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Auf der einen Seite strömt billig produzierte Massenware auf die Märkte, auf der anderen Seite wollen immer mehr Menschen mit ihrem Konsum eine Art Gewissens-Wellness mit einkaufen.

„Es findet eine Moralisierung der Märkte statt“, sagt der deutsche Kulturwissenschafter Nico Stehr. Ludgar Heidbrink, Leiter der Forschungsgruppe „Kultur der Verantwortung“ am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen, gibt seinem Kollegen Recht.

Es sei schon seit Längerem zu beobachten, dass die Moral beim Einkaufen immer mehr an Bedeutung gewinnt. Das heiße aber nicht, dass die Konsumenten moralischer geworden seien, sondern dass die Produkte moralisch aufgeladen werden. Moral ist nicht mehr fad, sondern sie ist cool und trendy geworden. „Im Grunde geht es um eine Art Wellness-Moral, um Gewissens-Wellness“, sagt Heidbrink. Durch den Kauf von biologisch erzeugten Lebensmitteln oder fair gehandelten Produkten kaufe man sich sozusagen ein gutes Gewissen mit ein.

Bio, öko, fair, nachhaltig …

Doch wie sieht dieser neue Typus von Konsument aus, der nicht nur auf den Preis sieht? In den USA schon seit dem Jahr 2000 bekannt, nennt man diese Konsumenten LOHAS (Lifestyle of health and sustainability). Diese Menschen kaufen gezielt Produkte, die die Gesundheit und die Nachhaltigkeit fördern. Im deutschsprachigen Raum wurde diese Käuferschicht 2007 vor allem durch eine Studie des Zukunftsinstituts von Matthias Horx bekannt. Heidbrink geht davon aus, dass sich dieser Trend über die Finanzkrise hinaus halten wird. Es werde einen Einbruch geben, aber dann soll diese neue Öko-Welle wieder voll durchstarten. Denn Menschen wollen sich abgrenzen, und das passiert am besten durch den Konsum bestimmter Waren. Beim Tragen modischer Bekleidung seit jeher gang und gebe, sind es derzeit Waren, die den Anschein vermitteln, man würde durch den Konsum mithelfen, die Welt zu retten. Waren es früher Sandalen-Träger, die ihr selbstgemachtes Müsli aßen und Jute statt Plastik lebten, so findet sich heute der Neue Konsument in der Management-Etage genauso wieder wie in der unteren Mittelschicht, ist Florian Müller, Assistenzprofessor an der Universität Klagenfurt, überzeugt. Er arbeitet gerade an einem Projekt, das dem nachhaltigen Trendsetter in Österreich nachgeht. Landläufig ist man allerdings der Meinung, dass nachhaltige Produkte teuer und somit nicht für alle Gesellschaftsschichten erschwinglich sind. Reinhard Kepplinger, Geschäftsführer des durch Naturholzmöbel bekannt gewordenen Unternehmens Grüne Erde, verneint dies. Würde wirklich eine Ökobilanz von konventionell hergestellten Produkten gemacht, die neben der Produktion auch Folgekosten wie den Transport und die Entsorgung miteinrechnet, sind fair hergestellte Produkte viel billiger, ist der Nachhaltigkeits-Pionier überzeugt. Die meisten Experten schätzen, dass rund ein Drittel der US-amerikanischen Bevölkerung zu diesen neuen Konsum-Moralisten zählt. Umweltökonom Werner F. Schulz von der Universität Hohenheim meint, dass es in Deutschland rund acht Millionen Menschen gibt, die man zu den LOHAS zählen kann. Weiters entspricht deren Marktpotenzial jährlich 200 Milliarden Euro.

Kluft zwischen Sein und Tun

Heidbrink und Müller zügeln allerdings die Freude über diese kaufkräftige Käuferschicht, denn zu diesem Typus Mensch dazugehörig fühlen sich viele, schlussendlich bei der Kassa den Mehrpreis für diesen Lebensstil zu zahlen, seien aber weit weniger bereit. „Es gibt eine Kluft zwischen den Werten und dem Wissen über Ökologie und soziale Gerechtigkeit und dem Verhalten – nicht nur im Konsumbereich“, sagt Müller. Denn man tituliere sich heutzutage nicht gerne als jemand, der die Umwelt zerstöre und auf Kosten der Entwicklungsländer lebe. Im Bereich der Lebensmittel kann man in Österreich lediglich fünf Prozent der Käufer zu den LOHAS zählen, sagt Müller.

