Goa2 - © Foto: Günter Spreitzhofer

Goa – Paradies mit Ablaufdatum

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In Westindien ist der Kampf um Identität und kulturelles Erbe entbrannt: Europäische Blumenkinder und russischer All-in-Tourismus stellen Natur und Gesellschaft vor Probleme.

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In Westindien ist der Kampf um Identität und kulturelles Erbe entbrannt: Europäische Blumenkinder und russischer All-in-Tourismus stellen Natur und Gesellschaft vor Probleme.

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„So, du bist also wieder gekommen, Condor, du großer hungriger Geier und Raubvogel.“ Die vierseitigen Flugblätter, die deutschen Chartertouristen am Flughafen Dabolim zum Saisonauftakt übergeben wurden, ließen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Touristen unerwünscht. Doch dies alles ist lange her, achtundzwanzig Jahre. Was 1991 wie ein verzweifelter Hilfeschrei der Bürgerbewegung „Wachsame Goaner“ klang und als eine der ersten lokalen Widerstandsbewegungen gegen internationalen Pauschaltourismus in die Tourismusliteratur einging, hat an Komplexität und Eigendynamik gewonnen. Die Geschichte davor ist rasch erzählt: Wie auch anderswo kamen in den 1960ern allerlei Aussteiger in die ehemalige portugiesische Kolonie im Südwesten Indiens, die erst 1961, nach 450 Jahren, zum indischen Bundesstaat wurde. Sie fühlten sich willkommen, (nicht immer christlich) nächstengeliebt, und ließen sich nieder.

Man wohnte in Fischerhütten mit der einheimischen Bevölkerung, versorgte sich auf lokalen Märkten mit Essbarem und an den Stränden mit Rauchbarem, genoss die ersehnte Anti-Konsum-Welt. Fließwasser war rar, im Gegensatz zu Hängebauchschweinen im Hof und Moskitos hinter der Bambustrennwand. Die Mär vom Hasch- und Hippie-Paradies machte rasch ihre Runde. Bekifft und glücklich in den Tag zu leben, wurde zur Vision einer ganzen Generation von westlichen Wirtschaftswunderflüchtlingen. Gleichzeitig lernte eine andere Generation in Goa, den Traum von Erleuchtung und Selbstfindung in bare Münze zu verwandeln, kleine Souvenirflöten zu basteln und die Shilum, die Haschischpfeife, zwischen West und Ost kreisen zu lassen. Völkerverständigung, ein wenig ungleich zwar, aber zu beiderseitigem Nutzen. Irgendwie. Angeblich.

Enorme Wachstumsraten

Dass Pauschaltouristen mehr Einnahmen bringen würden, wurde flugs entdeckt: Vorrangiges Ziel war zunächst Massentourismus auf Luxusbasis. Aus den geplanten 14 Fünf-Sterne-Hotels in 200 m Entfernung zum Meer wurden bald 50 Genehmigungen. Kamen 1985 knapp 200.000 Gäste, waren es 1990 schon 900.000. Die brauchten mehr als Mango-Lassi, etwas Gras und gelegentlich einen Kübel Wasser zum Duschen. Die neuen Luxushotels bekamen Wasser und Strom, garantiert ganztägig, anfangs selten über Leitungen, häufiger über Tanklastwägen. Jedes einzelne Hotel verbrauchte fünfmal so viel Wasser wie ein ganzes Dorf, dessen Einwohner jede Chance nutzen mussten, ihre Eimer mit ausreichend Wasser zu füllen – immer wenn der Versorgungshahn aufgedreht wurde, und das war nicht vorhersehbar, jedenfalls kaum mehr als zwei Stunden täglich. Die Sanddünen mussten weg, um Platz für Straßen und Hotelgelände zu schaffen.

Die Kokospalmen störten aus demselben Grund und hatten zu verschwinden, tauchten jedoch zwischen den Touristenunterkünften schlagartig wieder auf – Tropenträume ohne Palmen sind schwer denkbar, ohne devotes Personal für viele auch. Das bekam umgerechnet 70 Euro monatlich, bei Zimmerpreisen von über 150 Euro pro Nacht am Indischen Ozean. Für die Mehrheit der Fischer, Bauern und Palmweinzapfer, die ihre traditionellen Lebensgrundlagen verloren haben, bot der Tourismus bloß schlecht bezahlte Hilfsarbeiterjobs, und auch das nur zur Hauptsaison. Dazu trieben Inflation und steigende Nachfrage die Preise von Mangos, CashewNüssen und zahlreichen Fischarten so in die Höhe, dass sie nahezu unerschwinglich waren. Wer seinen Fang nicht en gros an Hotelküchen verkaufen konnte, hatte es zunehmend schwerer.

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