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Im Banne der Geschichte

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Der Mann, ohne den weder das Deutsche Reich noch Italien entstanden wären, interessiert natürlich den Historiker; der Abenteueret, der Kaiser wurde und im Exil starb, der Schürzenjäger, der eine Liebesheirat schloß, interessiert jeden Leser. Ein Lebensbild Napoleons III. wird daher gewiß Beifall finden. Aber es ist schon ein Gfrett mit den Übersetzerinnen. S. 315 wird der „Rücktritt“ des Präsidenten Faure erwähnt (im Original „demise“, klingt wie „Demission“); der Ärmste war aber mausetot. Und — wieder einmal eine Biographie ohne Illustration.

NAPOELON III. Ein demokratischer Despot. Von T. A. B. C orley. Gekürzt übersetzt von Liselotte Mickel. Originaltitel: „Democratic Despot. A life of Napoleon III.“ Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart, Seiten.

Der österreichische katholische Leser blickt wohl zuerst mit Befremden auf die Erinnerungen eines Mannes, der sich zeitlebens gegen die alte Monarchie und abseits unserer Kirche gestellt, der sich zeitlebens zu den tschechischen Reformatoren und zu deren Imitation durch Masaryk bekannt hat. Seine Erzählung beginnt damit, wie sein Gewissen dem Kriegsdienst in der alten Armee widersprochen hat, und mit welcher Freude er am Ende des ersten Weltkriegs den kaiserlichen Namenszug von seiner Mütze entfernte.

Jawohl — aber die gleichen Gewissensbedenken brachte er gegen den Dienst in der tschechoslowakischen Armee vor; also nicht zweierlei, sondern einerlei Maß. Und mit diesem Maße hat Pitter auch in den vierziger Jahren gemessen. Er hatte schon in der Republik angefangen, verwahrloste Kinder zu betreuen. Während des Krieges betreute er jüdische Kinder —- natürlich schwarz, und daher. größtenteils endlich umsonst. (Aber wer weiß, wie sich einige Wochen freundlicher Pflege an solchen Kindern in der Vierten Dimension auswirken?) Nach dem Krieg hat er deutsche Kinder betreut, und das war in der Nachkriegs-Tschecho- slowakei nicht viel weniger schwie rig. Immerhin: Jan Masaryk hat ihm zu helfen gesucht. Und dann…„Mit Hilfe bewaffneter Werksmilizen gelang den Kommunisten der Putsch“ (für den heutigen Österreicher ist an diesen Worten etwas dran) — man schrieb 1948. Nun, Pitter war ja zeitlebens links gestanden — nicht nur nach schwarzgelben, nicht nur nach nationalistischen, sondern nach allen bürgerlichen Maßstäben. Aber — so hatte er es ja nicht gemeint. Was er links gesucht hatte, war Abrüstung, nicht Aufrüstung, Freiheit, nicht Totalität, Liebe, nicht ausdrücklicher, eingestandener, pflichtgemäßer Haß. Also ist er in die Emigration gegangen — und kam in das Lager Valka. (Das war jenes Lager in Franken, wo einige Leute erst kommunistisch geworden sind, weil sie die sogenannte freie Welt nur durch Gitter angeschaut haben.) Endlich wurde er wirklich frei, und erzählt uns heute seine Tätigkeit.

UNTER DEM RAD DER GESCHICHTE. Ein Leben mit den Geringsten. Von Pfemysl Pitter. Aus dem tschechischen Manuskript übersetzt von Kurt Maria Ruda. Rotapfel, Zürich. 166 Seiten, 6 Bildtafeln.

Der Versuch ist mißlungen, Hitler so zu töten, daß dem deutschen Volk die letzten Tiefen der Erniedrigung (dieses Wort in beiderlei Sinn genommen) erspart würden. Der Versuch ist so denkwürdig, daß an ihn eine ganze Literatur gewendet worden ist. Der Verfasser des einen Werks hat nun eine kleine Sammlung von Arbeiten veröffentlicht, die deutsche und nichtdeutsche Autoren verschiedenster Standpunkte über den 20. Juli geschrieben haben. Methodisch wäre gegen einen solchen Band dies und jenes einzuwenden, zumal der Herausgeber sich absichtlich eines solchen Kommentars enthält, der dem Leser sagen würde, welcher von den zur Blütenlese herangezogenen Autoren denn nun Richtiges und welcher Falsches gesagt hat. Doch wie immer dem sei — man muß dankbar sein für das Erscheinen eines neuen Buches, das dem Andenken jener Männer dienen soll, die für Deutschlands Ehre ihr

Leben wissentlich dargeboten haben.

