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Byzanz und osterreich

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Am 29. April 1947 beging die „österreichische byzantinische Gesellschaft“ die Feier ihres einjährigen Bestandes. Nach dem völligen Ausfall der deutschen byzantinischen Gesellschaften in Königsberg, Breslau und München hat sie, als nunmehr einzige Gesellschaft dieser Art im mitteleuropäischen Raum, die Aufgabe übernommen, eine lebendige Verbindung herzustellen zwischen dem Kulturbewußtsein der Gegenwart und Byzanz, dem tausendjährigen Traditionsträger antiker Kultur, dem Wachposten Europas am Einfallstor der „Barbarei“.

Im Gedächtnis und Bewußtsein eines Großteils auch unserer „Gebildeten“ verbindet sich nach wie vor mit Byzanz ein Vorstellungskomplex, der etwa durch die Begriffe: totale Bürokratie, despotische Alleinherrschaft eines sich göttliche Rechte anmaßenden Staates, erstarrte mumifizierte spätantike Kultur — umschrieben werden kann. Greisenhafigkeit, seltsam verbunden mit Korruption, Ausschweifung und Dämonie — so erscheint Byzanz auch heute noch vielen Europäern, obwohl die Byzan-tinistik seit hundert Jahren, seit den Reisen und Forschungen des großen Österreichers Jakob Philipp Fallmerayer in Europa und auch in Amerika einen ungeheuren Aufschwung genommen hat. Gerade Österreich ist jedoch in mehrfacher Hinsicht verpflichtet, das Gedächtnis der lebendigen Größe und des echten Glanzes der byzantinischen Kultur wachzuhalten — Wien als Wegstadt der Kreuzfahrer, als Hauptstadt der Babenberger und Salzburg als Zentrum einer großartigen, mittelalterlichen Kunst, die ohne Byzanz nicht zu denken wäre, verdanken der Hauptstadt des Kaisers der Romäer den Impuls zu stets neuer Auseinandersetzung. Von Fallmerayer bis zur Gegenwart sind es zumal österrreichische Kultur- und Kunsthistoriker gewesen, die sich um die Erschließung des Wesens und der Eigenart der byzantinischen Kultur bemüht haben. Es hat deshalb tieferen Sinn, daß der gegenwärtige Präsident der österreichischen byzantinischen Gesellschaft ein Kunsthistoriker ist (Professor Dr. W. S A s - Z a 1 o z i e c k y), daß es schon kn ersten Jahr ihres Bestandes zur Gründung einer Zweigstelle in Salzburg kommen konnte. Wien und Salzburg sind in erster Linie berufen und verpflichtet, das Erbe von Byzanz in einem neuen österreichischen Kulturbewußtsein zu vertreten. Zur Förderung dieses Unternehmens bereitet nun die Gesellschaft eine Reihe von Publikationen vor: Ein Jahrbuch, welches hauptsächlich der Veröffentlichung neuer wissenschaftlicher Arbeiten aus dem Umkreis der Byzantinistik gewidmet sein soll, zu dem aber noch eine byzantinische Schriftenreihe, welche weitere Kreise in die Welt des byzantinischen Ostens einführen soll. Da die Wahrung des byzantinischen Erbes eine gesamteuropäische Verpflichtung, ja darüber hinaus ein Anliegen aller neueren Kulturen, welche sich dem Abendland verbunden wissen, ist, kann die Byzantinistik weniger noch als eine andere Wissenschaft als „nationale“ Wissenschaft im engsten Sinne betrieben werden — sie fordert ihrem Wesen nach international.- Zusammenarbeit. Es gelang nun der österreichischen byzantinischen Gesellschaft bereits Beziehungen aufzunehmen zu nahmhaften schweizerischen und französischen Gelehrten, eine Fühlungnahme mit Amerika und Rußland wurde in die Wege geleitet. Man spricht oft von der „völkerverbindenden Kraft“ der Wissensdiaften, im Räume der Geisteswissenchaften haben wir oft genug das Gegenteil erlebt. Man denke nur an den erbitterten jahrzehntelangen Streit deutscher und französischer Kunsthistoriker um die „nationale“ Bedeutung der deutsch-französischen Kunstbeziehungen im Mittelalter, an die Auseinandersetzungen deutscher und italienischer — und in letzter Zeit, wenn auch in gemäßigter Form —, auch deutscher und spanischer Forscher über Sinn und Berechtigung der Reichsidee! Hier lädt nun, wie kaum ein anderes Wissensgebiet in den Geisteswissenschaften, die Byzantinistik ein zum friedlichen Wettstreit der Geister, denn es gehört zum Wesen der by z an t i n i s c h e n K u 11 u r und des byzantinischen Staates selbst, eine Zusimmenspannung scharfer und leidenschaftlich erlebter Gegensätze, in einem Maß des Menschlichen, in einer Zucht des Geistes, in einer Disziplin des Politischen zu sein, welche dem westlichen Abendland oft fremd genug waren und noch immer sind und die deshalb, als großes Symbol historischer Möglichkeiten, gar nicht deutlich genug ins Gesichtsfeld der von barbarischen Wirren und Ängsten bedrängten Gegenwart gerückt werden können. In diesem Sinne zeigt Professor Sas-Zaloziecky in seinem Vortrag anläßlich der Jahrestägung der Gesellschaft über „Byzantinische und abendländische Kultur in geistesgeschichtlicher Gegenüberstellung“ die gewaltige Bannkraft der byzantinischen Kultur auf. Der byzantinische Staat, der sich als direkter Nachfolger des Römischen Reiches erlebte, sah sich auch als Träger des römischen Rechts, dessen Kodifizierung und Erhaltung zuvor ein Werk des ersten großen „Byzantiners“, des Kaisers Justinian war.

