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Die Suche nach dem Erinnerungsfetisch

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Daß im Touristen ein Kitschmensch stedct, wird zwar öfters behauptet, doch seltener bewiesen. Denn erstens hat es niemand gerne, wenn ihm solches nachgesagt wird (und sdiließlich — Touristen sind wir alle) und zweitens ist Urlaub machen etwas grundsätzlich Angenehmes — oder sollte es zumindest sein. Und über angenehme Dinge (oder solche, die es auf jeden Fall sein sollen) wird kein Mensch etwas Sdilechtes sagen wollen, es sei denn, er mache sidi lunstürzlerischer Ansichten schuldig, stelle liebe alte Denkgewohnheiten auf den Kopf und werde insgesamt als (verdächtiger, weil unbequemer) Revolutionär ver-’ schrien.

So weit, so gut! Trotzdem — irgendwo glimmt vielleicht ein Fünkchen Verdacht, hat sich ein Körnchen Mißtrauen in die frischfröhlichen Uriaubstage eingenistet! Kitsch — ausgerecäinet in den „schönsten Wochen des Jahres“? Und Kitsch — was ist das eigentlich?

Darüber sind sich nun weder Philosophen noch Soziologen noch Kunsttheoretiker einig. Am besten gefällt in diesem Zusammenhang die Definition von Christian Keller, der von einer „Flucht vor echter Erleh- ndsauseinandersetzung durch billige Geifühlssublimierung im Unechten“ spricht. Aiffschlußreicher erscheinen die Untersuchungen von Hermann Broch, der eben jenen Ausdruck „Kitschmensch“ geprägt hat. Und Ludwig Giesz, Professor an der Universität Heideltoerg und bekannter

Theoretiker des Kitsches, hat diesen Gedankengang dann weiter verfolgt. Der Kitschmensch wird demnach zum Ursprung des Kitschproduktes. Die Ausgangsbasis ist das kitschige Erleben, der kitschige Genuß. Wobei diese anthropologische Sicht den Vorteil hat, daß sie aus dem Dilemma Kitsch-Kunst herausführt und versucht, Kitsch nicht nur von der ästhetischen Seite, sondern darüber hinaus als ein umfassend menschliches Problem zu erklären.

Und da wären wir audi schon beim Tourismus anigelangt. Denn wenn die Werbung der großen Touristik-Unternehmen von „Badeparadiesen“, „märchenhaft schönen Landschaften“, „Südseeromantik“ und „Urlaubsglück“ spricht, so wendet sie sich an eben diesen Kitschmenschen. Was der Alltag einer 40-Stunden- Woche verweigert, soll der ungeduldig herbeigesehnte Urlaub liefern: Entspannung, Gelöstheit, eine sinnvolle und erholsame Beschäftigung, Abenteuer, wenn möglich Liebe, Glück. Es ist der Wunsch nach Abwechslung, nach dem Andersseinwollen, als man immer ist (oder immer sein muß), vielleicht auch nach ein bißchen Theater spielen mit den anderen und mit sich selbst, der den Amerikaner in die Krachlederne zwängt und den Tiroler für Hula- Hula-Kränze empfänglidi macht. Aber es ist billiges Theater, es ist Schmiere, was sich da jährlich vor den Einheimischen entfaltet, und mit allen Attributen der Schmiere versehen: grotesk, rührend, komisch

— manchmal ein wenig deprimierend. Auf jeden Fall aber: Kitsch!

