"Ja" zum sanften Tourismus

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Eine Urlaubsreise ist Erholung vom Alltag. Massentourismus zerstört aber oft landschaftlich wertvolle Regionen. Einen Ausweg aus der Misere diskutierten Wissenschafter in Wien.

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Eine Urlaubsreise ist Erholung vom Alltag. Massentourismus zerstört aber oft landschaftlich wertvolle Regionen. Einen Ausweg aus der Misere diskutierten Wissenschafter in Wien.

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Tourist, das ist einer, der alles fotografiert. Touristen sind immer fett und gekleidet wie die Schwachsinnigen." So lautet im Allgemeinen das Urteil über den Massentouristen. Der typische Vertreter dieser Untergruppe sucht mit Vorliebe mit Gleichgesinnten die Sehenswürdigkeiten in unseren Städten auf, verstellt die schönsten Aussichtspunkte in den Alpen, um schnell ein Foto zu schießen, bevor er, aus dem Norden kommend, irgendwo im Süden sein Reiseziel erreichen wird.

So jedenfalls urteilen wir über fremde Zugvögel. Leicht und gerne übersehen wir dabei, daß wir uns ab und zu selbst in solch merkwürdige Massentouristen verwandeln. Vornehmlich dann, wenn wir über ein Reisebüro buchen und dabei erwarten, daß möglichst alles organisiert ist.

Christoph Hennig, ein Soziologe, der sich seit längerem mit dem Phänomen "Reisen und Tourismus" beschäftigt, bemerkte dazu allerdings bei der Konferenz "anders reisen" in Wien, er sehe die Reisetätigkeit als "eine positive, erfreuliche und belebende Erfahrung" und zwar, "weil Reisen ein persönliches Erlebnis ist".

Sicherlich ist eine Urlaubsreise Flucht aus dem Alltag, aus der gewohnten Umgebung. Andererseits gilt es zu bedenken, daß eine Unterbrechung des Alltags, in dem jeder Moment verplant ist, auch gute Seiten hat. Man gewinnt Abstand zu sich selbst und sieht dann oft Dinge aus einer anderen Perspektive. Im Urlaub vom Alltag möglichst in fremder Umgebung fällt der Realitätszwang weg.

Der Soziologe Hennig verbindet mit Reisen auch das sakrale Erlebnis. Denn warum sollten wir sonst "Pilgerfahrten" an Orte unternehmen, wo ein Musiker oder ein Künstler gelebt hat (man denke nur an Salzburg) und von dort nehmen wir uns auch unsere "Devotionalien" mit.

Profit und Zerstörung Hier hätte sich ebenso der rituelle Aspekt des traditionellen Festes bewahrt. Hennig zieht die Parallele zwischen Reisen und Festen wie dem mittelalterlichen Karneval, den Narren- oder Eselsfesten, wo die kollektive Durchbrechung von Tabus gestattet war. Gelage, Geschrei, Gesang, obszöne Scherze, unverbindliche sexuelle Beziehungen und groteske Kleidung gehörten dazu. Feste waren die Unterbrechung des Alltags und haben im heutigen Massentourismus ihre Fortsetzung gefunden.

Der Tourismus als Wirtschaftszweig ist ein Motor, der vieles bewegen aber auch zerstören kann. Kurt Luger, Professor für Internationale und Interkulturelle Kommunikation in Salzburg, meinte in seinem Referat, daß "die Einheimischen in der Himalaya-Region nicht auf den Tourismus vorbereitet sind. Durch ein "sanftes Modell" soll der kulturelle Veränderungsdruck, der auf den "Bereisten" lastet, abgeschwächt werden.

In die Himalaya-Region, einem Gebiet von 2.400 Kilometer Länge, kommen jährlich etwa 300.000 Touristen. Neben Pilgern aus Indien befinden sich rund 80.000 Trekkingtouristen, Menschen, die "im Schatten von 14 Achttausendern Spazierengehen". Sie schaffen zwar 40.000 Arbeitsplätze und sichern damit einem Teil der Bevölkerung die Lebensgrundlage, verursachen aber andererseits auch große ökologische und kulturelle Schäden.

In Nepal etwa ist der Fremdenverkehr der drittgrößte Devisenbringer nach der Teppich- und Stickereiindustrie. Bei 2,6 Prozent Bevölkerungswachstum pro Jahr steigt aber sowohl der Energiebedarf (zu 80 Prozent durch Holz, der Rest wird durch Kuh- und Yakdung gedeckt) als auch die Bodenerosion durch Abholzung und Düngermangel rapid.

Einen Ausweg aus der Misere versuchen Projekte zu finden, die auch von Österreich unterstützt werden und unter Einbeziehung der Bevölkerung Hilfe zur Selbsthilfe leisten sollen. Dazu gehört die Ressourcengewinnung aus natürlich vorhanden Quellen, wie Wasser, Wind und Sonne. Denn ohne Einnahmen aus dem Trekking-Geschäft sind Völker, wie die Sherpa in Khumbu (Everest) oder die Thakkali (Annapurna-Dhaulagiri) zur Auswanderung gezwungen.

Aus der Sicht eines "Bereisten" meldete sich Haji Hafidh Hamdan aus Sansibar bei der Tagung zu Wort. Wie er erklärte, gehöre die Insel Sansibar (Unguja) mit rund 50 weiteren Eilanden im Indischen Ozean zur Vereinigten Republik Tanzania. Sein Land wolle am Tourismus partizipieren, jedoch die Fehler, die anderswo gemacht wurden, vermeiden.

So habe man im Wald auf der Insel Chumbe sieben umweltverträgliche Bungalows errichtet, die für je zwei Personen gedacht sind. Die mit Kokosnußblättern gedeckten Dächer sammeln das Regenwasser in unterirdischen Zisternen und Sonnenkollektoren erzeugen Elektrizität. An Freizeitprogramm wird im Korallenriff, Tauchen, Segeln, Surfen und das Beobachten von Delphinen und Schildkröten angeboten. Es gibt aber auch "Gewürztouren", bei denen die verschiedenartigen Gewürze gesammelt und deren Verwendung in der Küche erklärt werden.

Im Gegensatz dazu stehe ein zu rasanter Anstieg der Urlauberzahl und insbesondere der "Ausverkauf" der Grundstücke am Strand sowie die Errichtung großer Hotelbauten durch ausländische Investoren. Dies habe für die einheimische Bevölkerung verheerende Folgen. Durch den Verlust der auf den verkauften Grundstücken wachsenden Kokosnußpalmen mangelt es an wichtigen Rohstoffen für die Bewohner. Der Zugang zum Meer werde blockiert.

Die Kinder arbeiten am Strand als Verkäufer statt in die Schule zu gehen und es komme auch bereits zu Drogenkonsum und Abwanderung in die Städte. Der von den ausländischen Gesellschaften praktizierte Tourismus, bringe, weil angeblich schlecht ausgebildet, auch nur für kurze Zeit Arbeit.

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