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Orient in Wien VII

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Einer der höchsten Würdenträger der römische Kirche, Kardinal Gregor Petrus Agagi ani an, der Propräfekt der Kongregation für die Glaubens-verbreitung (Propaganda Fide), zugleich Patriarch der katholischen Armenier; zelebriert am Sonntag, den 7. September, in der Wiener Mechi-taristenkirche ein Hochamt im armenischen Ritus. Er führt auch die große Prozession, die sich Sonntag nachmittag durch die Neustiftgasse über die Kirchengasse und Lerchenfelder Strafte bewegt. Die Redaktion

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Einer der höchsten Würdenträger der römische Kirche, Kardinal Gregor Petrus Agagi ani an, der Propräfekt der Kongregation für die Glaubens-verbreitung (Propaganda Fide), zugleich Patriarch der katholischen Armenier; zelebriert am Sonntag, den 7. September, in der Wiener Mechi-taristenkirche ein Hochamt im armenischen Ritus. Er führt auch die große Prozession, die sich Sonntag nachmittag durch die Neustiftgasse über die Kirchengasse und Lerchenfelder Strafte bewegt. Die Redaktion

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IN DER KURZEN NEBENGASSE einer Hauptstraße des vom brausenden Verkehr durchwühlten siebenten Wiener Gemeindebezirkes öffnet sich das hohe Tor eines von außen unscheinbar anmutenden, langgestreckten Gebäudes. Beim Pförtner stehen einige Männer beisammen, deren Sprache unverständlich für den Besucher, dennoch einen unsagbaren Reiz der Ferne und der Weite ausstrahlt. Man sucht vergebens seine Sprachkenntnisse aus allen vier Windrichtungen und auch jene in der Schule vorübergehend erworbenen dazu — aber vergebens. Nun, die Neugier wird gleich befriedigt. „Es ist Armenisch, was Sie da hören“, sagt der mich empfangende Pater. Wir sind im Mechitaristenkloster. Der Lärm der Großstadtstraßen verebbt. Ueber eine breite Stiege geht es zu einem Herzstück des Hauses der armenischen Wiener Mechitaristen — der Bibliothek mit ihren 150.000 Bänden.

Diese Bücherei ist derart vollkommen und spezialisiert in ihrer Art, daß Wissenschaftler aus aller Welt, wenn sie daheim die benötigte Publikation nicht vorfinden, keineswegs die Reise nach Wien scheuen. „In Wien werden Sie das Buch darüber schon finden“, das ist eine feststehende Redewendung. Der Franzose, der da im Vorraum zur Bibliothek über einem großformatigen Band gebeugt sitzt und die Papierbögen daneben mit Aufzeichnungen füllt', ist einer der Menschen, denen die kurze Nebengasse der Lerchenfelder Straße in Wien ein Begriff ist. Der Mann ist so vertieft in seine Arbeit, daß er das erstemal gar nicht die Vorübergehenden bemerkt und erst, als wir die Bibliothek nach Stunden verlassen, den Gruß erwidert. Draußen v'fstr“lcrrte]Ydef,' warmer Srßtsbmmert'ag. hier“ •“waltet1 *He'immer gleiche'Kühle des forschenden Geistes, für den Zeit und Raum im Augenblick keine Bedeutung haben. Wer Phantasie genug hat, hört dann, wenn die alten Handschriften und Zeitungen geblättert werden, die Flügel der Geschichte rauschen.

