kislinger. Auch Computerprogramme, die am Institut entwickelt worden sind, dienen mittlerweile den griechisch-österreichischen Beziehungen. So arbeitet beispielsweise eine Wiener Rechtsanwältin, die sich auf entsprechende internationale Rechtsfälle spezialisiert hat, mit der vom Universitätsinstitut erarbeiteten Software.

Ein zweijähriges Forschungsprojekt des Instituts kostet laut Kislinger etwas über eine Million Schilling - inklusive Personalaufwand und Druck-kosten für die Publikation der Ergebnisse. Dies ist im Vergleich wenig. Kislinger: „Ein Gerät für ein Labor an der naturwissenschaftlichen Fakultät kostet mit Leichtigkeit diese Summe. Doch auf jenem Gebiet ringt man um den internationalen Anschluß, während wir auf unserem Gebiet führend sind.” In der Tat gilt das Wiener Institut für Byzantinistik un Neogräzistik als eines der besten der Welt. ”Eine kulturelle Visitenkarte, wie die Wiener Philharmoniker”, schwärmt der Assistent.

Mit 45 Hörern gehört das Institut für Indologie an der Universität Wien zu den relativ großgewachsenen Orchideen. „Als ich 1965 zu studieren begonnen habe, gab es hier zwei Studenten”, erinnert sich Assistenzprofessor Roque Mesquita, der aus Goa stammt

...sind nicht überflüssig

Bis auf die lebenden Sprachen Hindi und Tamil beschäftigt sich das Wiener Institut fast nur mit der Vergangenheit. Geschichte, Philosophie, Religion, alte Sprachen und klassische indische Kultur stehen am Lehrplan. Um das moderne Indien nicht ausklammern zu müssen, habe man immer wieder um mehr wissenschaftliches Personal angesucht, berichtet Mesquita - doch diese Bemühungen blieben stets vergebens.

Trotzdem hilft ein Studium der klassischen Indologie dem Verständnis des heutigen Indien: Denn dort gibt es ein „Tra-ditionskontinuum” (Mesquita), anders als etwa in Ägypten oder Griechenland, wo nur noch die Archäologen die Verbindung lCHIV zwischen Gegenwart und Ver-- gangenheit herstellen. „Das heutige Indien läßt sich ohne das klassische nicht verstehen”, doziert Mesquita.

„Ohne zu übertreiben ist unser Institut eines der besten Europas”, sagt der Wissenschaftler. Der Gründer des Instituts war Erich Frauwallner, der als einer der berühmtesten Indologen überhaupt gilt. Der Wiener, Lehrstuhlinhaber von 1955 bis 1963, rekonstruierte als erster die Geschichte der indischen Philosophie mit historisch-philologischen Methoden. Dies war deshalb ein schwieriges Unterfangen, weil es in Indien lange Zeit kein historisches Bewußtsein gab; das heißt, die überlieferten Texte sind zum größten Teil undatiert.

Mesquita ist davon überzeugt, daß sein Fach kein überflüssiger Luxus ist: „Es gibt 850 Millionen Inder”, stellt er lapidar fest, „und die indische ist die älteste noch existierende Kultur der Welt”. Der Assistenzprofessor weiß auch den Grundgedanken der indischen Philosophie hinter sich: Das geistige Leben ist mindestens ebenso wichtig wie das materielle.

Auch das Studium des Markscheidewesens an der Montanuniversität Leoben hat nur 29 ordentliche Hörer. Hinter dem exotischen Namen steht jedoch nichts anderes als das bergmännische Vermessungswesen, das laut Barman Randjbar, dem stellvertretenden Institutsleiter, aus dem Bergbau nicht wegzudenken sei. „Von unseren Absolventen ist bis jetzt noch kein einziger arbeitslos”, versichert Randjbar.

Wie in der Natur sind also auch die Orchideen an den österreichischen Universitäten vielfältig. Ob sie wie ihre pflanzlichen Vettern unter Schutz gestellt werden, wird sich noch zeigen. In einem Punkt nämlich sind sich Betroffene wie Bektor Ebenbauer und Kritiker wie Industriellenvertreter Ceska einig: „Die Entscheidung liegt an der Politik.”

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