Der Slogan „Ferien vom Ich“ beweist dabei deutlicher, als alle Erklärungen es können, welche menschlichen Grundkonzeptionen hier berührt werden; statt der Rückkehr zum Ich wird die Flucht in eine Scheinwelt propagiert, für die jene Unwahrhaftigkeit charakteristisch ist, die zum Wesen des Kitsches gehört, Denn das im Alltag unerlöste Ich kann auch durch die „Paradiese“, wie sie der Massentourismus verspricht, nicht erlöst werden. Die geplante, geordnete, genormte Wirklichkeit der Industriegesellschaft, die viele Entwiddungsmöglichkeiten verhindert, viele Anlagen verkümmern läßt, soll durCh die geplante und geordnete Freizeit ersetzt werden. Der Erlebnisse sind bereits vorgefertigt, das Geheimnis, das Abenteuer einkalkuliert. Es wird zum angenehmen „Pseudoabenteuer“, dem das echte Wagnis fehlt. Und der Kitschmensdi im Touristen verlangt auch gar nicht danach. Er möchte es „schön“ und „gemütlich“ haben. Darum auch liebt er sein Stückchen vertraute Atmosphäre im fremden Land: er schunkelt in der „Original- Rheinland-Bar“ in Südspanien, und singt Heurigenlieder in Griechenland. Es ist jene „Familiarisierung des Exotischen“, von der Ludwig Giesz spricht, und der er die „Exotisierung des Familiären“ ‘gegenüberstellt: die ewige Glücks- und Paradiesvorstellung des Menschen, der in die Feme projiziert, was sich in der Nähe nicht erleben läßt: die venezianische Gondel, das blumepgeschmückte Südseemädchen und die Sonnenuntergänge über den Felsen von Capri werden mit ihrerh Zuviel an Schmuck, Dekor und Emphase zum verklärten Wirklichkeitsersatz.

Der Kitschmensch im Touristen ist es auch, der das Souvenir erfand, den sentimentalen Erinnerungsfetisch, der jene ganz bestimmte Gefühlsaura erzeugt, die den kitschigen Genuß fördert. Wobei .es für ihn im Grunde gar nicht so wichtig ist, ob er sich die Mona Lisa auf dem Bade- handtudi, oder den wirklich künst- lerisdien Türdcendolch zum Andenken erko.r: Wesentlich ist allein sein „Eingestimmtsein“, diesen Gegenständen gegenüber. Weshalb es ihm auch mühelos gelingt, echte Kunst durch die besondere Art und Weise seines Genießens in Kitsch zu verwandeln. Während umgekehrt der Künstler — ironisch distanziert natürlich — Kitsdi in sein Werk integrieren darf (eine ganze Kunstrichtung, die Pop-art, lebt davon).

Um jedoch zum Tourismus zurückzukehren: Nicht nur die uralten Menschheitssehnsüchte nach Freiheit und Glück sind es, mit denen hier Geschäfte gemacht werden, sondern auch jene nach dem „Ursprünglichen“, „Echten“, „Unverfälschten“. Da es dem Fremdenverkehr auf Grund seiner Eigenschaften als Massenunternehmen jedoch unmöglich ist, das in den Reiseprospekten gepriesene „verträumte Fischerdorf“, die „unberührte Landschaft“, den

„einfachen Menschen“ wirklich zu liefern, bietet er das Ersatzerlebnis an: Mit muschelverzierten Netzen an der Decke, Kutscherlampen neben dem Kamin und Wagenrädern über der Bar. Der florierende sogenannte „Club Méditerranée“ hat des Urlaubers Wunsch „Zurück zur Natur“ sogar zu seinem Motto gemacht: die strohgedeckten Hütten der Feriendörfer werden von Petroleumlampen erhellt, man spricht sich untereinander nur mit dem Vornamen an, zahlt an der Bar statt mit Geld mit farbigen Kugeln und trägt den Pa- reo, das buntgedruckte Südseetuch um die Hüften geschlungen.

Ein weiteres, von den Werbemana- gem der Fremdenverkehrsindustrie geschickt genutztes Sehnsuchtsmotiv heißt „Vergangenheit“. Es ist inzwischen recht einträglich geworden, ehrwürdige Baudenkmäler für den Tourismus zu konservieren. Und wenn diese Vergangenheit in natura nicht zu haben ist, schafft man sie sich eben künstlich an: das Mobiliar wird „auf alt“ gebeizt, Kellner und Serviermädchen treten in historischen Kostümen auf und die Gäste werden in Kutschen durch den Ort gefahren.

Kitsch als Seinsweise — diese Auffassung ist nicht neu. Sie hat allerdings durch das Problem der organisierten, vorgefertigten, „präparierten“ Massenfreizeit neue Dimensionen erfahren, die eine genauere Untersuchung durchaus rechtfertigen würden.

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