Manche Schwierigkeiten sind dem Herausgeber daraus entstanden, daß “in Großteil des Bandes Übersetsungen sind — und es ist eine eigene Sache um Übersetzungen. Niemöller war wohl ein „flre-eater“, ein begeisterter Wagehals, ein streitlustiger Rufer und Donnerer — aber kaum das, was wir Im Deutschen einen „Feuerfresser“ nennen. Das war eher Goebbels: Feuerfresser, Säbel- schlučker, Lieferant von Kaninchen aus Hüten…

Ernsthafter ist das sprachliche Problem in dem Beitrag des sowjetischen Forschers. Systematisch geht es in seinem Beitrag um „Faschismus“ und „Antifaschismus“. Wenn es mehr solcher Bücher gäbe, wo diese Sprachregelung so deutlich als das erscheint, was sie ist, nämlich als eine bewußte zweckhafte Geschichtsfälschung, dann würde wohl endlich jemand systematisch gegen diese Summe aus Äpfeln und Birnen, die sich unter der Vokabel „Faschismus“ verbirgt, ankämpfen. Nebenbei bemerken wir, daß der Herausgeber den sowjetischen Beitrag neben einen solchen gestellt hat, der auf den sowjetischen „Antifaschismus“ allerhand ungünstige Lichter wirft. Daß auch die Deutschlandpolitik der Westmächte schlecht wegkommt, ist natürlich.

20. JULI 1944. Die deutsche Opposition gegen Hitler im Urteil der ausländischen Geschichtsschreibung. Eine Anthologie. Herausgegeben von Hans-Adolf Jacobsen, Veröffentlicht durch das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Bonn. 350 Seiten.

Ein Werkchen, bezeichnenderweise nicht im Druck erschienen, nur vervielfältigt, wird sonst wohl nicht in der Presse rezensiert. Und doch gebührt alle Aufmerksamkeit einer Arbeit, die ein ehrenvolles Stück österreichischer Kriegsgeschichte behandelt. Das k. u. k. böhmische Dragoner-Regiment Graf Paar Nr. 2, gegründet 1672 als Caraffa-Kürassiere, bewahrte im ersten Weltkrieg den 1683 vor Wien, 1809 bei Wagram, 1813 bei Leipzig, 1866 bei Königgrätz erkämpften Ruhm. Nach dem Ende (sage und schreibe: nach dem Ende) der Monarchie wußte sich das Regiment der Gefangenschaft zu entziehen und bis Wiener Neustadt geschlossen zurückzumarschieren. (Der Stamm des Regiments wurde mit dem nicht minder ruhmreichen Regiment Windischgrätz-Dragoner Nr. 14 zum tschechoslowakischen Dragoner-Regiment Nr. 4 vereinigt.)

DAS ENDE EINES STOLZEN REGIMENTES. Mit dem 2. k. u. k. Dragoner-Regiment an der Piave. Von Ernst Putz. Selbstverlag. 38 Seiten.

Der Gemahlin eines Königs von England kommt keine direkte politische Aufgabe zu. Doch wer ermißt genau, welchen Anteil an Englands erster Wendung gegen Deutschland der Umstand hatte, daß die liebreizende, allbeliebte Königin Eduards VII., die Tochter des 1864 besiegten Dänenkönigs war? Niehl nur die Königin, auch eine Schönheitskönigin war sie, als England im Glanz der für Indier neuangenommenen Kaiserkrone, irr Genuß aller Vorteile seines industriellen Vorsprungs, im Schutz unumstrittener Thalassokratie die bequemste Lebensart aller Zeiten entwickelte. Das Leben einer liebenswerten Fürstin in dieser „schöner Epoche“ wird uns in einem Stil geschildert, der nachgerade selter ist; ohne Schmeichelei und Rührseligkeit, auch ohne respektloser Grobianismus und psychopathologische Ferkelei. Auch die Übersetzung des netten Buches isl anständig, bis auf wenige Entgleisungen, wie das typisch zeitungsdeutsche „großschreiben“ für „wichtignehmen“. Solche Vulgarismen ma; jemand in eigenen Schriften verwenden, wenn’s ihn freut; ein Übersetze: sollte sie einem fremden Autor nich in die Schuhe schieben. Sonst hörer wir noch einmal von der Kanzel die Schöpfungsgeschichte enden: „unc Gott sah, es ging in Ordnung!“

ALEXANDRA. Königin an de:Seite Eduards VII. Von Georgina Battiscombe. Übersetzt von Christian Spiel. Biederstein, München. 330 Seiten, 8 Abb.

Man ist heute soweit, daß jeder Gebildete etwas von Byzanz wissen will. Doch auch „Byzanz nach Byzanz“ ist wissenswert. Auch bei Neu-Rom soll der Gebildete, und vor allem der Österreicher, wissen: „Das blieb vom Doppeladler.“ Den Autor des gegenwärtigen Buchs braucht man nicht lange vorzustellen; der Schilderer der Kreuzzüge, des ‘Zeitalters der Komnenen und Angeloi, des Glücks und Endes der Paläologen ist der Berufenste, um auch die Türkenherrschaft darzustellen. Und durch Gottes Zulassung ist das Thema hochaktuell; in Moskau sehen wir heute einen Patriarchen, der nur mit Willen der Ungläubigen seinen Stab ergreifen kann… Kurz, Autor und Thema empfehlen dieses Buch aufs stärkste dem Interesse des bewußten Katholiken…

DAS PATRIARCHAT VON KONSTANTINOPEL, vom Vorabend der türkischen Eroberung bis zum griechischen Unabhängigkeitskrieg. Von Steven Runciman. Übersetzt von Peter de Mendelssohn. Verlag C. H. Beck, München. 490 Seiten.

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