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Trend zu weniger strengen Regelungen

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Die Gentechnik entwickelt sich enorm rasch. Das bereitet der Gesetzgebung große Probleme, soll sie doch eine Technik steuern, über deren Folgen die Experten streiten.

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Die Gentechnik entwickelt sich enorm rasch. Das bereitet der Gesetzgebung große Probleme, soll sie doch eine Technik steuern, über deren Folgen die Experten streiten.

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Sorge vor unbekannten Spätfolgen, vor laborgemachten und dann durch nicht beherrschte Freisetzungspannen ausgelösten Umweltkatastrophen, vor sozialen und kulturellen Umbrüchen prägt die Gentechnikrechtspolitik. Dabei wird dort, wo es um Gentechnik in der Humanmedizin geht, eine subtilere Haltung gepflogen als dort, wo die Gentechnik im landwirtschaftlichen (besser: agrarindfi'striellen) Ertragssteigerungsinteresse in Verwendung genommen wird. Aber diese durchaus vorhandene Differenzierungsfähigkeit geht im politischen Getöse meist unter.

Wo also wohldosierte Differenzierung angezeigt wäre, etwa zwischen „grüner” und „roter” Gentechnik, zwischen den Gefahren der Technologie „an sich” und denen, die erst aus deren Einsatz drohen könnten, da herrscht eine Alles-oder-nichts-Haltung.

Das wird so nicht eingestanden, von beiden Seiten nicht: Auch jene, die die Gentechnik gar nicht mögen, drängen natürlich „nur” auf ein möglichst dichtes Regelwerk und nicht auf ein illusorisches Verbot, meinen damit aber doch das Errichten von Barrieren, die so hoch sind, daß potentielle Betreiber von Gentechnik diese nicht machen - zumindest nicht bei uns.

Die Betreiber hingegen, Forscher und Wirtschaft, letztere oft unter der scheinbar neutralen Speerspitze der ersteren, sind auch nicht verlegen und erklären ihr Tun als das Harmlose an sich. Gentechnik sei am Weg, ganz normale Technik zu werden. Der Akzeptanzverbesserung wegen schmückt man sich zusätzlich noch mit den zwar keineswegs restlos unumstrittenen, aber jedenfalls leicht einsichtigen Segnungen humangenetischer Medizin. Verdeckend, daß das Mengengeschäft doch das mit ertragsteigernder Pflanzenresistenz gegen Herbizide, Frostresistenz oder etwa mit der Leistungssteigerung der Gen-Turbokühe ist. Die aber, so wird moniert, weiden ohnedies schon am Milchsee und am Butterberg.

Nimmt man nur die jüngste Statistik der Anträge auf Inverkehrbrin gen von gentechnisch veränderten Produkten (GVO) in der EU, dann sieht man tatsächlich, daß die humanmedizinisch motivierten Anträge auf Inverkehrbringen von gentechnisch erzeugten oder veränderten Produkten geradezu verschwindend in der Minderzahl sind.

Beide Positionen pflegen ihre unvergleichbaren Prämissen: Nicht-rückholbarkeit einmal freigesetzter Entwicklungen und notwendigerweise gänzlich unbekannte, von niemandem definitiv ganz ausschließbare Langzeitwirkungen - wen wundert es, Tschernobyl und der Rinderwahnsinn kommen da unversehens in die Debatte -, so meinen die einen, sollten den Verzicht auf Zauberlehrlingstätigkeit angeraten erscheinen lassen.

Gentechnik findet auf jeden Fall statt

Nein, sagen die anderen - von ihrer Prämisse aus tatsächlich unentkräft-bar -, Gentechnologie ist risikomäßig wissenschaftlich klar zu klassifizieren, nur aus Unkenntnis wird weniger Risikobehaftetes, nur weil gentechnisch verändert, schärfer reguliert als weitaus risikoreichere natürlich vorkommende Organismen, und Gentechnik findet doch in jedem Fall statt, wenn schon bei uns nicht, dann eben anderswo und da womöglich ohne jegliches Hemmnis.

In der Tat, in China und in einem Dutzend anderer Länder kräht kein Gesetzeshahn danach, was da alles genmanipuliert und alsogleich auch freigesetzt wird, was sicher ganz rasch auch bei uns als Ware landen wird.

Also versuchen die harmonisierten europäischen Gentechniknormen, es so recht und schlecht beiden Positionen recht zu machen und Sicherheitsbedürfnisse mit Wettbewerbsbedürfnissen von Forschung und Wirtschaft unter ein Rechtsdach zu bringen.

