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Freiheit der Forschung?

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Es gab eine Zeit, wo die Sucher nach Wahrheit sich die Hände nicht schmutzig zu machen brauchten. Von dieser noblen Gattung überleben im Feld der exakten Wissenschaften (um die es sich bei der Naturforschung handelt) allein die Mathematiker, die moderne Naturwissenschaft erstand mit dem Entschluß, der Natur ihre Wahrheit durch aktives Eingreifen in sie abzuzwingen, also durch Intervention in den Gegenstand der Erkenntnis.

Diese Intervention heißt „Experiment", welches ein Lebenselement für alle moderne Naturwissenschaft geworden ist. Beobachtung beinhaltet hier Manipulation. Nun erstreckt sich aber die dem Gedanken und dem Wort eingeräumte Freiheit (wovon die der Forschung abgeleitet ist) nicht aufs Handeln, selbst wenn dieses im Dienst des Gedankens stehen sollte. Von jeher und auf immer unterliegt alles Handeln rechtlichen und sittlichen Beschränkungen.

Zwar sicherten anfangs noch zwei Eigenschaften des Experimentierens die „Unschuld" dieser wissenschafts-inter-nen Aktivität: sie richtete sich auf leblose Materie und sie hielt sich im Kleinmaßstab. Nicht wirkliche Gewitter, sondern Entladungen von Kondensatoren werden erzeugt, um den Blitz zu studieren. Simulierende Modelle vertreten die Natur in der Absonderung des Laboratoriums. Die Versuchsanordnung ist Surrogat für die Natur. In dieser Hinsicht ist also die Insulierung der Erkenntnissphäre von der wirklichen Welt noch in etwa gewahrt.

Beide Garantien der Harmlosigkeit -und damit der Freiheit im Experimentieren sind jedoch mit gewissen neueren Entwicklungen.der Wissenschaftstechnik hinläljig geworden. Heutzutage können Experimente weniger harmlos und in der Tat sogar zweideutig hinsichtlich ihres bloßen Experimental-charakters sein.

Was die Größenordnung angeht, so ist eine Atomexplosion, sei sie auch bloß experimenti causa und der Theorie wegen veranstaltet, ein echtes Ereignis, das die ganze Atmosphäre und möglicherweise viele Menschenleben jetzt und künftig affiziert. Die Welt selber ist zum Laboratorium geworden und man findet heraus, indem man im Ernste tut, was man nach dem Herausfinden vielleicht nicht getan zu haben wünscht.

Und was Versuche an beseelten Objekten anlangt, so wity kein Surrogat taugen, kein stellvertretendes Modell, sondern das vollwirkliche Original muß herhalten, und ethische Neutralität endet spätestens da, wo es zu menschlichen Subjekten kommt. Was ihnen ge: tan wird, ist eine reale Tat, für deren Sittlichkeit das Erkenntnisinteresse keine Blankodeckung erteilt.

In beiden Sorten von Experiment -dem von übermäßiger Größe und dem an Personen (denen andere hinzugefügt werden könnten) - ist die schützende Grenzlinie zwischen stellvertretender und wirklicher Aktion, zwischen Versuch und Ernst, im Vollzug der Forschung selbst verwischt. Damit wird auch die konventionelle Unterscheidung von „reiner quot; und „angewandter" Wissenschaft irgendwie antiquiert. Nicht nur das „Was", aucfydas „Wie" der Erkenntnis liegt auf beiden Seiten der Scheidelinie: die „Anwendung findet bereits in der Untersuchung selber und als Teil von ihr statt. Schon daraus

nicht unbedingt sein kann ...

