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Zehn Jahre osterreichische Indienforschung

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Die Erforschung der Kulturen und Religionen Indiens hat im Verlaufe der letzten zehn Jahre durch österreichische Vertreter der Völkerkunde eine nicht unbedeutende Förderung erfahren.

1936 und 1937 konnte der damalige Assistent am Wiener Institut für Völkerkunde, Dr. Christoph von Fürer-Haimendorf, seit Ende 1945 Professor für Ethnologie an der Universität Heiderabad, Dekkan, mit Hilfe eines Rockefeller- Stipendiums eine erfolgreiche Forschungsarbeit unter den in Assam, nordöstliches Vorderindien, wohnenden Konyak Naga durchführen. Dr. von Fürer-Haimendorf hatte die Sache so gut gemacht, daß mir am 8. März 1938 der Vertreter der Rockefeller-Stif tung, Mr. K i 11 r e d g e, bei Gelegenheit eines Besuches in Wien seine besondere Genugtuung darüber zum Ausdruck brachte und erklärte, daß ich daraufhin einen zweiten jSchüler in Vorschlag bringen könne. Ich nannte sofort meinen zweiten Assistenten Dn J. H a e k e 1, für den gleich eine ähnliche Forschungsaufgabe, und zwar in Südamerika, ins Auge gefaßt wurde. Die kurz darauf folgende Entwicklung der Dinge zwang zur Zurückstellung dieser wie auch vieler anderer Pläne. Die reichen und gut ausgewählten Sammlungen, die Dr. von Fürer-Haimendorf bei den Konyak Naga hatte bergen können, bilden einen besonders wertvollen Bestand unseres Museums für Völkerkunde. Sie sind bereits fachgemäß aufgestellt und konnten im Vorjahr auch dem interessierten Publikum zugänglich gemacht werden.

Ende August 1939 traf Dr. von Fürer-Haimendorf abermals in Indien ein. Nach Ausbruch des Krieges wanderten er wie auch der Verfasser dieser Zeilen in das Kriegsgefangenenlager von Amedhnagar. Nach sechswöchiger Gefangenschaft entlassen, bin ich an maßgebender Stelle für meinen ' ehemaligen Assistenten eingetreten und im Jänner 1940 gab man auch ihm die Freiheit zurück. Im Verein mit seiner aus London stammenden Gattin konnte er dann ungefähr sechs Jahre lang ununterbrochen der Forschungsarbeit, und zwar hauptsächlich unter den Primitivstämmen Zentralindiens, sich widmen. Eine Chance, wie sie wohl selten einem jungen Gelehrten gegeben war, Daß Dr. von Fürer-Haimendorf sie in bestmöglicher Weise ausgenützt hat, zeigten mir schon die brieflichen Berichte, die er im Verlaufe der verflossenen Jahre an meine Schweizer Adresse schickte. Vor einiger Zeit traf auch ein Exemplar einer der verschiedenen Monographien ein, die er in Indien herausbringen konnte. Seine Hauptaufmerksamkeit hatte er schließlich dem relativ großen, dravidisch sprechenden Stamm der Gond geschenkt. Dabei vernachlässigte er die älteren Stämme der Chenchu, Reddi, Dire usw. nicht. Dem etwa 300 Individuen zählenden AltStamm der Chenchu widmete er eine eigene Monographie. Die Chenchu entbehren des Ackerbaues und der Viehzucht, sie stehen noch auf der Jagdsammeistufe. Bezeichnenderweise verfügen diese Chenchu über einen verhältnismäßig klaren und bestimmten Hochgottglauben, wobei die weiblichen Gottheiten, zumal die Erdgöttin, noch fehlen. Diese tritt erst bei den Reddi und Dire in die Erscheinung, Stämmen, die wirtschaftlich über einen primitiven Ackerbau (Grabstockbau) verfügen. Die Höherentwicklung der Kultur und Wirtschaft ist also auch hier, ähnlich wie sonst so oft auf der Welt, der Aufrecht- und Reinerhaltung des Hochgottgedankens keineswegs förderlich gewesen. Diese wenigen Daten lassen bereits erkennen, daß von Fürers Forschungen nicht nur für die Völkerkunde, sondern vor allem auch für die Religionsgeschichte Indiens von grundlegender Bedeutung sind.

