6596875-1953_12_07.jpg
Digital In Arbeit

Um die Zeitungswissenschaft

Werbung
Werbung
Werbung

Einer der Mitbegründer der deutschen Zeitungswissenschaft, der von der Pike auf diente, zuerst als Schüler Aloys Meisters und Lektor für Zeitungskunde an der Universität Münster in Westfalen und dann von 1924 an durch ein Vierteljahrhundert als Dozent der jungen Disziplin an der Münchner Universität, spricht in diesem gemütvollen Erinnerungsbuch von den Anfängen seiner Wissenschaft Sie ist die Schlüsselbewahrerin für eines der jüngsten akademischen Forschungsreviere. Ihr Beginnen war schwer. Die Presseleute hielten nichts von der Theorie des Zeitungswesens, die

Verleger nichts von ihrer praktischen Verwendbarkeit, die eingesessenen Mächte der Wissenschaft nichts von ihrer Wissenschaftlichkeit, und das große Publikum machte sich überhaupt keine Vorstellung, daß die Ware, die man um wenige Pfennige beim nächsten Straßenverkäufer erstand, zu einer Kategorie geistiger Ordnung gezählt werden könnte. Die Erfahrungen der ersten Pfadfinder der Pressekunde waren sohin ausgemacht schlecht. D'Ester sagt von Aloys Meister: „Viel Ungemach und Leid hätte er sich ersparen können, wenn er seine Hände von der Presse und ihrer Wissenschaft gelassen hätte.“ Damals in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts versagte der Staat ihm jede finanzielle Unterstützimg. Nur glühende Optimisten konnten trotzdem in dem Versuch ausharren, aus dem Wissen um Entstehen und Wesen der Presse eine wirkliche Wissenschaft zu gestalten.

Der Oesterreicher nimmt wahr, daß die Musen nicht nur bei ihm daheim, sondern auch anderwärts auf Schmalkost gesetzt sind. D'Ester, dieser Sohn einer alten Patrizierfamilie, die aus der Gegend von Malmedy ins Rheinland übersiedelt war, war ein solcher. In ihm wirkte eine reiche ererbte Kultur. „Der Traum meines Lebens war“ — wie er von sich erzählt —, „für die Wissenschaft von der Presse ähnliche Einrichtungen zu schaffen, wie sie für andere Wissensgebiete längst selbstverständlich waren. Statt aber von vornherein großzügig Institute zu errichten, behalf man sich mit allerlei Flickwerk und überließ es dem Idealismus einzelner, das zu leisten, was die Aufgabe des Staates gewesen wäre.“ Noch zurückschauend auf seine eigene, trotz aller Widerstände erreichte bedeutende Leistung für die Erforschung des Zeitungswesens, seiner Herkunft und Geschichte, seiner inneren, zuweilen fast rätselhaften Kräfte, seiner aufbauenden und zerstörenden Gewalten, sagt d'Ester mit einer Bitterkeit, die, wie sein Buch zeigt, seinem Wesen sonst gar nicht eignet: „Hätte ich damals“ — am Beginn seiner akademischen Laufbahn — „geahnt, welchen Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten ich mich dadurch aussetzte, daß ich es wagte, mich wissenschaftlich mit der Großmacht Presse zu beschäftigen, ich weiß nicht, ob ich den Mut dazu aufgebracht hätte.“ Als Universitätsprofessor in Münster fand er nicht anders Unterkunft denn als Untermieter eines Schneidermeisters in einer Wohnung, die so feucht war, daß seine Kleider im Kasten verschimmelten; des Nachts schlief er im Bett mit einem Stock bewaffnet, um sich der Ratten erwehren zu können. Eines Tages hatte der Herr Universitätsprofessor kein elektrisches Licht in seiner Behausung mehr, weil übe« seinem Kopf plötzlich das kleine Haus demoliert wurde, da eine Bank den Platz brauchte, und wohl für den Schneidermeister, aber nicht für den Herrn Professor gesorgt hatte. Das war vor 30 Jahren in der schönen Hochschulstadt Münster. Aber Karl d'Ester war von einer Idee erfaßt, die ihn doch über alle Barrieren springen ließ. Ihn fasziniert« die ungeheure, unsichtbare und doch im Guten und Bösen erkennbar werdende Macht der Presse, Er sieht sie an vorderster Stelle unter den Mächten, die heute die Welt formen. Sie ist die Macht, welche die Geschichte ganzer Völker und großer Staaten lenkt; diese Macht zu erkunden, ihre technischen und geistigen Mittel, die Psychologie der Zeitung und die Psychologie der Menschen, die ihrem Einfluß verfallen, die vielfältigen Geheimnisse dieses Imperiums der Presse, die nicht mehr, wie Napoleon sagte, die fünfte, sondern heute die erste Großmacht ist, sah d'Ester als die große Aufgabe der Wissenschaft an, der er das heiße Bemühen eines Kämpfers schenkte. Ihm ist dabei deutlich, daß seine Forschung auch der Mission zu dienen hat, das Verantwortungsbewußtsein aller jener zu stärken, die an Zeitungen und Zeitschriften tätig sind. Denn nach seiner Ueberzeugung steht die Presse auch an erster Stelle jener Kräfte, die für den Abbau des Hasses unter den Menschen und für eine friedliche Verständigung der Völker eingesetzt werden können. Dafür sei das Erstehen einer internationalen Pressewissenschaft notwendig.

An seinem Lebensabend kann der Gelehrte, der voriges Jahr seinen 70. Geburtstag beging, auf ein Werk von seltener Fülle zurückblicken. Er war ja Pfadfinder, er mußte für seine Wissenschaft erst Wege auf einem noch nicht urbar gemachten Boden erschließen und Quellen einfangen. Eine von ihm in München geschaffene Bibliothek von 30.000 Bänden behandelt in einer erstmaligen Schau das internationale Zeitungswesen; sie wird ergänzt durch eine Dokumentensammlung zur Geschichte und Organisation der Presse, eine typolo-gische Sammlung von 10.000 Beispielen aus der Weltpresse, eine Porträtsammlung von bedeutenden Persönlichkeiten des Zeitungswesens und durch sein gemeinsam mit Walther Heide von 1926 bis 1941 geführtes Fachblatt für wissenschaftliche Behandlung des Zeitungswesens, das einzige internationale Organ dieser Art. Mit diesen nackten Angaben ist der Ertrag eines mit unermüdlicher Zähigkeit verfolgen bewunderungswürdigen Aufbauschaffens markiert „Wenn mir in bescheidenem Rahmen Räume, finanzielle Mittel und Sachbearbeiter zur Verfügung gestellt würden“, so vermerkt bescheiden Karl d'Ester, „so könnte in München das erste internationale Pressemuseum entstehen.“ Aber erst nach zehnjähriger Tätigkeit an der Münchner Universität und nachdem sein Fach Promotionsrecht erhalten hatte, erhielt er die Ernennung zum ordentlichen Professor. Aber auch dies war nur ein Titel ohne Mittel, jedoch mit allen einem Ordinariat zugehörigen Verpflichtungen. Im Dritten Reich wurde die Besoldung des Gelehrten, der als Gesinnungskatholik bekannt war, „aus politischen Gründen“ abgelehnt; nicht anders erging es ihm 1947, als er, vom bayrischen Kultusministerium warm unterstützt um den Ordinariengehalt einkam — sein Ansuchen wurde aus „grundsätzlichen Erwägungen“ abgelehnt Selbst die Sekretärin seines wissenschaftlichen Institutes mußte er jahrzehntelang aus eigenen Mitteln besolden. Dr. Friedrich F u n d e r

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung