Nachhaltiges Wirtschaften - © Foto: Unsplash/Paweł Czerwiński

Dietmar Kanatschnig: "Die Lebensqualität auf Dauer erhalten"

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Visionen von einem nachhaltigem Österreich.

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Visionen von einem nachhaltigem Österreich.

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Nachhaltiges Wirtschaften: ein oft propagiertes Konzept, das die Wirtschaftspolitik tatsächlich nur marginal bestimmt. DIE FURCHE sprach mit dem Gründer und Direktor des Österreichischen Institut für Nachhaltige Entwicklung Dietmar Kanatschnig über die Notwendigkeit, diesen Ansatz auch umzusetzen.

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DIE FURCHE: Sie haben alle Bundesländer nach Nachhaltigkeitsinitiativen durchforstet. Wo tut sich besonders viel?
Dietmar Kanatschnig: Drei Bundesländer sind besonders aufgeschlossen: Oberösterreich, die Steiermark und Vorarlberg. Besonders hoffnungsweckend ist dabei, dass die Akteure, die an der Umsetzung der nachhaltigen Entwicklung arbeiten, nicht nur im Umweltbereich, sondern auch in der Wirtschaft, in der Raumplanung oder im Energiebereich tätig sind. So lassen sich die Projekte gut vernetzen zu einer nachhaltigen Gesamtentwicklung. Wien, Salzburg und Kärnten haben gute Einzelprojekte, die jedoch erst in eine Gesamtstrategie eingebunden werden müssen. In Tirol und Niederösterreich sind uns nur wenige Ansätze bekannt, das Burgenland hat als Ziel1-Gebiet offensichtlich andere Sorgen.

DIE FURCHE: Sie betonen immer wieder, dass Umweltschutz von einem Begrenzungs- zum Zielfaktor der Entwicklung werden muß. Was meinen Sie damit?
Kanatschnig: Umweltschutz gibt unserer Entwicklung nicht nur Grenzen vor, sondern beinhaltet auch eine Reihe von Innovationspotentialen. Unter dem Gesichtspunkt der nachhaltigen Entwicklung werden sich letztlich nur solche Aktivitäten durchsetzen, die auf Dauer mit den ökologischen Erfordernissen vereinbar sind. Das bedeutet nicht, dass wir den Verhaltensspielraum einengen, sondern dass in neuen Bereichen zusätzliche Möglichkeiten entstehen. Zum Beispiel im Bereich Biotechnologien, wo sich die Entwicklung stark an ökologischen Vorbildern orientiert und damit zu raffinierteren Technologien führt, als es heute der Fall ist. Raffiniert heißt hier weniger rohstoffintensiv, weniger energieintensiv. Ich sehe die Orientierung an ökologischen Grundlagen als Chance für eine Wirtschaftsentwicklung im positiven Sinne an. Sie begünstigt Länder, die sich zuerst dafür entscheiden, während diejenigen, die am längsten zuwarten, Probleme bekommen werden.

DIE FURCHE: Mit Biotechnologien, meinen Sie da auch Gentechnologie?
Kanatschnig: Nein, ich beziehe mich dabei zum Beispiel auf von der Natur abgeschaute Techniken wie Oberflächenkonstruktion oder Wabenbau, um Ressourceneffizienz zu erreichen. Gentechnik ist genau das Gegenteil von dem, was wir unter nachhaltiger Entwicklung verstehen, weil sie sich nicht an der Natur orientiert, sondern an kurzfristigen ökonomischen Möglichkeiten.

DIE FURCHE: Wenn es um Nachhaltigkeit geht, überlegt man heute meist, wie man Ressourcen effizienter einsetzt oder innovative Produkte und Techniken entwickelt. Fragen nach einem neuen Lebensstil, nach der Verteilung der Güter bleiben unterbelichtet. Was sagen Sie dazu?
Kanatschnig: Die Nachhaltigkeit ist prinzipiell ein globales Konzept, nicht nur, was die geographische Dimension betrifft, auch in zeitlicher Hinsicht, da sie weit in die Zukunft hineinreicht. Natürlich haben nicht alle Institutionen, die sich mit Nachhaltigkeit befassen, diesen globalen Rahmen vor Augen; nur ist mir persönlich jeder lieb und willkommen, der sich mit der Zukunft beschäftigt und seinen Beitrag leistet, auch wenn es ab und zu die berechtigte Kritik gibt, dass dieser Beitrag nicht ausreicht.

Wenn wir durch geänderte Lebensweisen Medikamente oder Lärmschutzwände "einsparen", so ist das kein Verzicht, sondern höhere Lebensqualität.

