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An der Wiege der modernen Nachrichtentechnik

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Am 18. Dezember 1951 starb in Wien der international bekannte Pionier der modernen Nachrichtentechnik und Gründer des Schwachstrominstituts an der Wiener Technischen Hochschule Ernst Felix Petjritsch. Auf einer Trauersitzung der Wiener Katholischen Akademie, deren Vizepräsident Hofrat Dr. Ing. Petritsch war, würdigte Prof. Fritz Regler da6 bedeutende Lebenswerk des Forschers in einem eindrucksvollen Nachruf, den wir im folgenden auszugsweise wiedergeben.

,Die österreichische Furche’

Ernst Felix Petritsch hatte vor nunmehr genau 50 Jahren seine Studien an der Wiener Technischen Hochschule unter Radinger, Reithoffer und Hočhenegg sowie an der Universität unter Ernst Mach, Stephan Meyer, Wilhelm Jerusalem und Laurenz Müllner abgeschlossen und war in Triest bei der österreichischen Post eingetreten, wo er als Bauleiter im Küstenland Verwendung fand.

Damals war der Nachrichtenverkehr eine ausschließliche Domäne der Telegraphie. Die Telephonie war auf Freileitungen — wie auch heute noch — stark von Witterungseinflüssen abhängig und überdies mit tragbarem Kostenaufwand nur bis Entfernungen von etwa 1000 Kilometer möglich. Bei Kabeln, die ausreichende Betriebssicherheit zum Beispiel uch im Winter boten, war die Entfernung sogar auf 50 bis 100 Kilometer beschränkt. Alle Versuche, brauchbare Telephonrelais (Verstärker) zu bauen, waren mißglückt. Und obwohl man seit Thomson und Heaviside wußte, daß größere Selbstinduktion die Ubertragungseigenschaften von Leitungen verbessern sollten, waren auch alle Versuche, diese anscheinend paradoxe Voraussage zu verwirklichen, erfolglos geblieben. Eben damals tauchte jedoch Pupijns Vorschlag, eine Durchführungsvorschrift zur Erhöhung der Selbstinduktion, auf, und Siemens & Halske übernahmen die europäischen Patente Pupins: auch im Jahre 1902.

Bereits 1903 wurde Petritsch nach Wien in die sogenannte Telegraphenzentral- lėitung im Handelsministerium berufen, wo er nunmehr an allen technischen Entwicklungsarbeiten der folgenden Jahre auf dem Gebiete der Telegraphie und Telephonie teilnahm. Es war die Zeit, da die Entwicklung der Nachrichtentechnik immer raschere Fortschritte zu machen begann. Noch galt der Telegraphenverkehr als wichtigstes Mittel zur Förderung der Handelsbeziehungen im Inland wie mit dem Ausland, was in dem mustergültigen Ausbau der Telegraphenzentrale am Börseplatz in Wien 1906 bis 1908 zum Ausdruck kam. Gleichzeitig wurde Pionierarbeit in der Selbstanschlußtechnik geleistet, um den Fernsprechvermittlungsdienst in den größeren Städten auf eine Wirtschaftliche Basis zu stellen; d i e ersten automatischen Telephonzentralen wurden iij Graz 1908 und Krakau 1910 gebaut.

Nach einigen Arbeiten über Holzkonservierung konnte sich der junge Ingenieur auf sein Hauptgebiet, die Übertragungstechnik, konzentrieren. Mit Begeisterung, Ausdauer und großem Erfolg arbeitete er theoretisch und praktisch über Pupin-Freileitungen, Pupin-Kabel, Seekabel in der Adria, über die Dämpfung, das Winkelmaß, die Wellenwiderslände, das Nebensprec’ien usw., lauter damals ziemlich dunkle Begriffe, für die es nicht einmal noch einheitliche Maße gab. Eine Reihe von Veröffentlichungen machten bald seinen Namen bekannt. Bereits 1910 war er auf der internationalen Konferenz der Telegraphen- und Fem- sprechingenieure in Paris der Vertreter Österreichs und konnte wertvolle Verbindungen anknüpfen. Auch wurde ihm die einzige Frankesche Maschine Österreichs anvertraut, mit der er eingehende Messungen durchführte.

Damals, kurz vor dem ersten Weltkrieg, bahnte sich die Erkenntnis an, daß die Pupinisierung allein, trotz ihrer ungeheuren Vorteile, für die Bewältigung weitester Entfernungen nicht ausreichend sei, insbesondere weil erhöhte Betriebssicherheit, die sich nur mit Kabeln erreichen läßt, immer mehr in den Vordergrund trat. Der Ruf nach dem Femsprech- relais wurde immer dringender, und eben damals reichten Lieben, Strauß, Reiß, mit denen Petritsch zusammenarbeitete, ihr grundlegendes Patent ein. Nur mit den danach gebauten Verstärkerröhren konnte Petritsch im Krieg als Telegrapheningenieur eine Verbindung zwischen den Fronten von Konstantinopel über Budapest an die Westfront hersteilen.

