Moral im Einkaufswagen

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Der Kunde ist König, heißt es. Und die Nachfrage bestimmt das Angebot. Ist also nachhaltiger Konsum der Königsweg zu einer gerechteren Welt?

Nachhaltigkeit ist zu einem zentralen gesellschafts- und umweltpolitischen Ziel geworden. Es geht um mehr Gerechtigkeit in ökologischer, sozialer und ökonomischer Hinsicht - sowohl der gegenwärtigen als auch zukünftiger Generationen. Wird gefragt, wer denn die zentralen Akteure auf dem Weg in eine nachhaltigere Gesellschaft sind, dann wird häufig den Konsumenten die Verantwortung zugeschrieben, denn: Die Nachfrage bestimme ja das Angebot! Leitmodell ist hier der verantwortliche, informierte Konsument als Souverän. Umgekehrt wird den Konsumenten auch Schuld an nicht nachhaltigen Entwicklungen gegeben: Sie seien durch ihre Wünsche nach kostengünstigen T-Shirts für den Tod von Textilarbeitern in Pakistan mitverantwortlich. Und: Wer Lebensmittel möglichst günstig kauft und sich wenig um Produktionsbedingungen kümmert, ist letztlich Mittäter bei Umweltschädigung und Ausbeutung.

Nachhaltigkeit als Nischenphänomen

Doch die Verantwortungszuschreibung an die Konsumenten überschätzt deren Rolle in Bezug auf Nachhaltigkeit. Zwar treffen zunehmend mehr Menschen ihre Konsumentscheidungen unter Berücksichtigung von Kriterien wie Umweltfreundlichkeit, Sozialverträglichkeit oder Generationen- bzw. Klimaverantwortung. In manchen Konsumbereichen, etwa beim Essen, ist dies längst kein Nischenphänomen mehr (auch wenn die gegenwärtigen acht Prozent Anteil an Bio-Lebensmitteln am österreichischen Lebensmittelmarkt manchen noch immer gering erscheinen). In anderen Bereichen, etwa bei der Kleidung, ist nachhaltiger Konsum jedoch noch nicht einmal eine Randerscheinung: Der Anteil an Bio-Baumwolle am Weltmarkt beträgt etwa nur ein Prozent.

Zwar sind es nicht immer Motive wie Gerechtigkeit, Ökologie oder Generationenverantwortung, die Konsumentscheidungen leiten, sondern häufig auch Gesundheit, Sorge für nahe Verwandte (die Omi kauft Bio für das Enkerl) oder Trendbewusstsein ("Bio ist in“). Gleichwohl betreiben Konsumenten in diesem Fall "Politik mit dem Einkaufswagen“, vermitteln Signale an Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, dass ihnen diese Aspekte wichtig sind. So kann die vermehrte Nachfrage nach Fair-Trade-Produkten zum Aufbau gerechterer Handelsbeziehungen beitragen, wenngleich dies gemessen an den Strukturen des Weltmarktes marginal erscheinen mag.

Dass diese Veränderungen aber auch nichtintendierte Folgen haben können, zeigt der Bio-Markt: Durch die Nachfrageausweitung wird "Bio“ zu einem internationalen Massenmarkt, in dem faire Bezahlung der Bauern, regionale Wertschöpfungsketten und hohe Qualitätsansprüche nicht immer vorrangig sind, sondern Profitmotive an Bedeutung gewinnen. Andererseits öffnet sich "Bio“ für die breite Gesellschaft, bleibt nicht mehr nur ein Phänomen einer gut situierten, umweltbewussten Gesellschaftsschicht. Dies ist aber keine naturwüchsige Entwicklung, sondern hängt auch von der politischen Gestaltung des Marktes ab, zum Beispiel der Subventionierung bestimmter Produktionsweisen und Betriebe.

Ein durchgehend nachhaltiger Lebens- und Konsumstil hat jedenfalls viele Voraussetzungen und ist im Alltag nur schwer zu realisieren: Konsumhandlungen sind abhängig von Einkommen, Wissen, Familie oder Lebensgeschichte - und eingebunden in soziale Beziehungen, in wirtschaftliche und politische Strukturen und in Versorgungssysteme. Außerdem müssen Menschen in einem oft stressigen Alltag viele Dinge unter einen Hut bringen, was einem reflektierten Konsum nicht immer zuträglich ist. Wird die Verantwortung hauptsächlich den Konsumenten zugeschrieben, wird ausgeblendet, dass auch geeignete kontextuelle Rahmenbedingungen (wie etwa Angebote, Anreizsysteme, kommunikative Maßnahmen, Kooperationen verschiedener gesellschaftlicher Akteursgruppen) vorhanden sein müssen, damit ein entsprechendes Konsumhandeln möglich wird.