DIE FURCHE: Sie werben mit Genuss und Lebensqualität. Was sagen Sie zu Verzichts- und Genügsamkeitsappellen?
Kanatschnig: In vielen Bereichen wird von Verzicht gesprochen, dabei geht es lediglich um Umstrukturierung. Wenn wir durch geänderte Lebensweisen Medikamente oder Lärmschutzwände "einsparen", so ist das kein Verzicht, sondern höhere Lebensqualität. Präventive Medizin schafft mehr Gesundheit und eine Raumordnung der kurzen Wege bewirkt, dass wir weniger fahren müssen. Wir müssen heute die richtigen Fragen stellen, um auf die richtigen Antworten zu kommen. Wenn wir fragen: "Wie reduziere ich den Lärm?", kommen wir auf Lärmschutzwände als Lösung. Fragen wir hingegen: "Wie erhalten wir die Ruhe?", so ist primär die Raumordnung angesprochen. Die Frage im Zusammenhang mit nachhaltiger Entwicklung lautet: Wie können wir die Lebensqualität auf Dauer erhalten?

DIE FURCHE: Was sagen Sie zu den Autobahnausbauplänen und dem Argument, dass Autobahnen Arbeitsplätze schaffen?
Kanatschnig: Auch der Bau von Pyramiden schafft Arbeitsplätze. Das Arbeitsplatzargument kann für alle Maßnahmen herangezogen werden, ohne deswegen schon Rechtfertigung genug zu sein, etwas zu tun oder nicht. Bei den Autobahnausbauplänen handelt es sich vorwiegend um Lückenschlüsse - der Fehler liegt meist zehn Jahre zurück. Dazu ist zu sagen, dass wir Engpässe brauchen, um den Verkehr zu begrenzen. Werden alle Engpässe beseitigt, werden wir das Verkehrsproblem nicht in den Griff bekommen - auch wenn es politisch schwer auszuhalten ist, dass es Engpässe gibt. Wenn es das Ziel ist, Arbeitsplätze zu schaffen, muss man argumentieren, dass sich auch der Ausbau der öffentlichen Verkehrsverbindungen positiv auf die Beschäftigung auswirkt. Ob ich jetzt Straßen baue oder Gleisanlagen, ist vom Beschäftigungseffekt her gleich. Nur bezüglich der Zukunftsfähigkeit, der Signalwirkung auf die Bevölkerung und vor allem auf die Wirtschaft, wie sie sich entwickeln soll, ist es ein völlig anderer Zugang. Ein auf Mineralölverbrauch beruhendes Verkehrssystem ist nicht zukunftsfähig, die Grenzen sind durch den Treibhauseffekt und die in 30 oder 40 Jahren zu Ende gehenden Naturressourcen vorgegeben.

DIE FURCHE: Sie vertreten die Ansicht, dass die Industrienationen aus ökologischer Sicht Entwicklungsländer sind.
Kanatschnig: Wir haben bisher stets unterschieden in Entwicklungsländer und Industrienationen und haben dadurch den Eindruck erweckt, dass sich nur noch die Entwicklungsländer entwickeln müssten, und zwar in unsere Richtung. Die Industrienationen hätten die Entwicklung schon hinter sich. Wir sehen aber am Beispiel der großen Umweltprobleme - etwa des Klimawandels -, dass gerade wir gefordert sind, unsere Entwicklung zu ändern. Die Umweltbelastung der Entwicklungsländer ist im Vergleich dazu fast vernachlässigbar. Wenn wir die Umweltsituation in den Griff bekommen wollen, ist die Notwendigkeit, dass wir uns weiterentwickeln und verändern, viel größer. In diesem Sinne sind die Industrienationen genauso Entwicklungsländer.

DIE FURCHE: Was sagen Sie zur These des deutschen Zukunftsforschers Leo Nefiodow, aus Gesundheit (im umfassenden Sinn) einen gigantischen Wirtschaftszweig zu machen, größer als Petrochemie, Auto oder Rüstung?
Kanatschnig: In seinen Analysen zeigt Nefiodow gut nachvollziehbar, dass nur der Gesundheitsbereich ein ähnlich enormes Marktpotential in sich birgt wie heute die Computertechnologie. Hinzuzufügen ist, dass Nefiodow unter Gesundheit alle Maßnahmen versteht, die dazu angetan sind, Schäden, die unser Wirtschaftssystem an der Natur, am Menschen und an der Wirtschaft selbst anrichtet, zu verringern. Es gibt hierzu interessante Untersuchungen, die das Bruttosozialprodukt in zwei Teile einteilen: in produktive und in defensive Kosten.

Alle Ziele und Maßnahmen, die zum Aufbau einer nachhaltigen Wirtschaft beitragen, stärken die Region.

