Wegfahren und Dableiben

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Reisen hat mit den tiefsten Träumen und Sehnsüchten der Menschen zu tun. Gleichzeitig gerät die zu Ende gedachte Vorstellung eines rundum massentouristisch erschlossenen Globus, erst recht die auf die gesamte Weltbevölkerung hochgerechnete schier grenzenlose Mobilität der Industrieländer zum apokalyptischen Szenario. Der Grazer Publizist Harald Friedl skizziert vor diesem Hintergrund Leitlinien für einen nachhaltigen Tourismus (Seite 14); dass es auch in dieser Branche nichts gibt, was es nicht gibt, zeigt eine Geschichte über Tschernobyl-Trips (Seite 16).

Mit der Urlaubswerbung ist es wie mit der Autowerbung: Beide suggerieren Dir, dass gerade Du auserwählt bist; beide treiben das anthropozentrische Weltbild auf die Spitze: im Mittelpunkt der - einzelne - Mensch. Es besteht auch ein evidenter innerer Zusammenhang zwischen Urlaub und Auto: Wenngleich Auto natürlich nicht nur ein Urlaubsvehikel ist, so wird doch Reisen im Wortsinn als Automobilität verstanden (auch dann, wenn das Reiseziel aufgrund der Entfernung per Flieger angesteuert wird). So viel Freiheit wie in Tourismus- und Pkw-Spots ist folgerichtig sonst kaum wo, und kaum wo sonst klafft die Differenz zwischen Schein und Wirklichkeit so deutlich auf: Der Traum von der Selbstverwirklichung des Individuums kontrastiert scharf mit überfüllten Straßen, Städten, Stränden...

Das Schlüsselwort heißt auch hier: Demokratisierung. Nach der Politik, der Wirtschaft, der Bildung und Kultur wurde auch das schöne Leben von ihr erfasst: Essen & Trinken, Wohnen - und eben auch Reisen. Dass dieser Demokratisierungsprozess freilich - entgegen seinen eigenen Ansprüchen - die Eliten nicht abgeschafft, sondern einfach neue geschaffen hat, gehört der Vollständigkeit halber auch angemerkt; ebenso, dass die Karten bei diesem neuen Spiel eindeutig besser gemischt sind, wobei dennoch subjektiv heute das Gefühl vorherrscht, das Gewinnen sei schwieriger und das Verlieren noch härter geworden.

Reisen ist also - wie vieles andere auch - zur Massenveranstaltung mutiert, und hinter diesen Status quo sollten wir, erstens, aus grundsätzlichen demokratiepolitischen Erwägungen nicht zurück und könnten wir, zweitens, auch dann nicht, wenn wir wollten. Wie bei anderen Massenveranstaltungen (z. B. der Universität), haben wir freilich noch recht wenig Ahnung, wie wir mit den (im Falle des Reisens etwa: ökologischen) Folgen dieser prinzipiell begrüßenswerten Entwicklungen umgehen sollen.

"Alltag raus!"

"Hier bin ich sowieso, doch schön ist es auch anderswo", heißt es bei Wilhelm Busch - und die Illustration zeigt einen daherstaksenden Mann mit Fernrohr. Es ist dies eine denkbar kurze und prägnante Darstellung dessen, worum es beim Reisen geht: das Schweifen in die Ferne, das Transzendieren des eigenen Standorts, wo man "sowieso" ist. Nun hat das Schweifen in die Ferne durch internationalen Terrorismus, aber auch durch die Schattenseiten des Massentourismus etwas von seinem Zauber verloren. Die Rückbesinnung auf das "Gute", das "so nah" liegt, hat längst eingesetzt. Die Österreich-Werbung knüpft an die Idee der Sommerfrische von anno dazumal an, freilich aufgegeppt mit dem Lebensgefühl der Wellness-Generation: "Alltag raus" - Du allein an irgendeinem See in den Bergen. Vor Jahren schon dudelte es uns aus den Radios entgegen. "Keine Sterne in Athen, dafür Schnaps in St. Kathrein; ich hab den Urlaub nicht gewollt ...". Und noch Jahrzehnte früher schilderten uns Merz/Qualtinger die abgründige Wochenend-Idylle des Herrn Karl mit "Schnitzel und Erdapferlsalat im Glasl". Heute lässt sich der Herr Karl in irgendeiner Therme verwöhnen, Haubenköche und Topwinzer inklusive. - Schlecht? Wenn Marx nur ein bisschen recht hatte, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt, dann hat sich auch der Herr Karl dadurch verändert. Das jedenfalls wäre die optimistische Lesart.

Im übrigen reisen wir heute nicht mehr, wir fahren weg. Puristen sind ja schon seit langem der Meinung, dass Touristik und Reisen einander diametral entgegengesetzt sind. Das ist natürlich, wie bei Puristen immer, nur die halbe Wahrheit - es gibt solchen und solchen Tourismus, man wird nicht jeder Art den ursprünglichen Reisecharakter einfachhin absprechen können. Aber es ist gewiss kein Zufall, dass wir das Wort "reisen" kaum mehr verwenden.

Tipps für Trips

"Fahrst weg?": Dieser Frage kommt so etwas wie eine existenzielle Dimension zu. Sie tritt fast gleichberechtigt neben jene zwei, die Josef Hader vor einiger Zeit schon als Grundfragen des Menschen ausgemacht hat: "Woher kommen wir?" und "Wohin gehen wir heute abend essen?". "Fahrst weg?", das hat in Zeiten, da es von Feier- und Fenstertagen und den damit verbundenen Wochenend-Gestaltungsmöglichkeiten nur so wimmelt, Hochkonjunktur. Was für eine Frage? Natürlich fahren wir weg! Die Magazine überbieten sich im Vorfeld solcher verlängerter Wochenenden mit Tipps für Trips aller Art, die Promi-Stories, die uns verraten, wer wann wo am liebsten ist, tun ein Übriges. Der Daheimgebliebene mutet da seltsam zurückgeblieben an.

Aber auch dazu gibt es einen Gegentrend: Schöner Wohnen. Die Autoindustrie hat darauf naturgemäß reagiert: Neben den eingangs beschriebenen Klischees begegnet uns in der einschlägigen Werbung auch das Auto als eine Art mobile Wohnung - Platz und Komfort für die ganze Familie, (fast) wie daheim und doch auf der Achs'. Das ist Dialektik im besten Sinn: Die Versöhnung der Gegensätze ist voll im Gang - zwischen Daheimbleiben und Fortfahren, Alltag und Urlaub, Stabilität und Mobilität.

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