Nach dem ersten Weltkrieg ergaben sich im technischen Dienst der Post- und Telegraphenverwaltung recht unerquickliche Verhältnisse. Anstatt den möglichst raschen Wiederaufbau des Nachrichtennetzes auf Grund der in der Kabel- und Verstärkertechnik in der Zwischenzeit gemachten Fortschritte in Angriff zu nehmen, wurde die Trennung der Telegraphenverwaltung von der Post durchgeführt. Alle Versuche des damaligen Oberbaurates Petritsch, sich dieser Entwicklung zu widersetzen und die Aufmerksamkeit der Staatsverwaltung auf die vorliegenden, so dringenden praktischen Aufgaben zu lenken, waren vergeblich. Durchdrungen von dem Bewußtsein der großen Aufgaben, die die weitere Ausgestaltung des Nachrichtennetzes für den Wiederaufbau der Wirtschaft und die Festigung des Friedens bildet, trat er, mit dem Titel eines Ministerialrates ausgezeichnet, in den Ruhestand und folgte als Spezialist für Kabel und Verstärker dem Rufe der holländischen Staatstelegraphenverwaltung nach Den Haag.

Hier eröffnete sich ihm eine überaus große und vielversprechende Aufgabe: die Durchführung des Neuaufbaues des Fernsprechnetzes Hollands mittels Kabel und Verstärkern und seine Eingliederung in den Weltnachrichtenverkehr. In diesem Zusammenhang hatte er sich in den Jahren 1922 bis 1926 mit der Projektierung und Legung von drei Telephonseekabeln verschiedener Type zwischen England und Holland zu befassen. Als besonderes Verdienst muß ihm angerechnet werden, daß er vorausschauend die Einführung sternverseilter Kabel förderte und mit der Verwendung sehr leicht belasteter Pupin-Leitungen sowohl für den Fernverkehr als auch für Rundfunkzwecke den Anfang machte. 1922 gelang ihm bereits die Herstellung der ersten, lediglich aus Kabeln und Verstärkern zusammengestellten internationalen Telephonverbindung London — Amsterdam, auf welche dann bis 1927 in rascher Folge durch Holland führende internationale Fernsprechwege nach Berlin, Hamburg, Basel, Kopenhagen, Stockholm, Oslo und Wien hergestellt’ wurden. Am Schluß seiner Tätigkeit in Holland nahm er noch an der Herstellung der kombinierten Funk-Kabel-Verbindungen von Europa nach Amerika und von Holland nach Holländisch-Indien teil. Während seines ganzen Aufenthaltes in Holland war er Mitglied des internationalen beratenden Ausschusses für den Fernsprechverkehr und beteiligte sich eifrig an der Ausarbeitung von Vorschriften und Normen für Ausbau und Ausgestaltung des Weltnachrichtennetzes.

Durch diese vielseitige Tätigkeit und seine Veröffentlichungen war Petritsch allseits so bekannt, daß nur er in Frage kam, als an der Wiener Technischen Hochschule die Erichtung eines Schwachstrominstituts beschlossen wurde. Und so folgte der damalige Hoofdingenieur der Telegraphie in den Haag 1928 dem Ruf seiner alten Alma mater. Dem Nachteil, daß er hier nichts, buchstäblich nichts, vorfand, stand der Vorteil gegenüber, daß er alles, das ganze Institut, den Lehrplan, die Vorlesungen, von Grund aus neu planen und nach seinen Wünschen einrichten konnte. Für diese Planung besuchte Petritsch in den Weihnachtsferien 1928 Deutschlands Technische Hochschulen und verwendete die folgenden Sommerferien zu einer Studienreise nach den USA. Die Mittel für das Schwachstrominstitut und seine Einrichtung waren ihm teils von den österreichischen Mini- . sterien, teils von der Schwachstromindustrie des In- und Auslandes fest zugesagt.

Derart begann 1929 auf einer Grundfläche von rund 400 Quadratmeter der Bau eines Flügels an der Rückseite des Elektrotechnischen Instituts, anfangs mit fünf, später mit acht Stockwerken. Die Fertigstellung des Instituts ging jedoch infolge der 1929 ausgebrochenen Weltwirtschaftskrise nur schrittweise vonstatten, ja, wurde eigentlich erst in den letzten Jahren von Petritsch erreicht. Sobald aber ein Stockwerk baulich fertig gestellt war, wurde M mit den technischen Einrichtungen und Apparaten versehen und in Betrieb genommen. 1934 konnte bereits eine Unterabteilung für Fernmeldetechnik im Studienplan neu eröffnet werden. 1936 wurde Petritsch als Stammitglied ln die Päpstliche Akademie der Wissenschaften aufgenommen.

Nach einer Pause von sieben Jahren an die Hochschule wieder zurüdegekehrt — 1945—.steckte sich Petrisch als Hauptziel, das Institut, das durch Verlagerungen und anderes gelitten hatte, wieder in Betrieb zu setzen und endgültig fertigzustellen. Wie vorbildlich ihm dies gelungen ist, beweist, daß ein sehr gut orientierter Besucher aus Amerika feststellte, es sei auch dort nicht Universelleres zu finden.

Besonders war es für Petritsch eine große Genugtuung und persönliche Freude, daß die Absolventen des Schwachstrominstituts von den großen Firmen und Forschungsanstalten des Auslandes bevorzugt aufgenommen wurden und sich auch in der Praxis bewährten.

Petritsch war bis an sein Lebensende publizistisch rege tätig (er veröffentlichte weit über hundert Arbeiten in sechs Sprachen), auch auf dem Gebiete der technischen Volksbildung, im österreichischen Normenausschuß und vielen anderen Vereinigungen. Sein größtes und bleibendes Werk ist aber zweifellos das Schwachstrominstitut an der Technischen Hochschule in Wien, das stets mit seinem Namen verbunden bleiben wird.

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