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RANDBEMERKUNGEN zur woche

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ZWEI HÖHEPUNKTE DES KANZLERGESUCHES

in Bonn, beide abseits des betriebsamen politischen und gesellschaftlichen Lebens: Einmal der Besuch im Geburtshaus Beethovens, das inmitten der noch immer nur zu deutlich die schweren Male des Krieges tragenden Altstadt erhalten geblieben ist. „Rhein und Donau sind einander wieder näher gerückt.“ Dieses Wort des österreichischen Regierungschefs mag vielleicht etwas konventionell klingen. Hier, an dieser Stelle spürte man, daß es doch viel mehr sagte. Hier wurde einem aber auch in Erinnerung gerufen, welcher Art die Bindungen sind, die zu allen Zeiten die besten Krälte und Geister des deutschen Raums mit Oesterreich verbunden haben. Der zweite Höhepunkt: Das über eine Stunde währende „Gespräch unter vier Augen“ dsr beiden Regierungschefs. Nachdem die offene Frage, ob und wie die als nicht gerade redselig bekannten beiden Männer sich menschlich näherkommen würden, schon in der ersten Stunde eine positive Antwort gefunden hatte, stand einem intimen Gedankenaustausch über die weltpolitische Situation kein Hindernis mehr im Wege. Die Ereignisse in Osteuropa bildeten eine dramafische Kulisse für dieses Gespräch. Allgemein darf behauptet werden, dafj die offensichtliche Zurückhaltung und die gar nicht so geheimen Zweifel, die das offizielle Deutschland noch vor Jahresfrist mitunter gegenüber dem österreichischen Staatsvertrag und der österreichischen Neutralitätspolitik eingenommen haben, nun einer vollen Aufgeschlossenheit und einem uneingeschränkten Verständnis Platz gemacht haben. Wer mit dem Bonner Besuch, der doch nur die Bemühungen, die österreichisch-deutschen Beziehungen jenseits aller Schalten der Vergangenheit ins richtige Geleise zu bringen, abschließen sollte, andere Erwartungen verknüpfte, mußte zwangsläufig enttäuscht werden. Das gill für jene, die vielleicht eine volle Bereinigung des unter dem Namen „Deutsches Eigentum“ bekannten dornigen Fragenkomplexes erwartet halfen. Dabei war dies doch von allem Anfang klar, war doch die Reise ohne jeden Experten angetreten worden. Wohl aber wurde von österreichischer Seite mehr als einmal betont, daß die Frage des sogenannten „Kleinen deutschen Eigentums“ — und sie dürfte wohl die vordringlichste sein — so gut wie gelöst erscheint. Zur allseitigen Zufriedenheit. Freilich: Der Staatsvertrag weist klipp und klär die Möglichkeifen, aber auch die Grenzen österreichischer Konzessionsbereitschaft. Enffäuschf wurden auch jene Kreise, die Bonn in der Südfiroleir Frage engagiert sehen möchten. Auf eine diesbezügliche Frage erklärte Kanzler Raab klipp und klar auf einer Pressekonferenz, dafj Südfirol eine Angelegenheit sei, die Oesterreich und Italien allein beschäftigen müsse. — Die Aufnahme des österreichischen Regierungschefs durch die deutsche Oeffentlichkeit war gut, die deutsche Presse fand durchweg freundliche, nicht selten herzliche Worts für den Gast wie für das von ihm vertretene Land. (Gallige Zwischentöne, wie sie auch diesmal in der als nicht überaus öster-reichfreundlichen „Frankfurter Allgemeinen“, die als Sprachrohr bestimmter industrieller Kreise gilt, zu vernehmen waren, und das reichlich deplacierte „Feuilleton“ eines Wiener Literaten in einem rheinischen Blatt, blieben Randerscheinungen.) Bundeskanzler Raab, der adf der Rückfahrt in seinem Sonderzug die Bilanz seines Bonner Besuches gezogen hat, darf zufrieden sein. Der grofje „österreichisch-deutsche Ausgleich“, der uns allen ein ehrliches Anliegen ist, die freundschaftliche Verbundenheit fern aller zwielichtigen Randerscheinungen vergangener Tage, sind auf gutem Wege. Der Gegenbesuch Dr. Adenauers in Wien, der für kommendes Frühjahr angekündigt ist, wird nur der äufjere Ausdruck dieses Wandels sein.