DIE GESCHICHTE des Mechitaristenklosters, das, nur wenige Minuten vom Herzen der Bundeshauptstadt entfernt, Konzentration und Weltweite in einem bedeutet, beginnt eigentlich mit dem Namen Mechithar von Sabaste, der zwischen 1676 und 1749 lebte. Eine leuchtende Gestalt, selbst heute geht von seinem Gemälde, davor wir eben stehen, mitreißende Wirkung aus. Er verwirklichte seinen Plan, eine klösterliche Gesellschaft nach europäischem Format zu gründen, am 8. September 1701 in Konstantinopel. Man wollte sich nicht bloß der eigentlichen Seelsorge und der Jugenderziehung der Union der getrennten Brüder widmen, die immer die Mehrzahl abgaben, sondern — und das ist eben heute jene durch die Wissenschaft der Welt wirkende unauslöschbare Linie — auch die einheimische Literatur und Geschichte erforschen. Die Sprache der Armenier, eine indogermanische, die der europäischen Gruppe der iranischen Sprachfamilie angehört, wird von dem gelehrten Pater Dr. Vahan Inglisian, der die Freundlichkeit hatte, mich zu führen, dem Slawisch-Litauischen an die Seite gestellt. Das für die armenische Sprache passende Alphabet, das zehn Buchstaben mehr als das deutsche besitzt, wurde vor weit mehr als 1500 Jahren durch den heiligen Mesrop erfunden. Damit war die Grundlage zu einer lebhaften literarischen Tätigkeit gelegt. Binnen vierzig Jahren, von 407 an, wurden die Heilige Schrift, die liturgischen Bücher, zahlreiche Väterwerke in griechischer und syrischer Sprache ins klassische Armenisch übersetzt. Die Bedeutung dieses Vorganges kann kaum überschätzt werden: sind uns doch manche Väterwerke, deren Originale verlorengingen, nur in der armenischen Uebersetzung erhalten geblieben.

GLEICH DEM ARMENISCHEN VOLK, das ein wahres Mar: 'um hinter sich hat und die

Fülle seiner Leiden auch heute, in einer Zeit, die von Menschenrechten und Humanität redend aufsteht und schlafen geht, kaum ausgeschöpft hat, mußte sich das Werk Mechithars unter fremdem Himmel eine Heimstatt suchen. Das war zunächst zu Methone in Griechenland, dann seit 1715 auf der Laguneninsel San Lazzari bei

Venedig. Im Jahre 1773 trennte sich eine beträchtliche Zahl der „Padri Armeni“ und ließ sich in Triest nieder, bereits unter dem Namen „Mechitaristen“. Diese Niederlassung wurde vom Apostolischen Stuhl gleich als selbständige Kongregation anerkannt. Die Kaiserin Maria Theresia gab ein aus 53 Artikeln bestehendes Privileg am 30. Mai 1775, neben Kloster und Kiiche auch eine Druckerei zu errichten. Von Napoleon im Jahre 1810 ausgewiesen, kamen dann die Mechitaristen nach Wien, wo ihnen Kaiser Franz I. eine Niederlassung bewilligte. In das alte, verlassene Kapuzinerkloster „Am Platz!“ zogen sie 1811 ein.

SO ENTSTAND IN WIEN das einzige armenische Kloster mit angeschlossener Kirche im ganzen deutschen Sprachraum, so erwuchs die erste aimenische Druckerei, deren Ruf sich weithin verbreitete. Wer diese Druckerei heute sieht, da die Zeiten des k. k. Schulbücherverlags mit seinen fremdsprachigen Publikationen ebenso vorbei sind wie die Tage, da man hier die ungarischen Münzscheine zu sechs und zu zehn Kreuzer herstellte, der kann sich über den Reichtum an Schriftarten kaum fassen. Die Buchdruckerei der Wiener Mechitaristen gilt als die reichste an armenischen Brot- und Zierschriften — rund 70 verschiedene Arten mit eigenen Matrizen. Der Ruhm dieser Druckerei, von der man weder bei Fremdenführungen noch in Reiseführern etwas vernimmt, bestimmte alle armenischen Druckereien der Türkei, Rußlands, Frankreichs, der Schweiz, Englands und Amerikas sowie andere polyglotte Druckereien Europas dazu, die armenischen Lettern der Wiener Druckerei einzuführen.