An diese europäische Grundhaltung hatte sich schon im vorhinein auch die österreichische Rechtsentwicklung zu kehren und hat sie sich erst recht seit unserem EU-Beitritt, durch den Gemeinschaftsrecht auch für uns verbindliches Recht geworden ist. Lediglich bei noch zu erlassenden Gesetzen können wir nunmehr unseren politischen Einfluß geltend machen.

Dabei zählt das österreichische Gentechnikgesetz von 1994 (GTG) zweifellos zu den dichteren und um ein hohes Maß an Sicherheit und Kontrolle bemühten unter den europäischen Regelwerken - aber gewiß (noch) übertroffen vom deutschen Gentechnikrecht. Den österreichischen Oppositionsparteien war das 1994 zu wenig. Sie hätten nur zugestimmt, wenn das noch dichtere Sicherungsprogramm einer Enquete-Kommisssion verwirklicht worden wäre.

Die Regierungsparteien hingegen setzten 1994 schon auf die Umsetzung der EG-Richtlinien: Systemrichtlinie (90/219 EWG) für Gentechnikanwendung in geschlossenen Systemen und Freisetzungsrichtlinie (90/220 EWG) für die absichtliche Freisetzung von GVO in die Umwelt oder das Inverkehrbringen. Und sie setzten (3) konsequent auf das so bezeichnete Zukunftsprinzip. Es sollten der Forschung und Produktion „keine unangemessenen Reschränkungen” auferlegt werden (3Z 2 GTG).

Man könnte dieses Prinzip daher durchaus auch weniger euphemistisch als das Forschungs- und Wirt-schaftsbegünstigungsprinzip nennen.

Die weitere flexible und dynamische Gestaltung sicherte man durch mehr als ein Dutzend Ermächtigungsverordnungen an einzelne Bun desminister, vorzüglich den federführenden Gesundheitsminister. Daß dies harsch kritisiert wurde, liegt auf der Hand, denn auf diese Weise geht die Gentechnikrechtsfortbildung weitgehend am Parlament vorbei.

Anbetrachts des eng limitierten Baums für ein weiteres Übersichtsthema sei die Kritik im weiteren nur ganz punktuell und ganz auf die europäische Debatte hin orientiert kurz wiedergegeben:

■ Zugelassen wurden Eingriffe in die Keimbahn von Tieren und auch das -aber nur wissenschaftlich oder medizinisch motivierte - Arbeiten zur Her Stellung von transgenen Wirbeltieren.

■ Dann: Die Öffentlichkeitsbeteiligung in Form bloßer Anhörungsrechte ohne Parteistellung sei zu kurz ausgefallen, wenigstens hätte die Umweltanwaltschaft zuständig gemacht werden sollen.

■ Ferner: Obwohl das Umweltministerium einen Vorschlag auf Einführung einer Art der Kausalvermutungs- und Gefährdungshaftung für System- und Entwicklungsschäden vorgelegt hatte, wurde dann doch kein ... verschuldensunabhängiges Haftungssystem installiert, wie es das deutsche Gentechnikgesetz kennt. Dort greift dieses sogar bei höherer Gewalt noch.

Gehaftet wird nur bei Verschulden

Die Vertröstung, daß für gentechnisch veränderte Landwirtschaftsprodukte das Produkthaftungsgesetz und für Schäden anläßlich somatischer Gentherapie im Rahmen klinischer Prüfungen das Arzneimittelhaftungsrecht anwendbar gemacht worden sei und daß im übrigen ein dereinst kommen sollendes Umwelthaftungsrecht greifen würde, wurde und wird als gänzlich unzulänglich empfunden.

■ Schließlich: Die Strafbeträge seien anbetrachts der faktisch für Gentechnikanwendung in Frage kommenden Großunternehmen so gering, daß sie nicht einmal vorauskalkuliert werden müßten, weil sie aus der Portokassa erledigt würden.

Soweit in eigentlich unerlaubter

Kürze zum Soll und Haben des österreichischen Gentechnikrechts.

Man findet sich damit aber vielleicht noch leichter mit der Zuordnung zu den europäischen Trends zu-; recht. Kurz angekündigt heißen diese: Freisetzung und Inverkehrbringen erleichtern, Humangentechnologie beobachten und später erst regulieren. Also hatte man sich in Österreich eigentlich nur den schon deutlich erkennbaren europäischen rechtspolitischen Trend zur Lockerung der inhaltlichen Strenge und Vereinfachung des Verfahrens (42 GTG) zu eigen gemacht.

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