82 NATIONEN STIMMTEN FÜR ÖSTERREICH, als der Generalversammlung der Afomkonferenz die Stadt Wien als Sitz der Internationalen Atomenergiebehörde vorgeschlagen wurde. Dieser Entscheid, um den sich die Bundesregierung bemühte, isf in mehrfacher Hinsicht als ein Zeichen der hohen Achtung des freien und neutralen Oesterreich inmitten einer vom Fieber der Ideologien geschüftelfen Welt bemerkenswert. In unserem Lande hat Fritz Pregl, der Entwickler der organischen Mikroelemenfaranalyse gearbeitet und 1928 den Nobel-Preis erhalfen. Im gleichen Jahre sind die ersten Darlegungen von Erwin Schrödinger, dem Schöpfer der Wellenmechanik, erschienen, 1933 hat er gemeinsam mit Dirac den Nobel-Preis für die Arbeiten auf dem Gebiete der Quanten- und Elekfronentheorie bekommen. In Oesterreich lebte und wirkte Vikfor Franz Heß, der aus der Steiermark stammende Physiker, Entdecker der kosmischen Strahlung und Träger des Nobel-Preises für Physik im Jahre 1936. Wien isf die Geburfsfälte von Lise Meitner, die Schülerin Plancks, die 1936 mit Hahn das Element Nep-funium entdeckte und 1939 mit Frisch am Beispiel des Urans die Kernspaltung demonstrierte. Wien wurde also als wissenschaftliches Zentrum geehrt, zugleich aber auch als Garant einer friedlichen Auswerfung der Atomenergie. Die österreichischen Wissenschaftler sahen immer ihr Lebensziel in einer Arbeit, deren Früchte der gesamten Menschheit zugute kommen sollten. Diesen humanistischen Geisi hat denn auch der Chef der österreichischen Delegation, Botschafter Maisch, ausdrücklich hervorgehoben. Wenn es irgendwo gelingen kann, dem Atomwahn der Rüstung vor aller Welt ein Halt zuzurufen, dann gelingt dies im Kommandosfand der Brücke Oesterreich, in Wien. Für Stadt und Staaf erwachsen aber aus der Wahl Wiens zum Sitze der Internationalen Atomenergiebehörde unabdingbare Verpflichfungen, unseren wissenschaftlichen Instituten und ihren Lehrkräften jene Mittel zu gewähren, um die größtenteils noch qerungen wird.

ANKARA ÜBERPRÜFT SEINE AUSSENPOLITIK.

Nicht von ungefähr hat der türkische Ministerpräsident, Adnan Menderes, eine Reise in den türkischen Süden, zu einer Freundschaftskundgebung für die arabischen Nachbarstaaten benützt. Nach dem Hinweis auf die religiöse, geschichtliche und soziale Verbundenheit unterstrich Menderes die Bedeutung der „Ereignisse jenseits unserer Grenzen“, die von der Türkei mit großer Aufmerksamkeit verfolgt werden. Angesichts der vielen Unsicherheits- und Spannungsmomente im Nahen Osten, im gegenwärtigen Zeitpunkt, darf mit Recht angenommen werden, dafj der türkische Ministerpräsident den Zeitpunkt für diese Rede bewufjt gewähl hat. Auch dafj er im Anschluß an diese Rede den Hafen Iskenderun (das alte Alexandrefte), in der Nordostecke des Miffelmeeres aufsuchte — ein wichtiger Marinestützpunkt für die westliche Verfeidigungsfront —, geht über die Verbindung mit dem amerikanischen Projekt: eine neue Oel-leifung von Kuwait nach diesem türkischen Mitfelmeerhafen — unter Umgehung Syriens — zu bauen, weif hinaus. Die Türkei, die sich auf Veranlassung Londons und Washingtons auf die Politik des Bagdadpaktes fesfgelegf hatte, sieht sich durch die Haltung der neuen Regierung in Pakistan und Iraks freundliche Haltung auf Nassers Gewaltstreich hin, erneut isoliert. Wie sich denn überhaupt zeigte, dafj der Pakf mehr Beunruhigung als Befriedung auslöste. Zudem hof der Vorstofj — und Einflufj — der Sowjets, seit Ausbruch der Suezkrise, in den Ländern des Nahen Ostens stark zugenommen. Die Türkei sieht sich daher heute vor einem Dilemma: Ist es noch vertretbar, eine einseitige und starre pro-westliche Politik wetterzuführen, oder ist es angezeigt, sich um eine Besserung der Beziehungen zu den arabischen Nachbarstaaten zu bemühen, um aus der Isolierung auszubrechen? Noch hört man heute in der Türkei nur vereinzelt die Meinung, dafj „die Paktpolifik das Land teuer zu stehen kommt!“ Noch ist das — nicht nur politische — Anlehnungsbedürfnis an Amerika stärker, frotz der Enttäuschung über die schwankende und uneinheitliche Politik Anglo-Amerikas 'm Nahen Osten. Es scheint aber, dafj man sich heute in Ankara bemüht, seine arabischen Ressentiments beiseite zu schieben, und den gesamtarabischen Bestrebungen zumindest nichf mehr absolut ablehnend gegenüberzustehen. Verzögerl — zumindest erschwert — wird diese Erkenntnis für die Türken dadurch, dafj der Anstofj zur arabischen Einigung unter starker Betonung der islamitischen Solidarität vom Nil ausgeht.

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