Das Gewissen nicht an der Kassa abgeben

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Seit Monaten stehen die EU-Länder im Zeichen einer unbewältigten Agrarkrise. Der Katholische Laienrat Österreichs nahm sie zum Anlass für einen Appell, der Auswege skizziert. Die furche dokumentiert:

BSE, MKS und der Antibiotika-Skandal sind lediglich Symptome einer tiefer liegenden Krankheit der Agrarwirtschaft als Teil des gesamten weltwirtschaftlichen Systems. Wie bei Erkrankungen des Menschen wird es auch hier nicht möglich sein, bei Symptomkuren stehen zu bleiben. Die millionenfache Tötung befallener oder auch nur gefährdeter Tiere ist keine Lösung.

Die amerikanischen Bischöfe haben mehrmals, zuletzt im Jahre 1997 mit aller Schärfe darauf hingewiesen, dass die geduldete, ja forcierte Dynamisierung im Agrarbereich für kleine, natürlich wirtschaftende Betriebe tödlich ist. "Die vorherrschende Politik" - so die US-Bischöfe - "steuert in ein immer ungerechteres und brutaleres System."

Die Rechnung wird jetzt den Menschen, den Tieren und der gesamten Schöpfung präsentiert. Es gilt also, neu zu denken und anders zu handeln. Die jüngsten Entwicklungen sollten aber nicht nur als Warnung, sondern als Chance begriffen werden, so lange noch Zeit ist.

Da an sich berufene Instanzen, auch in der Kirche, sich immer wieder darauf zurückziehen, dass "alles zu kompliziert" sei, hat sich der Katholische Laienrat Österreichs entschlossen, auf Basis des Fachwissens der Laien und nach eingehender Diskussion, die wesentlichen Ursachen anzusprechen und einige dringende Empfehlungen zu formulieren.

Ursachen:

* Die schrankenlose Plünderung nicht erneuerbarer Ressourcen führt zu dramatischen geo-ökologischen Erscheinungen. Sie beraubt die Bauern ihrer Funktion als Erzeuger nachwachsender Rohstoffe. Die Landwirtschaft wird somit auf den Nahrungsmittelsektor eingeengt. Die Manipulation am Saatgut und der Einsatz chemischer Pflanzenschutz- und Düngemittel, sowie die zunehmende Mechanisierung machen freie, selbstverantwortliche Bauern abhängig vom agrarindustriellen Sektor, der in der Regel die Produktion hochpeitscht und die Preise drückt.

* Staaten, die über große Landreserven verfügen, produzieren Massengüter in Monokulturen, reduzieren damit die Artenvielfalt und führen zu einer auf Massentierhaltung ausgerichteten Agrarproduktion. Über ein globalisiertes Handels- und Transportsystem, das oft nicht die wahren Transportkosten in Rechnung stellt, können sie weltweit billig anbieten und schließen so die lokalen Bauern vom Markt aus. Die Armut der bäuerlichen Bevölkerung und in der Folge die Verelendung der Städte sind das, was Papst Johannes Paul II. die "himmelschreiende Sünde der Ungerechtigkeit" nennt.

* Der sogenannte freie Markt kontrolliert sich nicht selbst und hat längst zu einer Tragödie für die "Globalisierungs-Verlierer" geführt. Staatliche Gegenmaßnahmen sind oft nicht möglich beziehungsweise werden nicht gesetzt, da sich die Politik den scheinbar unumstößlichen "Regeln" des Wirtschaftssystems beugt. Nicht die heimische Landwirtschaft, sondern die weltweit agierenden Händler und Investoren haben das Gesetz auf ihrer Seite. Ganze Bereiche der Landwirtschaft werden dem Gewinn geopfert.

Folgen:

* Bewährte, kleinräumige Produktionsmuster gehen verloren. Traditionelle Kulturräume verschwinden.

* Die enge Beziehung zwischen Mensch, Tier, Pflanze und Boden wird zerschlagen. Die Lebensbedingungen in der Massentierhaltung erhöhen das Risiko, auftretende Seuchen zu spät zu erkennen.

* Überregionale, ja globale Tiertransporte unter nicht tiergerechten Bedingungen vermehren das Risiko globaler Seuchenzüge.

* Da Nahrungs- und Futtermittel über immer weitere Strecken transportiert werden, entstehen zunehmende Umweltbelastungen und Kosten durch Konservierung und aufwendige Verpackung.