Der Verfasser dieses Aufsatzes entschloß sich im Sommer des Jahres 1938, wenigstens ein volles Jahr der Forschungsarbeit den Primitivstämmen des zentralen Indiens zu widmen. Die Arbeit begann Ende Oktober 1938. Anfang Dezember 1939 fand sie ihren Abschluß. Abgesehen von den Behörden in Indien, unterstützten mich katholische und protestantische Missionare in dankenswerter Weise. Zu besonderem Danke bin ich dem sprachkundigen holländischen Missionar L. J u n g b 1 u z -S. V. D. verpflichtet. Für die Finanzierung des Unternehmens sorgten die Rockefeller-Stiftung, das Mus^e de l'Homme in Paris, das Nationalmuseum in Kopenhagen und die Missionsgesellschaft vom Göttlichen Wort (St. Gabriel, Rom).

Aus der großen Fülle der Aufgaben mußte eine besonders herausgegriffen werden. Die Wahl fiel auf das Bhil-Problem. Die Bhü bewohnen die nordwestlichen Teile des zentralindischen Gebiets, näherhin den westlichen Ausläufern der beiden Gebirgszüge Windhya und Satpura, welche den Norden Indiens von dem Süden (Dekkan) trennen. Sie zählen etwa eiijundeinviertel Millionen Individuen und sind sicher präarisch-indisdien Ursprungs, obwohl sie heute eine arisch-indische Sprache, eine Abart des Gujarati, reden. In rassischer Hinsicht sieht der bekannte Anthropologe Prof. von Eicksted t in den Bhil eine Unterart des großen sogenannten Weddidenkreises. Er dürfte damit wohl recht haben.

Um die Bhil in ihrer Eigenart besser zu erkennen, mußte auch den Nachbarstämmen eine entsprechende Aufmerksamkeit gewidmet werden. In diesem Sinne wurden Vertreter der Munda und der Dravida besucht. Als solche kamen Gruppen der Korku und der Gond in Betracht. Von allen diesen Stämmen wurden gleizeitig drei umfassendere völkerkundliche Sammlungen zustande gebracht, die für Paris, Kopenhagen und Freiburg in der Schweiz bestimmt waren und dann auch, trotz den Kriegswirren, glücklich dorthin gelangten. Eine vollständige, gut ausgewählte Sammlung soll auch, sobald die Verhältnisse das gestatten, nach Wien gelangen.

Schon vor fünfzehn Jahren hatte der bekannte indische Anthropologe Prof. Dr. B. S. Guha darauf hingewiesen, daß auf Grund der von ihm durchgeführten Messungen eine alte Verwandtschaft zwischen den Bhil und den Chenchu bestehe. Damit findet der verhältnismäßig betonte Hodhgott-glaube, wie Dr. von Fürer ihn bei den Chenchu und ich ihn bei den Bhil feststellen konnte, eine schöne und wertvolle Bestätigung von der anthropologischen Seite her. Diese und andere Probleme konnten im Verlaufe der letzten sechs Jahre, die ich in der gastlichen Schweiz verbrachte, in verschiedenen Abhandlungen und Artikeln des näheren erörtert und namendich in englischer und deutscher Sprache der Fachwelt unterbreitet werden. Von den Forschungen unter den Bhil ausgehend, bemühte ich mich, allgemein-indische Fragen aufzuhellen, so zum Beispiel das Megalithproblem, die Frage nach dem Zweiklassensystem in Indien, das Problem des Schamanismus und der Religion (Alter und Charakter des Hochgottglaubens). In letztgenannter Hinsicht glaube ich gezeigt zu haben, daß auf Grund meiner und der Forschungen anderer eine Neuorientierung der indischen Religionsgeschichte sich als notwendig herausgestellt hat. Ein für weitere Kreise berechneter Reisebericht unter dem Titel „Dschungel und Stacheldraht“ befindet sich derzeit im Druck (Luzern) und kann hoffentlich bald erscheinen und dann auch nach Österreich ausgeliefert werden. Weitere einschlägige Publikationen werden in nicht zu ferner Zeit folgen und dann vor allem auch im heimatlichen Österreich selbst herausgebracht werden können.

Seit dem Jahre 1933 ist der aus Graz stammende (St. Gabrieler) Missionar S(t. Fuchs in den gleichen Gebieten Indiens tätig. Missionar Fuchs konnte sich in der Erforschung anderer Stämme, der Korku,Balahi und Baiga, spezialisieren. In den Monaten Jänner und Februar 1939 leistete er mir bei Gelegenheit meiner Forschungen unter den Korku wertvolle Assistentendienste. Eine erschöpfende Monographie aus Fuchs' Feder über die Balahi liegt druckfertig vor, sie wird mit Unterstützung indischer Regierungsstellen und der Propaganda in Rom demnächst in Kalkutta zur Veröffentlichung gelangen.

