Auch ein Glaubenskrieg

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Die Debatte über die Einsatzmöglichkeiten der Gentechnik muß weitergehen, denn sie wirft Grundsatzfragen auf.

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Die Debatte über die Einsatzmöglichkeiten der Gentechnik muß weitergehen, denn sie wirft Grundsatzfragen auf.

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Die Gegner von "Gen-food" können einen Etappensieg feiern. Der Anlaßfall: "Pioneer", ein multinationaler US-Konzern, hat Ende 1997 einen Antrag auf Freisetzung von gentechnisch verändertem Mais gestellt. An zehn Standorten in Österreich hätte das Experiment vor sich gehen sollen. Nun wird - vorläufig - in Österreich kein Gen-Mais angebaut. Pioneer zog den Aussetzungs-Antrag mit der Begründung, man sei dabei gewesen, sich nicht mehr im "rechtssicheren Raum" zu bewegen, zurück, kündigte aber für 1999 neue Anträge an.

Die Gentechnik-Befürworter sind enttäuscht: reine Demagogie, Schüren von Ängsten, Entfachen eines Glaubenskrieges, Abschied Österreichs von einer Zukunftstechnologie, Rückzug in die Idylle - so lauten ihre Vorwürfe. Die Anwendung der Gentechnik in der Landwirtschaft bringe ungeahnte Möglichkeiten: Bei nachwachsenden Rohstoffen "sind mehr oder weniger alle Wege offen, um mit Hilfe der Gentechnik einzelne Produktkomponenten maßzuschneidern und Verfahrensschritte in der Verarbeitung - die im allgemeinen sehr umweltbelastend sind - zu sparen". So Josef Schmidt vom Forschungszentrum Seibersdorf bei einem Gentechnik-Privatissimum für Journalisten. Gemeint sind etwa weniger dickmachende Öle, auf Kinder zugeschnittene Nahrungsmittel oder Impfstoffe enthaltende Früchte (die Hepatitis-B-Banane). Sollen wir auf all diese Wohltaten verzichten?

Vor der Beantwortung dieser Frage sei festgehalten, daß die Gentechnik fraglos viele nützliche Anwendungen finden kann und eine Reihe von Vorteilen aufweist. Selbst Umweltargumente lassen sich ins Treffen führen: Indem man Pflanzen gegen Schädlinge resistent macht, kann man den Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln, die Boden und Grundwasser belasten, vermindern.

Wieso dann diese massive Ablehnung durch Umweltschützer? Weil die Probleme der Gentechnik auf einer tieferen, grundsätzlichen Ebene liegen. Um einzelner Vorteile (transportfähigere Paradeiser, mehr Stärke enthaltende Erdäpfel, frostresistente Erdbeeren) willen, greift sie in die Grundstruktur der Lebewesen ein - eine Struktur, die sich über Jahrtausende hinweg als lebensträchtig erwiesen hat.

Die Eingriffe seien harmlos, wird uns gesagt. Versuche hätten das bewiesen. Dem ist entgegenzuhalten: Trotz intensiver Forschung ist das Wissen über die Zusammenhänge der Erbinformation nur bruchstückhaft. Auch die Erfahrungen mit den Folgen genetischer Eingriffe sind äußerst beschränkt. Kein Wunder: Die Gentechnik ist viel zu jung, um die Langfristfolgen ihrer Eingriffe abschätzen zu können. Das ist kein Vorwurf, sollte aber Grund zur Bescheidenheit im Anspruch und zu äußerster Vorsicht sein.

Folgendes ist immer wieder in Erinnerung zu rufen: Schon die bisherigen Eingriffe in die Ökosysteme haben uns vor unlösbare Probleme gestellt. Und dabei haben bisher nur leblose Chemikalien die natürlichen Abläufe gestört. DDT oder chlorierte Kohlenwasserstoffe, mittlerweile verpönt, wurden zunächst auch als gänzlich ungefährlich und sehr nützlich gefeiert. Erst großräumiger und längerfristiger Einsatz läßt Bedrohungen erkennen in Bereichen, an die man zunächst nicht gedacht hatte. Genau dasselbe ist mit dem Einbringen gentechnisch veränderter Pflanzen zu erwarten. Und zwar mit Sicherheit - und ebenfalls dort, wo man es nicht erwartet. Mittlerweile haben wir eben erkannt, daß alles mit allem irgendwie zusammenhängt.

Statt massiv in die Beseitigung der bisherigen Schäden zu investieren, schlägt uns die Gentechnik-Lobby vor, eine weitere Lawine von unabsehbaren Problemen loszutreten, Lebewesen mit schwer durchschaubaren Eigenschaften loszulassen. Das ist noch problematischer als Chemikalien zu verbreiten. Denn einmal losgelassen, sind Lebewesen nicht rückholbar. Sie sind vermehrungsfähig, können verwildern. Jetzt schon ist zu erkennen, daß genetische Veränderungen von einer Art auf andere übertragen werden können.

Diese Effekte müssen nicht sofort eintreten. Sie können durch veränderte Außenbedingungen (z. B. bei Klimaänderungen oder im Kontakt mit eingeschleppten Arten) erst nach Jahrzehnten eintreten. Da nützt es nichts, zu sagen, beim heutigen Stand der Wissenschaft sei alles problemlos. In dieser äußerst komplexen Frage ist die Wissenschaft überfordert. Statt ungesicherte Prognosen zu erstellen, sollte sie äußerst behutsam Erfahrungen sammeln.

Heißt das also: Stopp für den Fortschritt? Die Frage ist demagogisch. Relevanter ist zu fragen: Zahlt sich das schwerwiegende Risiko aus? Was bringt diese Neuerung? Effizienzsteigerungen auf einem Markt, der ohnedies von Überkapazitäten geplagt wird: Schnellerwüchsige, ertragreichere Pflanzen und Tiere werden die Probleme der Landwirtschaft weiter verschärfen, ihre Industrialisierung begünstigen. Schon bisher (von 1979 bis 1996) gingen in der EU 5, 6 Millionen landwirtschaftliche Arbeitsplätze verloren. Die Gentechnik wird diesen - längst als Irrweg erkannten - Trend weiter verschärfen. Es besteht also objektiv gesehen keinerlei Notwendigkeit für ihren Einsatz. Warum sollten wir uns dann unabsehbare Risken aufhalsen?

Gentechnik-Befürworter werfen ihren Gegnern gerne vor, diese Errungenschaft abzulehnen, sei nichts als ein irrationaler Glaubenskrieg. Da sei doch einmal die Gegenfrage erlaubt: Ist nicht die Forcierung der Gentechnik - immerhin gegen den erklärten Willen von 1,2 Millionen Österreichern - Ergebnis eines unbelehrbaren Fortschrittsglaubens, eines (längst als Phantasterei entlarvten) Glaubens an die Allmacht des Menschen, eines Glaubens an das grenzenlose Glück durch mehr und mehr Konsum?

Im Grunde genommen ist die Gentechnik- ebenso wie die Atom- oder die Klimaschutzdebatte ein Streit um Prioritäten, Lebensentwürfe, die Stellung des Menschen in der Schöpfung. Ein Glaubenskrieg also, wenn man so will. Auf diese Ebene ist der Diskurs zu verlagern, wenn wir je auf einen grünen Zweig kommen wollen.

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