* Die Tendenz steigt, dass Wiederkäuer aus Gründen der Rationalisierung und extremen Leistungssteigerung im Wesentlichen nur noch mit Kraftfutter gefüttert werden. Die Folge ist, dass die nicht artgerecht gefütterten und zu Hochleistung gezwungenen Tiere "neuartige Erkrankungen" entwickeln. Verschärft wird dieses Problem noch dadurch, dass Getreide gebietsweise erstmalig in der Geschichte billiger ist als Heu.

* Regionale Agrarkrisen oder auch lokal auftretende Krankheiten werden über den globalisierten Handel ebenfalls globalisiert.

* Die für die Zeit nach dem Ende des derzeitigen fossilen Energierausches notwendigen Produktionsstandorte und das Wissen um natürliche und angepasste Produktionsverfahren gehen verloren - zum Teil auf Dauer und unwiederbringlich.

Empfehlungen:

* Das politische Bekenntnis zu einer standortangepassten kleinräumigen Agrarstruktur, ihre Absicherung durch handelspolitische wie steuerliche Maßnahmen ist einzufordern. Dasselbe gilt für die Abgeltung von Leistungen der Land- und Forstwirtschaft im Interesse der Allgemeinheit und die entschlossene Abkehr von der primär auf Konzentration und Wachstum ausgerichteten Dynamik. Bäuerliche Familienbetriebe müssen erhalten und gefördert werden.

* Eine ökosoziale Marktwirtschaft, die diesen Namen verdient, wird teurer sein als die Massenproduktion zu immer niedrigeren Preisen. Dazu muss auch das Recht durchgesetzt werden, dass diese Mehrkosten im internationalen Handel ausgeglichen werden dürfen. Ohne die Herstellung gerechter und sozial verträglicher Wettbewerbsverhältnisse wird der "Wettbewerb nach unten" weitergehen und die Armen werden weiterhin ärmer werden.

* Nicht erneuerbare und umweltschädlich eingesetzte Ressourcen müssen höher besteuert und so auf das Kostenniveau nachhaltiger Technologien angehoben werden. Nur so kann eine nachhaltige und kreislauforientierte Bewirtschaftung unseres Planeten "rentabel" werden,

* Der globale Massenverkehr muss zur Bezahlung der wahren Transport- und Folgekosten verpflichtet werden, damit regionale Produktion und lokaler Markt wieder eine Chance bekommen. Dazu wird es notwendig sein, die angepassten regionalen Systeme technisch, organisatorisch und logistisch zu unterstützen. Kapital muss also in kleine intelligente und nicht in unangepasste und risikoreiche Großsysteme investiert werden.

* Die Förderung regional angepasster Produktions- und Versorgungssysteme sowie die sinnvolle Wiederverknüpfung von Land- und Forstwirtschaft mit der einschlägigen gewerblich-industriellen Wirtschaft wären Schritte in die richtige Richtung. Die Errungenschaften von Bio- und Nanotechnologie, Informatik, Mikroelektronik und Telekommunikationstechnik machen, richtig angewendet und eingesetzt, die Vision einer dezentralisierten, standortangepassten und mit alternativen und erneuerbaren Energien versorgten Bedarfsdeckung für alle Menschen dieser Erde greifbar.

* Solange die politischen Rahmenbedingungen nicht auf Nachhaltigkeit zielen, ist auch der Konsument in die Mitverantwortung gerufen. An ihm ist es auf natürliche und nachhaltige Produktionsweisen zu pochen und denaturierte Billigprodukte in den Regalen zu lassen. Man kann sein mitmenschliches und mitkreatürliches Gewissen nicht einfach an der Kassa abgeben.

Es gibt keine nachhaltige Landwirtschaft in einer nicht nachhaltig gestalteten Gesamtwirtschaft. Andererseits treten im naturnahen Bereich Defizite zuerst und am deutlichsten in Erscheinung. Wir wissen, daß diese Vorschläge an den derzeitigen Machtstrukturen rütteln und Widerspruch erregen werden. Die Sorge um die Zukunft unserer Kinder sowie der Auftrag, uns für "Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung" einzusetzen, lassen uns keine andere Wahl als auf die Verwirklichung dieser Empfehlungen zu dringen.

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