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Der Überdruß am Uberfluß

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Unsere Wohlstandsgesellschaft liebt Fernreisen, Autobahnen, exotische Früchte, billiges Fleisch in rauhen Mengen ... Kein Wort von Verzicht. Auf anderes verzichtet sie hingegen schon: reine Luft, gesünderes Essen, eine intakte Natur, Lebensqualität...

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Unsere Wohlstandsgesellschaft liebt Fernreisen, Autobahnen, exotische Früchte, billiges Fleisch in rauhen Mengen ... Kein Wort von Verzicht. Auf anderes verzichtet sie hingegen schon: reine Luft, gesünderes Essen, eine intakte Natur, Lebensqualität...

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Die Literatur über Wege aus der Wohlstandsfalle ist selbst zum Wachstumsfaktor geworden. Doch die von vielen Seiten geforderte „ Effizienzrevolution ”1> mit ihrem technologischen Ansatz des nachsorgenden Umweltschutzes durch Katalysatoren, Filteranlagen et cetera kann nicht genügen: Seit Jahren klaffen die Indikatoren zwischen Wirtschaftswachstum und Lebensqualität immer weiter auseinander, die Kurve des Wohlbefindens entfernt sich zunehmend auch in unseren reichen Industrieländern von jener des BNPs, von Produktion und Konsum. Eine rasante Globalisierung und Beschleunigung fordern einen hohen Preis, zahlbar mit Umweltzerstörung, Sinnleere, Gewalt, Krankheiten, einer zersplitterten Gesellschaft.

„Gut leben” ist etwas anderes als „viel haben”. Und: zwischen ökologischer Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit besteht ein tiefer Zusammenhang. Dies sind die Leitthemen einer großangelegten, fachübergreifenden Studie2' des „Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie”, im Auftrag des Bischöflichen Hilfswerks Misereor und des deutschen Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND).

Eineinhalb Jahre arbeiteten Dutzende Ökonomen, Soziologen, Physiker und Ökologen am Institut, um aus ihren quantitativen Analysen des Zu-stands der Bundesrepublik nicht nur klare Ziele, sondern erstmals auch qualitative Orientierungen, die oft geforderte Wertediskussion abzuleiten.

Ernährung aus heimischen Produkten

Was bedeutet nun eine zukunftsfähige Entwicklung für unsere Lebensrealität? Wie kann ein „gutes Leben” in einem zukunftsfähigen Deutschland (dieselben Erkenntnisse gelten auch für Österreich) ausschauen? Und wohin führt der Weg weg von Konsumrausch, Verschwendungssucht und Egoismus?

Die Wissenschaftler begründen, daß er weder Askese und schon gar nicht Steinzeit bedeutet, daß er weder realitätsfern noch idealistisch ist, sondern daß das Interesse an der Rettung unseres Planeten im wohlverstandenen Eigeninteresse begründet liegt. „Die Okologisierung des Egoismus” nannte es Hubert Weinzierl, Vorsitzender des BUND, bei der Vorstellung der Studie im dichtgedrängten Kölner Maternushaus. Sie zeigt keinen „Königsweg zum Glück” auf, aber macht die Grenzen der ökologischen Belastbarkeit deutlich, formuliert Umweltziele und neue Wohlstandsmodelle, errechnet Reduktionsnotwendigkeiten und, als vielleicht wichtigsten Beitrag, stellt Leitbilder vor, in denen für eine zukunftsfähige Entwicklung die vielfach geforderte technische Effizienzrevolution und eine Suffizienzrevolution - das rechte Maß - miteinander verknüpft werden.

