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Vor hundertfünfzig Jahren

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VOM WIENER KONGRESS. Von Jean de Bourgolng. 2., unveränderte Auflage Verlas Herold, Wien-München, 1964. 433 Selten mit 24 Bildtafeln. Preis 335 S.

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VOM WIENER KONGRESS. Von Jean de Bourgolng. 2., unveränderte Auflage Verlas Herold, Wien-München, 1964. 433 Selten mit 24 Bildtafeln. Preis 335 S.

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Das Jahr 1965 erinnert an den Wiener Kongreß, der von 150 Jahren den zweiundzwanzigjährigen Krieg um die Vorherrschaft in Europa beendet hat: „Das Werk einer weisen und großen Politik, das die einzige gesunde und dauernde Grundlage des europäischen Lebens bleibt, und ist es später verkümmert und geknickt worden, so hat man nicht den Kongreß sondern spätere, schlechtere Zeiten und geringere Männer deshalb anzuklagen.“ (G. H. Pertz, 1856). Das Werk des Wiener Kongresses hat Europa zur segensreichsten Friedensperiode, die es je genossen, verholten... es haben Diplomaten niemals auf einer festeren Grundlage einen besser zusammengefügten Bau errichtet, noch nie ein für die Zivilisation ersprießlicheres Werk geschaffen“ (Albert Sorel, 1885). Mit diesen Historikerworten identifiziert sich Jean de Bourgoing in der 2. Auflage seiner 1943 erstmals erschienenen Schilderung „Vom Wiener Kongreß“, die neben den vielbändigen Fachpublikationen für lange Zeit als die beste und lehrreichste Abhandlung „über die mühevollen Verhandlungen der Monarchen und Staatsmänner, die tatsächlich ihre Aufgabe mit Beharrlichkeit und Ernst in ungezählten Konferenzen erledigt haben“, gelten wird. Wenn „vom“ Kongreß gesprochen wird, soll dies sagen, daß es sich nicht um eine detaillierte sachliche Wiedergabe der Sitzungen handelt, sondern mehr um das Kulturmilieu, um das Treiben außerhalb der Beratungszimmer, um das bunte Gemisch von Personen des Gefolges, von Statisten und Neugierigen, um die Arbeitsweise der großen „Vier“ (Österreich, Preußen, Rußland, England) und der Diplomaten, weiter um einzigdastehende rauschende Feste, die unentbehrliche Geheimpolizei und viel lockeres Volk, das sich in allen Sphären des Kongresses herumtummelte und der Zeit- und Sittengeschichte pikante Aspekte verlieh. Der Altmeister höfischer Stoffe gibt den Hauptakteuren: den Monarohen Österreichs, Preußens und Rußlands, den Staatsmännern Metternich, Castlereagh. Hardenberg, Humboldt und Talleyrand, ferner Gentz,Napoleon I. und Marie Louise und selbstverständlich dem Feldmar-schall Fürst De Ligne lebendige Profile, die Biographien der Genannten vielfach ergänzend. Bourgoing ist ein strenger, zugleich objektiver Betrachter und scheut nicht davor zurück, selbst Prominentesten eine sohlechte Note zu geben.

Viele Österreicher können Kaiser Franz I. in ganz neuem Licht sehen, der Verfasser wird dem vornehmgastfreundlichen und einsichtigen Hausherrn des Kongresses ebenso gerecht wie dem Herrscher, der in kritischesten Situationen zutreffende Entscheidungen findet. Wien, sein Hof und Volk erscheinen ebenfalls vorteilhaft beurteilt, und wenn der Kongreß bisweilen recht abstoßende Vorfälle im gesellschaftlichen Leben zeigte, da handelte es sich vorwiegend um unerwünschten Import vom Ausland her.

Der illustre Autor streift noch die Frage, wie weit die Republik Österreich auf traditionelle Momente zurückgreifen darf. Man kann die Republik Österreich bloß als einen der materiellen Erben der großen Vergangenheit neben den übrigen Nachfolgestaaten bezeichnen oder als einen Rechtsnachfolger im Sinne des Staatsvertrages von St. Ger-main-en-Laye, der das neue Österreich zur Übernahme altösterreichischer Lasten gezwungen hat. Einen Universalerben des Heiligen Römischen Reiches, des Kaisertums Österreich oder Österreich-Ungarns gibt es sicherlich nicht, sucht man jedoch einen berufenen Hüter dei Geschichte Wiens, die so häufig europäische und Weltgeschichte war, dann kann es doch nur das heutige Österreich sein, welches im Falle einer Auslöschung seiner tausendjährigen Geschichte vor 1918 „Österreich“ in seinem Namen nicht hätte weiter führen dürfen. So bleibt der Bericht „vom Wiener Kongreß“ für alle Österreicher eine willkommene Gabe, und das bestausgestattete, neu aufgelegte Buch wird in der Reihe der jüngsten österreichischen Geschichtswerke, die alle über den 12. November 1918 zurückblicken, seinen bevorzugten Platz weiter behaupten.

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