Werbung
Werbung
Werbung

Viele sehen die Tendenz zu Massenereignissen gerade im Bereich von Kunst und Kultur mit Unbehagen. Doch die Frage, ob wir das wollen, stellt sich längst nicht mehr.

Das Zauberwort lautet "Demokratisierung“. Am wenigsten Charme hat es heute in dem Zusammenhang, aus dem es eigentlich kommt: jenem der Politik. Die Demokratie war die große Errungenschaft des 20. Jahrhunderts - aber mittlerweile wird vielfach Müdigkeit und Überdruss konstatiert, längst macht das Wort von der "Post-Demokratie“ die Runde. Im Gefolge der Demokratisierung der Politik kam es aber auch zur Demokratisierung aller Lebensbereiche: Bildung, Kultur, Kulinarik, Reisen, Familie, Partnerschaft, Sexualität - alles wurde unter das Postulat einer umfassenden Neuordnung im Sinne von mehr Gleichheit und Gerechtigkeit gestellt. Das ist prinzipiell gut so. Die kulturkritische Rede von der "Spaßgesellschaft“ ins Positive gewendet besagt: Der "Spaß“ - also all die schönen, Geist, Herz und Seele erbauenden Dinge, aber auch deren Missbrauch, Verzerrung oder Pervertierung - ist nicht Privileg einer von Geburts wegen oder aus sonst welchen Gründen herausgehobenen herrschenden Schicht, sondern grundsätzlich für alle da.

Popularisierung von Herrschaftswissen

Alle - das sind die vielen einzelnen, das ist die Masse. Worte mit einem vorangestellten "Massen-“ haben indes gar keinen guten Klang, sie weisen tendenziell auf ein Problem hin, ohne dass sie näher erläutert werden müssten: die Massenuniversität, der Massentourismus, die Massenmedien, ja auch die Massendemokratie. Wobei manche dieser Begriffe das Dilemma selbst schon anzeigen, weil ihr Gegenteil eigentlich keinen Sinn ergäbe: Eine Eliten-Demokratie ist keine Demokratie, Medien sind von Anfang an auf Verbreitung im doppelten Sinn angelegt, wollen also "Herrschaftswissen“ popularisieren, solcherart informierte Menschen streben aber auch nach "höherer Bildung“, wollen reisen, Theater und Museen besuchen, gut essen …

So weit, so einfach. Blöderweise ist es aber so, dass es nicht nur edle, gute, anständige, kultivierte Menschen gibt, und dass auch die edlen, guten, anständigen, kultivierten Menschen nicht nur edel, gut, anständig, kultiviert sind. Deswegen gibt es ein Problem - und deswegen reden wir von "Massenirgendwas“. Die Frage stellt sich freilich überhaupt nicht, ob wir (wer immer das jetzt ist) das alles wollen, sondern es kann nur noch darum gehen, wie wir mit diesen Massenphänomenen umgehen. Eine Rückkehr zu vordemokratischen Verhältnissen kann und wird es nicht geben.

Ein Komplex, wo sich die skizzierten Entwicklungen mit all ihren Chancen und Problemen besonders klar aufzeigen lassen, ist jener der Kultur und des damit eng verbundenen Tourismus. Bilder wie jenes oben auf dieser Seite illustrieren besser als jede Analyse die Gemengelage. Man kann das, wie Daniela Strigl (siehe Streitgespräch Seite 22/23), abschreckend empfinden und sich Museumsbesuche dadurch verleiden lassen; oder man sieht, wie Strigls Diskussionspartner Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder in den Besuchermassen eine Bestätigung für Relevanz: Das Gebotene ist offenkundig so gut, dass sehr viele Menschen dafür bereit sind, Zeit und Geld zu investieren. Noch einmal: Die Frage ist im Allgemeinen längst beantwortet - individuell mag man sich dem Betrieb durch Verweigerung (Nicht-Besuch) entziehen, es ändert nichts an den Gesetzen der Ökonomie der Aufmerksamkeit, die sich nicht zuletzt in bare Münze umsetzt. Es bleibt die unauflösbare Spannung, die auch Schröder im Rahmen des Gesprächs beschrieb: Als einzelner sei es wunderbar alleine im Museum zu stehen, als Direktor (und man darf hinzufügen: als das Ganze in den Blick nehmender Zeitgenosse) kann man sich das nicht wünschen. (Das Problem ist, nebenbei bemerkt, auch aus der Autowerbung bekannt, wo meist nur ein einziges Auto auf der Landstraße unterwegs ist …)