ARSCHAK TSCHOBANIAN hob in seinem 124 in Paris armenisch erschienenen Buche die philologische Wirksamkeit der Wiener Mechitaristen mit den Worten hervor: „Die Mechitaristen, beeinflußt unmittelbar vom griechischen und lateinischen Geiste, haben in alle Zweige der Wissenschaft Licht und Ordnung gebracht ... die Mechitaristen von Wien, durchdrungen vom Einfluß der deutschen Atmosphäre, haben in die historischen, linguistischen, archäologischen Studien jene wissenschaftliche Gewissenhaftigkeit und Genauigkeit gelegt, wie es ein europäischer Gelehrter tun würde...“ Ein Name wie der Pater N. Akinians, der die bahnbrechende Zeitschrift „Handes Amsorya“, Zeitschrift für, armenische Philologie, seit 1909 leitete und 1954 in Würdigung seiner wissenschaftlichen Leistung das Ehrendoktorat der Wiener Universität erhielt, ist weit über den Kreis der Fachwelt hinausgedrungen. Vor mir liegt ein Band der genannten Zeitschrift. Sie ist in armenischer Sprache gedruckt, aber bietet zugleich eine deutsche Zusammenfassung der Artikel. ..• ,

EIN TOR ZUM SÜDOSTEN, ein Verl- -dungsfaktor ersten Ranges hinsichtlich des ganzen Orients in einer kleinen Nebengasse eines .iVieaeif-JSezkksi-. Die- echs--österrefiAisdie Gesinnung der Kongregation hat sichrm Laufe der Jahre wiederholt erwiesen. Sie hätt£ es sich zuweilen leichter machen können. Nach dem ersten Weltkrieg, als die Wirtschaftsnöte des klein gewordenen Landes, das zudem von einer politischen Krise zur anderen schlitterte, keine wirksame moralische Unterstützung und keine finanzielle Sicherstellung gestatteten, hat eine auswärtige Großmacht den Wiener Mechitaristen das Angebot gemacht, statt der deutschen die betreffende Landessprache in den Unterrichtsplan der Orientschulen aufzunehmen, wofür man Geld, Lehrkräfte und Lehrmittel geben wollte. Dieses verlockende Angebot lehnten die Wiener ebenso energisch ab, wie sie das bereits 1880 hinsichtlich der Schule in Smyrna einmal taten. Der österreichische Vizekonsul hat damals in seinem Bericht an das Außenministerium die „unzweifelhaft österreichische Gesinnung“ hervorgehoben und betont, daß die Schule „den besten Lehranstalten Smyrnas ebenbürtig ist“. Im Oesterreichischen Staatsarchiv bewahrt man den Brief eines der besten Kenner der Lage, Baron von Ottenfels, auf, der vor mehr als 120 Jahren von den Wiener Mechitaristen schrieb: „Oesterreich hat das Verdienst, diese frommen Geistlichen für ihr mühseliges und gefährliches Amt herangebildet zu haben.“ Die Schularbeit, beste österreichische Tradition, wurde auf dem Balkan, als noch die politischen Verhältnisse anders waren, gegen Ende der dreißiger Jahre, von den bulgarischen Schulinspektoren anerkannt. Die nach Wiener Mustern ausgeführten Handarbeiten fanden in der Mechitaristenschule von Philippopel, die als „einzig an Geist und Tiefe auf der Balkanhalbinsel“ bezeichnet wurde, volle Anerkennung.

DIESE STÄTTE ALTER KULTUR, Zeiten überdauernd, verdient gerade jetzt nachdrückliche Förderung, da von den einst 15 Bistümern auf türkischem Gebiet nur noch vier bestehen, da in der heutigen Türkei die Vorgänge während des ersten Weltkrieges, als eine Million glaubenstreuer Armenier niedergemetzelt wurde, weil sie nicht zum Islam übertreten wollten, längst, wenn auch schmerzliche Geschichte geworden sind. Dieses über alle Grenzen wirkende Haus in Wien ist eine Botschaft des Geistes und des Glaubens, frei von Zwang, ein Leuchtturm über sturmbewegten Völkerwellen. Mehr als das Blei in den Geschützen vermag das Bio' in den Setzmaschinen.

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