DIE FURCHE: Was sind defensive Kosten?
Kanatschnig: Die defensiven Kosten sind jene, die nötig sind, um unser umwelt- und gesundheitsschädigendes Wirtschaftssystem am Leben zu erhalten.Besagte Untersuchungen zeigen, dass, wenn wir heute von Wirtschaftswachstum sprechen, nicht die produktiven Kosten wachsen, sondern nur noch die defensiven. Wir geraten also in eine Leerlaufautomatik und müssen immer mehr Geld für Reparaturmaßnahmen ausgeben. Üblicherweise wird das als Wachstum und Wohlstandszunahme interpretiert, obwohl es nichts mehr damit zu tun hat. Diese defensiven Kosten abzubauen, ist sicher eine Perspektive, die auch ökonomisch interessant ist und sich unter gesellschaftlichen und ökologischen Gesichtspunkten lohnen würde.
Ich persönlich wünsche mir, dass Gesundheit und ein Abbau der defensiven Kosten in den nächsten Jahrzehnten eine zentrale Rolle spielen. Dann würde nicht nur die Lebensqualität steigen, es würden auch die Ausgaben, die der Staat tätigen muss, um sich diese Reparaturmaßnahmen leisten zu können, sinken und damit die Besteuerung.

DIE FURCHE: Welche Vision von einem nachhaltigen Österreich haben Sie?
Kanatschnig: Ideal wäre, dass es uns gelingt, die Lebensqualität auf heutigen Niveau dauerhaft zu sichern, ohne dabei auf Kosten anderer Länder oder künftiger Generationen zu leben. Ich bin mir allerdings bewusst, dass Veränderungen viel Zeit brauchen. Veränderungen beginnen im Kopf. Bevor etwas getan wird, wird es gedacht. Wir müssen deshalb dort ansetzen, wo geistige Arbeit grundgelegt wird: im Wissenschafts- und Bildungssystem. Meine Vision ist, dass die Universitäten diese Umorientierung möglichst schnell vornehmen. Ansätze gibt es, aber von einer kritischen Masse sind wir noch weit entfernt.

DIE FURCHE: Wie würde ein gelungene Lebensqualitätsregion aussehen?
Kanatschnig: Sie versorgt sich weitgehend selbst, nicht nur mit Lebensmitteln und Rohstoffen, auch mit Freizeitmöglichkeiten, attraktiven Landschaften und Bildungsangeboten. Es gibt einen Austausch mit anderen Regionen bei Leistungen, die sie nicht selbst erbringen kann, weil das natürliche oder menschliche Potential nicht ausreicht. In einer solchen Region würde auch eine andere Kommunikation zwischen den Menschen stattfinden, es wäre eine offenere, direktere, intensivere Kommunikation auf der Basis zwischenmenschlicher Begegnung, nicht in Form einseitiger Informationsflüsse etwa aus Fernsehen oder Werbung. Aktives Vereinsleben, gegenseitige Hilfe und Solidarität verstärken als gelebte Werte diese Kommunikation. Um auf die Verteilungsfrage zurückzukommen: In solchen Regionalverbänden müsste es Anliegen aller sein, Benachteiligungen schon im kleinen Bereich zu vermeiden. Das ist allerdings kein Szenario - die sind auf 15 bis 20 Jahre ausgelegt -, das ist eine Vision.

DIE FURCHE: Wer mit Regionalisierung gegen die Globalisierung argumentiert, wird rasch des Provinzialismus und der Rückwärtsgewandtheit geziehen. Autarkie genießt in weiten Kreisen eine negative Konnotation. Wie kann man die Region besser verkaufen?
Kanatschnig: Alle Ziele und Maßnahmen, die zum Aufbau einer nachhaltigen Wirtschaft beitragen, stärken die Region. Beispiele hierfür sind die Nutzung nachwachsender Rohstoffe oder die Sicherung der Nahversorgung. Damit sollen in den Regionen Arbeit geschaffen, Einkommen erhalten, Wertschöpfungsketten geschlossen werden. Regionale Wirtschaftssysteme werden durch nachhaltige Entwicklung gestärkt. Unmittelbar vor dem EU-Beitritt ist Werbung gemacht worden, wie vorteilhaft es wäre, einem Markt mit 300 Millionen Konsumenten anzugehören. Seit mehr als einem Jahr gibt es wieder die Werbung mit dem großen A: "Kauft österreichische Produkte!" In Deutschland wirbt eine Bekleidungsfirma damit, dass alle Produkte durch Verarbeitung im Inland hergestellt werden und nicht aus dem Ausland bezogen werden müssen. Das heißt, Unternehmen beginnen, mit der Wertschöpfung, die sie innerhalb eines Landes oder einer Region schaffen - und damit Arbeitsplätze -, Werbung zu machen; das wird bei den Konsumenten immer wichtiger werden. Das ist nicht Provinzialismus, sondern der einzige Ausweg aus einer globalen Krise.

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