In allzu vieler Hinsicht haben wir schon heute die ökologischen Grenzen überschritten. So belastet jeder Bundesbürger das Weltklima mit zwölf Tonnen Kohlendioxid pro Jahr. Die tragbare Obergrenze liegt jedoch bei zwei Tonnen pro Kopf und Jahr, ausgehend auf das gleiche Becht jedes Erdenbürgers. Fünf Planeten wie unsere Erde benötigten wir, würde jeder der 5,7 Milliarden Erdbewohner dieselben Mengen wie Deutsche in die Atmosphäre blasen. Daraus folgt: Deutschland muß seinen Kohlendioxid-Ausstoß und seinen Bohstoffdurchsatz um dramatische 80 Prozent verringern -bis zum Jahr 2050. Kurzfristiger ist eine Reduktion von 30 Prozent bis 2010 das unverzichtbare Ziel. Bei diesen Größenordnungen stellen sich gewiß bei vielen die Haare auf: wirtschaftsfeindlich, unverantwortlich, niemals mehrheitsfähig!

Doch 80 bis 90 Prozent weniger Verbrauch heißt nicht, daß nur mehr zehn bis 20 Prozent unseres Wohlstandes bleiben. Zum einen können die Bes-sourcen viel effizienter genutzt werden1 , ein Beispiel wäre das Drei-Liter-Auto. Zum anderen, darüber lassen die Autoren keinerlei Zweifel, brauchen wir mehr Bescheidenheit im Lebensstil, brauchen wir neue Unternehmens-Leitbilder: Statt ex-und-hopp-Waren langlebige, reparaturfähige und wiederverwertbare Qualitätsprodukte. Schon längst arbeiten Wissenschaftler an der UN Universität in Tokio ein der Null-Emissionsfabrik.

Vier Kriterien werden in der Wuppertalstudie für einen zukunftsfähigen Konsum genannt: Sparsamkeit, gemeinsame Nutzung, Langlebigkeit und Regionalorientierung. Letzteres bedeutet, daß unsere Ernährung fast ausschließlich aus heimischen Produkten bestritten werden muß. In den Worten Hubert Weinzierls: „Worauf verzichtet eine Gesellschaft, wenn ein paar tausend Kilometer Straßen nicht gebaut werden, wenn sie ein Tempolimit praktiziert? Wo liegt der Glücksverlust, wenn ich im Winter den Kühlschrank abschalte, die Waschmaschine, den Geschirrspüler sinnvoll einschalte, wenn ich Wärmedämmung und Abwärmenutzung beachte? Ist es so schlimm, auf ein paar unnütze Autofahrten zu verzichten? Ist es Verzicht, Trinkwasser aus der Heimat anstatt Mineralwasser in Plastikflaschen aus fernen Ländern, Bier vom eigenen Ort in Mehrwegflaschen anstatt von fernen Dosenfabriken zu trinken und das Auto nicht mit Trinkwasser zu waschen? Ist es wirklich Verzicht, weniger Fleisch zu essen, dafür aber gesünder zu leben? Ist der Verzicht auf Papayas aus Costa Bica gegenüber saftigen einheimischen Birnen wirklich so groß?

Worauf verzichten wir bei einem Schrank, der aus Buchen- oder Fichtenholz anstatt aus Tropenbäumen hergestellt ist? Und wenn wir einen der Urlaubstrips in die Ferne streichen würden und stattdessen in heimischen Wäldern wandern - ob das ein Verzicht für die Seele wäre?

Worauf wir allerdings nicht verzichten möchten, das ist die Stille einer Landschaft, das ist die reine Atemluft, das gesunde, giftfreie Trinkwasser, das Bad im heimatlichen Fluß, die Blumenwiese und die Vogellieder.

Wer also über Verzicht nachdenkt, merkt schnell, worauf er unter dem Vorwand des Wohlstandes längst verzichten muß...”

Es gibt kein Zurück mehr in den legendären Garten Eden. Aber Umkehr zur Zukunftsfähigkeit unserer Länder ist möglich. Es geht dabei auch um die Zukunft einer bewohnbaren Schöpfung.

” siehe E. u. von Weizsäcker, Amory und Hunter Lovins in „Faktor Vier”, Bericht an den Club of Korne, Uroemer Knaur, 1995

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