Der Schmäh mit der Region

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Die Klimadebatte bezieht seit Längerem auch die Lebensmittel mit ein. Die Idee, dass regional produzierte Lebensmittel den importierten vorzuziehen sind, hält sich. Doch so einfach ist die Sache nicht.

Der Patriotismus in Sachen Lebensmittel hat Hochsaison. Österreichs Politiker geben dem Land gerne den Anschein, ein großer Feinkostwarenladen mit allerlei lokal produzierten Köstlichkeiten zu sein. Was früher den Umsatz der heimischen Lebensmittel-Produzenten beflügeln sollte, bekommt neuerdings immer öfter auch den Deckmantel des Klimaschutzes umgehängt, denn wer lokal kauft, vermeidet lange Transportwege. So einfach ist es aber nicht.

Bio sticht Masse

Im Furche-Gespräch erklärt Carl Holler, zuständig für Ernährung und Gesundheit beim Verein Bio Austria, dass biologisch erzeugte Lebensmittel aus Übersee, die mit einem Containerschiff nach Europa gebracht werden, weniger CO2/Tonne Lebensmittel ausweisen, als konventionell in Österreich hergestellte und gelagerte Produkte. Diese Rechnung geht auf, da nicht nur der Ausstoß an CO2 durch den Transport, sondern auch die Produktion miteingerechnet wird. Denn die Herstellung und der Einsatz von Dünge- und Spritzmitteln verursachen große Mengen des klimaschädlichen Gases. "Wir wollen aber nicht die konventionelle Landwirtschaft verdammen, es werden ja auch gute Produkte produziert", sagt Holler. Er wende aber sofort ein, dass der Einsatz von Pestiziden oder das Auslaugen des Bodens keine Wunschvorstellungen von Bio Austria sind.

In Österreich kann auf Grund der klimatischen Bedingungen der Eigenbedarf nicht komplett durch die Produktion im Land gedeckt werden. Um diesen Mangel auszugleichen, würde Holler aber nicht auf Glashäuser zurückgreifen, die seiner Meinung nach "die größte Katastrophe darstellen", denn sie müssen beheizt werden, und oft stecken die Pflanzen in einem Substrat und hängen an einem Wasser-/Nährlösungstropf. Die Furche fragte einen der großen Gemüseproduzenten des Landes - die Genossenschaft LGV-Frischgemüse Wien -, was denn von solchen Ansichten zu halten sei. Die Antworten kamen auf Grund der sich nahenden Saison vom Produktionsleiter Karl Herret leider nur schriftlich. So heize die LGV die meisten ihre Gewächshäuser mit der Fernwärme Wien, also mit "Abfallwärme", daher stoße die LGV fürs Heizen der Glashäuser kein CO2 aus. Es stimme allerdings, dass Fruchtgemüse wie Tomate, Paprika oder Gurke meist auf Substraten gepflanzt werde, was nicht bedenklich sei, denn so könne man besser auf die Bedürfnisse der einzelnen Kulturen eingehen. Auch die Glashäuser wären nicht zu verteufeln, denn sie schützen die Pflanzen vor Witterungs- und Umwelteinflüssen.

Km-Pickerl reicht nicht

Holler weiter: "Ein sonnengereiftes Produkt aus Italien, das mit dem Lkw nach Österreich transportiert werden muss, ist deutlich besser fürs Klima." Daher spricht er sich für ein CO2-Pickerl aus, doch der Aufkleber müsse neben dem Transportweg auch die Art der Produktion berücksichtigen. Die Agrar Markt Austria bestätigte der Furche, dass derzeit noch in Auftrag gegebene Studien laufen, die die Möglichkeiten eines CO2-Pickerls prüfen, diese beinhalten auch Untersuchungen, inwieweit die Produktionsprozesse (Heizung des Betriebes, Transportwege der Futtermitteln usw.) miteinbezogen werden können.

Ecology of Scale

Der deutsche Bundesverband Naturkost Naturwaren Einzelhandel e.V. führte vor einigen Monaten mit dem Gießener Professor für Prozesstechnik in Lebensmittelbetrieben, Elmar Schlich, ein Interview, in dem sich dieser für in Argentinien im großen Stil hergestelltes Rindfleisch aussprach und gegen eine zu kleine und deshalb ineffiziente Bioproduktion im Inland. Schlich prägte den Begriff "Ecology of Scale" (Ökologie der Betriebsgröße) schon zu Beginn dieses Jahrzehnts. Meist wird das Beispiel Argentinien genannt, wo Rinderherden unter freiem Himmel gehalten werden.

Unter anderem haben sich Martin Demmeler und Alois Heißenhuber von der Technischen Universität München Schlichs Studien angesehen und grobe Mängel bei deren Durchführung gefunden. Es handle sich bei Schlichs Studien um keine Ökobilanz, sondern um eine Bilanz der Energieverbräuche. Eine Ökobilanz umfasse meist mehr als zehn Indikatoren und basiere nicht nur auf dem Vergleich eines einzigen Kriteriums. Somit könne Schlich keine Über- oder Unterlegenheit von regional erzeugten Produkten herleiten.

Für den Konsumenten bleibt es schwierig herauszufinden, was das Richtige ist, denn das Maß an Medienpräsenz (siehe Schlich) ist nur mäßig aussagekräftig.

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