Erst wenn wir dieses römiche Rechtsbewußtsein des byzantinischen Staates und seiner größten Führer erkennen und würdigen, sind wir imstande, das innerste Wesen der vielberufenen byzantinischen Bürokratie zu erfassen: Eine bis ins Letzte „geregelte Omnipotenz des Staates“ sollte den einzelnen wie die Gemeinschaft vor einem stets drohenden Absinken und Ausgleiten ins „Barbarische“, ins Wildgesetzlose, Willkürlich-Fremde behüten und bewahren — eine Gefahr, die um so größer war, da der byzantinische Staatsbau nicht nur von Außen, sondern auch von Innen her ständig unterspült und unterwaschen wurde durch „barbarische“ Unterströmungen; bedenken wir, welch ein Gemisch von Völkern und Rassen dieser Staat innerhalb seiner „heiligen“ Mauern umschloß! Die heilige, rechtsmäßige Form als Sicherung gegen den Einbruch des Dämonischen — dies ist auch das offenbare Geheimnis der byzantinischen Kunst, deren vielfältige Renaissancen stets auf die Wiederherstellung des einen heiligen Urbildes zielen. Dem christianisierten Neu-platonismus, der dieser byzantinischen Kunst und Kultur zugrunde liegt, gelang es, die früher so oft in destruktiver Form auftretenden Kräfte des antiken Individualismus zu bannen — jene Mächte, die nach Sas-Zaloziecky in Westeuropa seit der italienischen Renaissance immer mehr das Übergewicht erlangten und schließlich die Ordnung von Staat und Kirche, Gesellschaft und Kultur aufsprengten. Gewiß, Byzanz ist nicht nur Größe, sondern auch Gefahr: die Gewalt seiner allumfassenden sakralpolitischen Staatskultur drohte und konnte immer wieder das Lebendig-Persönliche erdrosseln und ersticken. Der Begriff der „Freiheit des Christenmenschen“ mußte dieser Kultur fremd bleiben, da sie die Freiheit des Individuums nur in der Eingliederung in die Hierarchie der himmlischen Chöre gewährleistet sah. — Auch dies aber ist für uns heute bedeutsam: mögen wir aus der Gefährdung des Persönlichen im byzantinischen Ordnungsstaat lernen, an der Schönheit seiner Kultur uns jedoch erbauen und dergestalt in beiden Bereichen der steten Bedrohung alles Menschlichen im Räume geschichtlicher Verwirklichung eingedenk sein. Wenn es der österreichischen byzantinischen Gesellschaft gelingt, dieses Bewußtsein in weitere Kreise zu tragen, dann hat sie eine nicht geringe Aufgabe im Rahmen der so notwendigen Erneuerun unserer Kultur erfüllt, f. h.

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