Heidbrink geht generell von rund fünf Prozent der deutschen Bevölkerung aus, die den LOHAS-Lebensstil wirklich leben und an der Kassa bereit sind, dafür zu zahlen. Das schöne Bild des durch „richtigen“ Konsum nachhaltig lebenden Konsumenten fällt bei der Erstellung einer Ökobilanz allerdings oft aus dem Rahmen. Müller weist darauf hin, dass der ökologische Fußabdruck der kauffreudigen LOHAS nicht unbedingt kleiner ausfallen muss als bei anderen Käuferschichten. Der sehr stark auf den Konsum ausgerichtete Lebensstil, zu dem auch das Reisen in ferne Länder gehört, sei eher der Umwelt schädlich. So ist auch das Bio-Gemüse, das eingeflogen werden muss, da es im Winter hierzulande nicht wächst, nicht klimaneutral. Die klassischen LOHAS würden aber zu den Bio-Tomaten aus Südeuropa im Winter dennoch greifen, den Euro dafür haben sie ja, so die Experten.

Heidbrink geht so weit zu sagen, dass es fast eine Art Ablasshandel ist, wenn man die Moral beim Kauf eines Produktes miterwirbt. Das Gewissen sei zwar schnell befriedigt, doch dies ist eine zu oberflächliche Sichtweise. Das Beispiel Biosprit zeige, dass der Nutzen Folgen hat, die man nicht wahrnimmt. Denn gerade der Biosprit scheint zunächst eine tolle Lösung zu sein, um CO2-Belastungen durch den Verkehr zu vermindern. Doch taugt der Masseneinsatz nicht, und die Öko-Bilanz des Biosprits ist nur in einem regionalen Produktions- und Verbrauchskreislauf sinnvoll. Fred Pearce entlarvt mit seinem Buch „Viermal um die Welt“ (Fackelträger, 2008) die eine oder andere Konsumlüge. So reist er zum Beispiel seinem Lieblingskaffee nach, der, mit einem Gütesiegel versehen, ihm zu einem reinen Gewissen verhelfen soll. Am Fuße des Kilimandscharo angekommen, muss er feststellen, dass dieses Gütesiegel den Kaffeebauern noch lange nicht zu einem fairen Preis verhilft. Oliver Dziemba, Forscher und Redakteur des Zukunftsinstituts in Kelkheim, befragt, ob die LOHAS nicht schon durch einen neuen Trend abgelöst werden, meint, dass die LOHAS aktueller denn je seien. „Die Unternehmen, die auf eine nachhaltige und ökologische Entwicklung setzen, gehören zu den künftigen Gewinnern.“ Gerade in Zeiten der globalen Finanzkrise eine These, die nicht alle hören wollen.

Nachhaltig zum Gewinn

Dass die Kombination aus ökologisch nachhaltig und sozial gerecht auch für ein großes Unternehmen gewinnbringend ist, zeigt die US-Mode-Kette American Apparel, die diesen Sommer ihre erste Österreich-Niederlassung in Wien eröffnet hat. Das Unternehmen zählt bereits zu den größten Textilketten der USA und setzte im vergangenen Jahr 300 Millionen US-Dollar um. Der Code of Ethics des Unternehmens ist ausgedruckt dreieinhalb Seiten lang und enthält die E-Mail-Adressen des Vorstandes. Man gibt sich transparent, aber auch politisch. T-Shirts mit dem Aufdruck „Legalize LA“, die für eine reformierte US-Einwanderungspolitik werben, sind im Wiener Laden ebenso erhältlich wie das T-Shirt für den täglichen Gebrauch. Die Produktion passt ins Bild: Es wird nur pestizidfreie Baumwolle verwendet, die in der eigenen Manufaktur in Los Angeles zu Bekleidung weiterverarbeitet wird. Von Arbeitern – meist mit lateinamerikanischem Hintergrund –, die mehr als das Doppelte des amerikanischen Mindestlohnes verdienen. Das Etikett „Made in Downtown L. A.“ ist für viele in der jungen Öko-Szene bereits Kult. Auch im Hochpreis-Segment geht fair, öko und modisch zusammen. Das dänische Label „Noir“ verkauft Laufsteg-Mode mit gutem Gewissen.

Die Gemeinschaft formiert sich aber nicht nur rund um die Ladentische, sondern auch im Netz. So hat die Plattform www.utopia.de monatlich 150.000 Besucher. Die Utopisten, wie sich die Community nennt, verstehen sich aber nicht als LOHAS. Sie vereint, laut Vorstand Meike Gebhard, Menschen aller Alters- und Einkommensschichten, die vom Gedanken getrieben sind, einen ersten Schritt in eine nachhaltige Zukunft zu gehen.

www.utopia.de

www.treehugger.com

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