Marketing für mehr Fleischkonsum

So wird seit Längerem auf die positiven ökologischen und gesundheitlichen Auswirkungen einer Reduktion des Fleischkonsums hingewiesen (siehe auch Tipp S. 24, Anm.). Doch diese Hinweise scheinen am Alltag vorbei zu gehen: Der Fleischkonsum in Österreich bleibt konstant. Ein Grund dafür ist sicherlich, dass einmal etablierte Geschmacksmuster in einer Ess-Kultur nur schwer zu verändern sind. Ein anderer Grund sind aber auch Maßnahmen, die auf eine Steigerung des Fleischkonsums ausgerichtet sind, wie zum Beispiel bestimmte öffentliche Botschaften ("Fleisch bringt’s“), die mit hoher finanzieller Unterstützung unter das Volk gebracht werden. (Die AMA gibt etwa fast die Hälfte ihres Marketingbudgets für fleischbezogene Maßnahmen aus.)

Auch bewusste Konsumenten sind häufig strukturell überfordert. Eine Überforderung kann beispielsweise daraus resultieren, dass Nachhaltigkeit mehrere Kriterien umfasst: Soll ich etwa auf konventionell erzeugte Produkte aus der Region zurückgreifen (Stichwort: Vermeidung von Transportwegen und Stärkung der lokalen Wirtschaft) oder lieber ökologisch produzierten aus Übersee den Vorrang geben (Stichwort: Umweltschonung)? Ich sollte aus Gesundheitsgründen mehr Fisch essen, aber wie geht das mit der Überfischung der Meere zusammen und welche Fische werden gerade als nicht gefährdet einschätzt?

Konsumenten handeln nicht im luftleeren Raum. Konsum ist eingebettet in soziale, wirtschaftliche, politische Kontexte, die Handlungsspielräume sind häufig beschränkt. Beispielweise ist die ständige Steigerung des Energiekonsums trotz erhöhter Effizienz ein Nachhaltigkeitsproblem ersten Ranges. Die Verantwortung für eine Reduktion des Energieverbrauchs kann jedoch nicht allein beim Individuum liegen. Viele Menschen in Österreich sind von Energiearmut betroffen, obwohl sie an allen Ecken und Enden Energie einsparen. Sie müssen in energieineffizienten Wohnungen leben, weil sie sich nichts anderes leisten können und nur wenig finanziellen Spielraum für Veränderung haben. Das wiederum verweist auf die geringe Sanierungsrate des Wohnungsbestandes in Österreich, was wiederum in den Verantwortungsbereich politischer und wirtschaftlicher Akteure fällt.

"Bei sich selbst anfangen“ reicht nicht

Nachhaltiger Konsum braucht gesellschaftliche und wirtschaftliche Strukturen, die keine kontraproduktiven Signale setzen, sondern unterstützend wirken. Wenn auf der einen Seite nachhaltige Entwicklung als gesellschaftliches Entwicklungsziel propagiert wird, auf der anderen Seite aber Strukturen gestützt werden, die dieser Nachhaltigkeit widersprechen, dann stößt auch die Macht der Konsumenten bald an ihre Grenzen. "Bei sich selbst anfangen“ reicht nicht, wenn Strukturen und Systeme zu verändern sind. Konsumenten sollten mithelfen, dass diese Strukturen als Bedingung einer nachhaltigeren Gesellschaft hergestellt werden: als Konsumenten, aber auch - und vor allem - als verantwortungsvolle Bürger, Berufstätige, Erziehende, Gläubige und in allen anderen gesellschaftlichen Rollen.

Nachhaltiger Konsum kann also kein Ersatz für politisches Handeln sein - und er ist auch sicher nicht der Königsweg zu einer gerechteren Gesellschaft. Aber ein wichtiger Bestandteil dieses Weges ist er ganz gewiss.

* Der Autor ist ao. Professor am Institut für Soziologie und Empirische Sozialforschung der Wirtschaftsuniversität Wien.

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