Ab April des Jahres 1939 weilte auch der Österreicher Dr. O. R. Baron von Ehrenfels in Indien. Obwohl er den größten Teil der Kriegsjahre im Gefangenenlager zu verbringen hatte, wurde doch auch ihm gestattet, wenigstens zeitweise der Forschungsarbeit unter bestimmten Stämmen Südindiens zu obliegen. Ein besonderes Verdienst indes erwarb er sich mit einer im ganzen wertvollen Untersuchung der Mutterrechtserscheinungen in Indien. Das Resultat seiner Forschungen legte er vor in dem Buche „Motherright in India“, das 1942 in Indien (und England) erschien. Die Haupresultate sind: erstens, auf indischem Boden ist das Mutterrecht älter als der Totemimus, und zweitens, in dem Volke der Nayar, das im Südwesten Indiens, im Landstrich Kerala, wohnhaft ist, lebte bis in die Gegenwart' hinein eine Kultur weiter fort, die allem Anschein gemäß mit der Kultur der Leute der Induskultur (Mohenjo Daro, Harappa usw.), die vor etwa 4500 Jahren im Industale blühte, verwandtschaftliche Beziehungen aufzuweisen hat. Mehrere englische und indische Gelehrte haben sich bereits mehr oder weniger zustimmend zu diesem in der Tat sensationellen Forschungsergebnis geäußert, das im Kern schon vor dem Kriege auf Wiener Boden (Baron von Ehrenfels promovierte mit der genannten Arbeit im Winter 1936/37) herangewachsen war.

Im Sinne einer bedeutsamen Ergänzung, die aber zeitlich etwas weiter zurückführt, wäre schließlich auch noch auf die Forschungen von Dr. H. Niggemeyer und Prof. Dr. R. Baron von Heine-Geldern hinzuweisen. Der Erstgenannte, Westfale, arbeitete vier Jahre lang in Wien und publizierte 1933 seine Untersuchungen über den Totemismus in Indien, die auch noch heute im wesentlichen für die Klärung des genannten Problems maßgebend sind. Baron von Heine-Geldern, bis 1938 Dozent und Titularprofessor an der Wiener Universität, jetzt in New York, förderte in wertvollen Veröffentlichungen nicht nur die Ethnologie, sondern .auch die Archäologie und Kunstgeschichte Indiens. Seine im Zuge dieser Untersuchungen erarbeitete Aufstellung, daß die arisdie Einwanderung nach Indien um etwa 1200 vor Christus stattgefunden haben müßte, Hat im Verlaufe der letzten Jahre im Kreise der Fachleute eine stets allgemeinere Anerkennung gefunden.

Dam allen darf — indem wir für einen Augenblick gut vierzig Jahre zurückgehen — noch eine der glänzendsten Entdeckungen der neuzeitlichen Sprachforschung angefügt werden, die ebenfalls auf österreichischem Boden gemacht werden konnte. In den ersten Jahren des gegenwärtigen Jahrhunderts überraschte Prof. P. W. Schmidt die Fachwelt mit der These, daß die sogenannten austro-asiatischen oder Mundasprachen, die im Nordosten Indiens und stellenweise in Hinterindien gesprochen werden, verwandt sind mit den indonesischen, melanesisrhen und polynesischen Sprachen der Südsee, die der Entdecker dann unter dem Namen austronesische Sprachen zusammenfaßte. Für beide, also für die austroasiatische und die austronesische Sprachgruppe, schuf Sdimidt die Bezeichnung austrisch. Diese austrische Sprachfamilie reicht in ihrer Verbreitung vom Fuße des Himalaya (beziehungsweise von Madagaskar) bis zur Osterinsel, also bis zur äußersten Insel Polynesiens. Bemerkenswert, daß eine „Primitiven“-Sprache mehr als den halben Erdumfang umfaßt!

So hatte bereits vor Jahrzehnten der Altmeister der Wiener völkerkundlichen Schule mit seiner hochbedeutsamen linguistischen Entdeckung die österreichische Indienforschung auf das beste grundgelegt und eingeleitet. Daß namentlich im Verlaufe der letzten zehn Jahre im gleidien Sinne, und zwar vor allem auch in mühevoller Feldforschung an Ort und Stelle, erfolgreich weitergearbeitet worden ist, versuchte ich in dieser kurzen Übersicht zu zeigen. Möge audi in Zukunft den österreichischen Forschern die Möglichkeit nicht fehlen, herinnen und draußen dem Fortschritt der Indicn-forsdiung mit ganzer Hingabe und mit weiteren schönen Erfolgen zu dienen. Damit wird eine völkererhellende und völkerverbindende Arbeit geleistet, die die Welt heute mehr denn je benötigt, und für die der österreichische Mensch und Forscher wohl besonders günstige Voraussetzungen mitbringt.

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