Niederschwellige Veranstaltungen

Nicht anders verhält es sich im noch immer von der Aura des Elitären umgebenen Bereich der sogenannten klassischen Musik. Wer an lauen Sommerabenden in die Nähe der Wiener Staatsoper kommt, wird unversehens mit vertrauten oder, je nachdem, ganz und gar ungewohnten Klängen konfrontiert: Seit einigen Jahren überträgt das Haus am Ring eine beträchtliche Anzahl an Aufführungen in der warmen Jahreszeit live auf den Herbert-von-Karajan-Platz vor der Oper. In der Hoffnung, wie das der ehemalige Direktor des Hauses Ioan Holender einmal ausdrückte, dass die, die draußen sitzen oder stehen, vielleicht irgendwann auch einmal hineingehen und unmittelbar dabei sein wollen (dafür also nicht nur Zeit, sondern auch Geld investieren). Übrigens nicht nur in der warmen Jahreszeit: Bei Christian Thielemanns jüngstem "Ring“-Durchgang harrten trotz November-Temperaturen erstaunlich viele vor der Oper aus (möglicherweise allerdings auch solche, die gerne drinnen gewesen wären und bezahlt hätten, aber keine Karten ergattern konnten).

Die Grundidee der Oper vor der Oper hat was für sich: Sie ist ähnlich niederschwellig wie ein Gottesdienst, jeder bestimmt selbst die Nähe oder Ferne zum Geschehen, die Intensität der Teilnahme: Man kann, liturgisch gesprochen, in der vordersten Kirchenbank sitzen, oder im Dunkel hinter der Säule stehen und noch vor dem Schlusssegen (oder früher) gehen. Das zumindest wäre die positive Lesart. Die negative - für die Oper, nicht für die Kirche - könnte sich aus der Erfahrung mit den Gratiszeitungen speisen: Man gewöhnt die Leute daran, dass etwas nichts kostet und auch nichts wert ist. Die von den Verlegern ursprünglich gehegte Hoffnung, dass die Gratiszeitungsnutzer irgendwann zu Kaufzeitungslesern werden, muss sich ja erst noch erfüllen …

Rare Sternstunden

Ein ähnliches, vielleicht noch markanteres Beispiel geben die Wiener Philharmoniker, haben doch deren Konzerte stets als Inbegriff des Exklusiven gegolten. Gewiss, durch die weltweite Übertragung ist zumindest das Neujahrskonzert ein Musterbeispiel für ein globales Medienphänomen. Doch mit dem "Konzert für Europa“ (seit 2008 "Sommernachtskonzert“) im Schlosspark Schönbrunn beschritt der Luxusklangkörper ab 2004 neue Wege: Wer hätte je gedacht, dass das Wiener Meisterorchester ein frei zugängliches Open-Air-Konzert geben würde (das natürlich ebenfalls weltweit übertragen wird)? Heute scheint es unvorstellbar, diese Tradition wieder aufzugeben.

Man mag ob solcher Entwicklungen die Nase rümpfen, sich Sorgen um Qualitätsverlust, Tendenzen zu Verwechselbarkeit und Beliebigkeit machen - für all das gibt es auch gute Gründe. Doch, wie gesagt, die Sache ist längst entschieden. Die Sternstunde aber, das Ausnahmeereignis, das Exquisite wird bleiben, wird es weiterhin geben - und es wird so selten sein, wie es immer schon war.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung