Die verlorene Unschuld

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Nachhaltigkeit müsste auch im Ferntourismus als Prinzip Einzug halten. Profitieren würden nicht nur die "Bereisten", sondern auch die Reisenden.

Wenn in irgendeiner Millionenstadt wie Quito oder Shanghai Terroristen gegen zwei Hochhäuser donnern und ein gigantisches Loch in die Skyline reißen, so würdigt dergleichen die mit Gewalt übersättigte Medienwelt bestenfalls mit einigen betroffenen Schlagzeilen. Mit den Twin Towers allerdings war am 11. 9. ein internationales Finanzzentrum im Herzen der westlichen Welt zerstört und dadurch auch deren Selbstbewusstsein erschüttert worden. Vom Sog dieses Desasters mitgerissen wurde vor allem jene Branche, die am meisten vom Traum der heilen Paradiese lebt: der Tourismus.

Allein in Österreich waren die Buchungen für Fernreisen um bis zu 20 Prozent eingesackt. Wie soll man sich auch am Roten Meer oder in Dubai entspannen, solange Bin Laden & Co. ihr Unwesen treiben? So entdeckten Herr und Frau Österreicher wieder ihre Begeisterung für Europa und erst recht für die Alpenrepublik, wo der soziale Friede und die natürliche Umwelt intakt erscheinen. Der österreichische Binnentourismus, der infolge der EU-Sanktionen im Jahr 2000 leicht gelitten hatte, boomt wieder. Dadurch steigen die hiesigen Einnahmen, was Arbeitsplätze sichert, den Wohlstand festigt und Kapital etwa für umweltfreundliche Investitionen anlockt. Als "Zuckerl", so könnten grüne Aktivisten argumentieren, wird zudem dank Herrn Bin Laden auch weniger geflogen, was die emissionsbedingte Umweltbelastung senkt. Glück im Unglück, könnte man meinen: Wir sind eben doch die Insel der Seligen.

Ein verständlicher, jedoch fataler Irrtum, denn die Welt ist längst ein globales Dorf, in dem jeder mit jedem verbunden ist, ob per CNN, per Internet oder über die globalen Auswirkungen von politischen, sozialen und ökologischen Katastrophen. So sind infolge der Buchungseinbrüche bei Fernreisen 10.000 Jobs in Österreich gefährdet, weil am Urlaub im warmen Süden auch heimische Reisebüros beträchtlich mitverdienen. Boomt der Tourismus in die USA, die Karibik und die außereuropäischen Mittelmeerstaaten, Österreichs beliebteste Fernziele, dann steigt auch der heimische Export, weil besonders die Destinationen der Dritten Welt kaum über eigene Industrie verfügen. Nicht umsonst gilt der internationale Tourismus als die Wirtschaftslokomotive des 21. Jahrhunderts.

Allein an diesem Beispiel zeigt sich, dass Spekulationen über Gewinner und Verlierer des 11. September mehr als nur müßig sind. In Wahrheit ist jenes Attentat Ausdruck eines globalen Zustandes, der schon lange vorher alles andere als rosig war. Dies galt erst recht für die "heile Welt" des Tourismus. Da sind etwa die gravierenden ökologischen Auswirkungen der 700 Millionen Auslandsreisen, die jährlich weltweit unternommen werden. Der drohende Kollaps der Erdatmosphäre wird zwar gerne US-Präsident Bush wegen seines Vetos gegen das Klima-Abkommen von Kyoto in die Schuhe geschoben, mitverantwortlich für die CO2- und Ozon-Belastung ist allerdings auch jeder der 100 Millionen Besucher, die jährlich mit dem Pkw in die Alpen rollen. Auch für die 100 Millionen Tonnen Kerosin, die pro Jahr für Urlaubsflüge verpufft werden, trägt nicht George Bush allein die Schuld. Doch entgegen allen ökologischen und volkswirtschaftlichen Bedenken wächst der Anteil der Flug- und Autoreisen zuungunsten des verträglicheren Transports durch die Bahn. Urlauber reisen immer öfter, immer kürzer und immer weiter.

Klimawandel, na und? Weil die Folgen dieser Klimabelastung Österreich nur indirekt und langfristig treffen, werden sie als solche nicht wahrgenommen. Wenn etwa infolge des Klimawandels der Meeresspiegel steigt und Bangladesch versinkt oder infolge zunehmender Wetterextreme Dürren und Überschwemmungen die Länder im Süden verwüsten und auch die eigenen Bauern belasten, so wird dies von uns zwar als tragisch empfunden, nicht aber als "persönliches" Problem.

Doch genau hier herrscht eine extrem gefährliche Illusion, denn schon heute flüchten unzählige Menschen aus jenen Ländern, die von Naturkatastrophen, Konflikten, Armut oder Arbeitslosigkeit gezeichnet sind, in der Hoffnung auf ein besseres Leben in "unsere Welt". Oft sind es Menschen genau jener Länder, in denen wir unseren Urlaub verbringen. Dies ist Ausdruck einer knallharten Tourismuswirtschaft, die in den Reisedestinationen für die breite Bevölkerung wenig übrig lässt. Besonders an den beliebten All-inclusive-Anlagen verdienen hauptsächlich die großen Tourismuskonzerne der Industrieländer. Schlimmer noch: Wird in Trockenzeiten das Wasser knapp, dann muss sich die Bevölkerung mit rationiertem Trinkwasser begnügen, während die Urlauber genüsslich im Hotel-Pool planschen. Doch wer sollte sich darüber beklagen: Die Urlauber ahnen nichts davon, und die einfache Bevölkerung zählt im Tourismus höchstens als exotische Fotoattraktion.