Wir würden unser Argument schwächen, wenn wir es mit notorischen Greueln illustrieren wollten. Es ist leicht, Einhelligkeit über Beispiele wie etwa diese zu erzielen: daß rtlan nicht, um zu ermitteln, wie sich Menschen unter der Folter verhalten (was für eine Theorie des Menschen vielleicht recht interessant ist), die Folter an Versuchspersonen ausprobieren darf; oder nicht töten darf, um die Toleranzg^enze für ein Gift zu bestimmen; und dergleichen mehr. Hier denken wir natürlich an die Untäter raquo; von Ärzten (prominenten darunter) in Näzi-Konzentrationslagern. Das war eine „Freiheit quot; der Forschung, schändlicher als ihre schlimmste Unterdrückung.

Aber wir wissen zu gut - oder glauben zu wissen, daß die Verüber solcher wissenschaftlicher Versuche (jawohl, wissenschaftlich könnten sie gewesen sein!) verächtlich waren und ihre Motive niedrig, und können derart ihren Handlungen alle Beispielsfähigkeit absprechen. Ja, wir können weiter gehen und mit gutem Grund verneinen, daß das in diesen Fällen gesuchte Wissen ^überhaupt ein legitimes wissenschaftliches Ziel ist, und können dann sagen, daß wir es gar nicht mit einem Fall von Wissenschaftspraxis, sondern einem von menschlicher Entartung zu tun haben.

Aber unser Problem ist nicht unechte oder pervertierte Wissenschaft, sondern bona fide und regelrechte Wissenschaft. Und da fragen wir, wenn wir uns an unzweifelhaft legitime und sogar lebenswerte Zwecke halten, ob es z. B. erlaubt ist, nicht-krebskranken Subjekten Krebszellen zu injizieren, oder einer „Kontrollgruppe" von Syphilispatienten die Behandlung vorzuenthalten -beides tatsächliche und schließlich an die Öffentlichkeit gelangte Vorkommnisse in Amerika und beide der Absicht und wohl gar der Tatsache hilfreich für einen wünschenswerten Zweck.

Ich vermeide eine vorschnelle Antwort, denn die Frage ist verwickelt. Ich behaupte aber, daß sich hier im inneren Arbeitsprozeß der Wissenschaft selbst sittliche und rechtliche Fragen auftun, welche die territorialen Barrieren der Wissenschaft durchbrechen und sich vor dem allgemeinen Gerichtshof der Moral und des Gesetzes stellen müssen. Der öffentlichen Autorität dieses FoFreiheit der Forschung beugen.

Zum Schluß noch schnell eine Wendung von den mikrobiotischen zu den makrobiotischen Möglichkeiten molekular-biologischer Forschung. Da werden ganz andere Dimensionen öffentlicher Verantwortung aufgetan . ..

Wenn z. B. genetische Forschung festzustellen sucht, ob menschliches Klonen möglich ist, oder Verbesserung /des menschlichen Arttypus durch „genetische Chirurgie", d. h. Modifikation der Gen-Komposition in der Keimzelle, so muß mindestens ein Versuch zu wirklichem Klonen oder zu wirklicher Produktion eines genetisch abgeänderten Individuums angestellt und zu Ende geführt werden.

Die Tat selbst also, über die schließlich im Licht des Wissens entschieden werden soll, wird schon begangen in der Nacht des Unwissens, um das Wissen zu erlangen; und der erste Klon oder genetische Freak, im Experiment hervorgebracht, wäre so wirklich und definitiv wie nur irgendein zur Welt gekommenes Individuum.

Selbst abgesehen von der Gewißheit, daß man mit Monstrositäten beginnen müßte, ehe die Technik vollkommen ist (ohne die sittliche Freiheit sonstiger Ingenieurskunst, Fehlleistungen zum Alteisen zu werfen), haben wir einfach kein Recht, an Ungeborenen zu experimentieren. Schon deshalb allein ist das ganze Unternehmen sittlich verwerflich.

Man zittert im Gedanken an die Uberreste von Ehrfurcht, aus denen Gattung noch schöpfen kann, wenn es gilt, Gegenkräfte zu mobilisieren gegen die betörende Versuchung „schöpferischen" Experimentierens mit dem eigenen Ebenbild.

Prof. Dr. Hans Jonas lehrt an der New School for Social Research in New York.

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