Während die von westlichen Konzernen dominierte Struktur des Ferntourismus die Lage der "bereisten" Bevölkerung zunehmend verschlechtert, wird diesen Menschen im Gegenzug die Illusion vom süßen Lebens im "goldenen Westen" vorgaukelt. Was sie sehen, sind reiche, wohlgenährte Urlauber, die sich Faulheit und grenzenlosen Konsum leisten können. Kein Wunder also, wenn immer mehr Menschen des Südens ihre Flucht nach Europa als einzigen Ausweg aus ihrem Elend sehen. In der Wohlstandsfestung Europa aber steht man diesem Ansturm hilflos, ja furchtsam gegenüber und reagiert mit rigiden Asylgesetzen und wachsender Ausländerangst.

Jene, die es nicht nach Europa schaffen und in ihrer Not zu ersticken drohen, bleibt nur die Resignation oder die Flucht in den Fanatismus, der zur lebenden Zeitbombe für den Westen wird. Die palästinensischen Selbstmordattentäter oder die Bin-Laden-Anhänger in Pakistan und Afghanistan sind typische Folgen dieser Spirale aus hoffnungsloser Armut, politischer Ausgrenzung und Gewalt. In Ägypten fielen im Jahr 1995 erstmals auch Touristen diesem sozialen "Krieg" zum Opfer.

Angesichts solcher wachsenden globalen Probleme mit lokalen Auswirkungen reagieren Philosophen gerne mit der Verurteilung des "Systems", während Tourismuskritiker von Aufklärung und Reiseverboten träumen. Verfehlt sind beide Ansätze, denn zum einen kann sich ein komplexes System nicht selbst verantworten, sondern es wird wesentlich durch das Buchungs- und Urlaubsverhalten jedes einzelnen Konsumenten mitgesteuert; zum anderen sind Reiseverbote und ähnliche moralinsaure Ideen absurd, weil sie das Wesen des touristischen Reisens völlig verkennen. Urlaub hat nichts mit Aufklärung oder Moral zu tun, sondern mit der Vorstellung von Freiheit und Entspannung, von action und fun! Nicht umsonst ist die beliebteste Urlaubsform der "SSS-Tourismus": Sonne, Strand und Sex. Nicht ob, sondern wie Ferntourismus abläuft, um sozial- und umweltverträglich zu sein, ist darum die entscheidende Frage für das 21. Jahrhundert.

Tatsächlich ist das Wie relativ einfach zu beantworten: Wer Urlaubsprodukte konsumiert, die die Wirtschaft der Urlaubsregion stärken und die ökologischen und soziokulturellen Belastungen gering halten, kann nicht nur ohne schlechtes Gewissen gegenüber den "Bereisten" urlauben, sondern trägt zudem auch aktiv zur Bekämpfung der Probleme im Land bei: Indem man in im Besitz Einheimischer stehenden Hotels nächtigt und regionale Produkte konsumiert, sichert man Arbeitsplätze und fördert indirekt auch die Stabilisierung des sozialen Friedens in Österreich, weil der Migrationsdruck reduziert wird: Wer daheim einen Job findet, denkt nicht ans Auswandern.

Ein Beispiel von vielen, deren Schema jenem der "TransFair"-Produkte folgt. Diese werden zu Bedingungen hergestellt, die den Produzenten ein anständiges Leben ermöglichen. Im Tourismus ist diese so wichtige Idee leider noch kaum verbreitet, weshalb das Engagement von Organisationen wie "respect - Zentrum für Tourismus und Entwicklung" (www.respect.at) für die Sensibilisierung von Tourismusindustrie und Konsumenten gegenwärtig noch einem Kampf gegen Windmühlen gleicht.

Diese Ideen haben freilich nur dann eine Chance auf Akzeptanz, wenn sie jedem etwas bringen. Für den Urlauber ist dies vor allem die Aussicht auf ein intensiveres und positiveres Erleben des Urlaubslandes und damit auf mehr Urlaubsgenuss. Das ist kein schlechter Lohn für Beiträge gegen die Folgen einer Globalisierung, die zwar nicht aufgehalten, wohl aber gebändigt und kultiviert werden kann. Diese Macht liegt in den Händen der Bürger und Konsumenten, die mit ihrem sorgfältigen Kauf- und Buchungsverhalten letztlich weit mehr bewirken können als erzürnte Globalisierungsgegner oder bemühte Politiker.

Der Autor lebt als Publizist, Philosoph und Touristiker in Graz.

Buchtipps

Von Harald A. Friedl sind folgende Bücher zum Thema erschienen:

TOURISMUSETHIK

Theorie und Praxis des umwelt- und sozialverträglichen Fernreisens

Profil-Verlag, München - Wien 2002

260 Seiten

RESPEKTVOLL REISEN

Reise Know-How Verlag, Bielefeld 2002

160 Seiten

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