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Bereits im Altertum herrschte die Vorstellung, daß jenseits der sogenannten Säulen des Herkules, also der Straße von Gibraltar, ein Land existiere. So sagenhaft und verschwommen diese Vorstellung war, lagen ihr dennoch gewisse Realitäten zugrunde. Nach glaubwürdigen Angaben des griechischen Historikers Diodor haben die Phöni-ker die Kanarischen Inseln und Madeira entdeckt. Dieses Ereignis hat ungefähr 800 Jahre, vielleicht sogar schon 1000 Jahre vor Christus stattgefunden. Die Verbindung mit den Kanarischen Inseln wurde des Farbstoffes wegen aufrechterhalten, den die Phöniker dort fanden. Auch scheint sich die Sage vom Uraüas, dessen Schultern die Welt tragen, auf den beinahe senkrecht aus dem Meere sich erhebenden Pico de Teyde auf Teneriffa zu beziehen. Es waren dies die ersten Fahrten, die von der europäischen Küste weg in den unbekannten westlichen Ozean führten. Später sind besonders Karthager und Griedien entlang der Westküste Europas und Afrikas nach Norden, beziehungsweise Süden vorgestoßen. Keineswegs trugen sie dabei die Vorstellung, daß jenseits der Kanarischen Inseln etwa noch ein Festland zu finden sei. Die Karthager wurden wahrscheinlich im 4. vorchristlichen Jahrhundert auf die Insel Corvo der Azorengruppe verschlagen. Sie wurden somit zu den Entdeckern der entferntesten europäischen Inselgruppe. In Verbindung mit dieser und anderen westlichen Fahrten bringen alte Schriftsteller Angaben, daß jenseits der Säulen des Herkules die Sdüffe in große Tangmeere geraten. Man hat daher manchmal die Meinung geäußert, daß die Karthager bis in das Sargassomeer, also in unmittelbare Nähe der Antillen, vorgestoßen seien. Doch ist diese Meinung unhaltbar, da zum Beispiel Aristoteles schreibt, daß man von Gades aus bereits in vier Tagen in jenes Tangmeer kommen könne. In Wirklichkeit handelt es sich um Tangmassen, die bis zur Straße von Gibraltar und entlang der afrikanisdien Küste treiben. Völlig sagenhaft und phantastisch ist auch die Erzählung von einer Fahrt der Israeliten nach Amerika. Man kann vielmehr mit Sicherheit behaupten, daß von dieser Stelle des Atlantischen Ozeans aus im Altertum keine planmäßigen Entdeckerfahrten jenseits der genannten Inselgruppen unternommen worden sind. Ja, es trat sogar die gegenteilige Entwicklung ein. Die bereits vollzogenen Entdeckungen der Kanaren und Azoren gingen wieder verloren und mußten erst im 14. und 15. Jahrhundert wieder erneuert werden.

Das gleidie Bild finden wir bei der Behandlung von Reiseberichten, die uns die Araber überliefert haben. So schreibt zum Beispiel E d r i s i von einer Fahrt aus dem Jahre 1124:

„Acht nahe verwandte muselmanische Männer taten sich in Lissahon zusammen, erbauten ein Kauffahrteischiff und beluden es mit Wasser und Lebensmitteln in hinreichender Menge für eine Fahrt von mehreren Monaten. Beim ersten Wehen des Ostwindes stachen sie in See. Nach etwa elftägiger Fahrt kamen sie an ein Meer, dessen dicke Wellen einen verpesteten Gestank ausströmten und zudem zahlreiche, schwer sichtbare Riffe bargen. Da sie fürchteten, unterzugehen, wechselten sie den Kurs ihrer Seefahrt, fuhren nunmehr zwölf Tage lang nach Süden und erreichten eine Schafinsel, wo ungezählte Schafherden ohne Hirten und ohne Aufseher weideten.“

Man hat keine Ursache, an der Wahrheit dieser Erzählung zu zweifeln, nur sind die Schlußfolgerungen, die einige Autoren daraus gezogen haben, daß nämlich die Araber bis in das Sargassomeer gekommen seien, unhaltbar. Gerade die Erzählung von einer Insel mit Schafherden läßt auf die Kanaren-gruppe schließen, wo es zwar keine Schafe, aber Ziegen gab. Das im Text gebrauchte Wort „Ghanam“ kann sowohl Schafe als auch Ziegen bedeuten. Eine weitere, höchst sonderbare Geschichte stammt von der Guineaküste. Der arabische Schriftsteller Ibn Fadl Allah al-Omari bringt einen Bericht des Negersultans Mussa, in dem es heißt:

„Mein Vorgänger in der Herrschaft dachte, es sei nicht unmöglich, sirh vom Vorhandensein eines Gegenufers im Meer al-Muhit zu überzeugen. Besessen von diesem Gedanken und beseelt vom Wunsche, seine Richtigkeit nachzuweisen, ließ er einige hundert Fahrzeuge ausrüsten, bemannt: sie und gab ihnen ebenso viele andere mit, die mit Gold-, Mund-und Wasservorräten in solcher Fülle ausgestattet waren, daß sie einem mehrjährigen Bedürfnis der Mannschaft zu genügen vermochten. Sie fuhren ab und blieben lange abwesend; es verging eine geraume Zeit, ohne daß jemand zurückkehrte. Endlich fand sich ein einzelnes Fahrzeug wieder ein. Wir befragten den Führer dieses Fahrzeuges, was geschehen sei, er antwortete: .Fürst, wir sind lange gefahren, bis zu einem Augenblick, da wir auf offener See eine heftige Strömung wie einen Fluß, antrafen. Ich fuhr hinter der anderen Flotte her. Alle Fahrzeuge vor mir setzten ihre Fahrt fort, ohne daß wir erfahren konnten, was aus ihnen geworden ist. . Ich selbst wollte mich nicht in das Abenteuer dieses Strudels stürzen und kehrte deshalb um.' Der Sulran wollte dem Bericht keinen Glauben schenken und mißbilligte das Verhalten. Er ließ darauf 2000 Schiffe ausstatten. Er vertraute mir die Regierung an und fuhr mit seinen Begleitern auf dem Meere al-Muhit ab. Wir haben ihn und di? andere* bei dieser Gelegenheit zum letzten Male gesehen.“

Dieser abenteuerliche Versuch eines Negerhäuptlings dürfte um das Jahr 1300 stattgefunden haben. Es ist völlig ausgeschlossen, daß die damaligen Negerstaaten, noch dazu im Innern des Landes, über Sdiiffe verfügt haben. Es waren dies wohl nur Boote, die beim Herunterfahren des Niger teilweise in den Katarakten, teilweise in der Brandung umgekommen sind. Es ist völlig ausgeschlossen, daß derartig primitive Boote über die gefährliche Brandung hinauskamen und sogar nach Südamerika gelangen konnten. Ob hier eine auf bestimmte Nachrichten beruhende Absicht, des Sultans vorlag, nach einem jenseits des Meeres gelegenen Land zu fahren, läßt sich nicht behaupten oder widerlegen. Jedenfalls sdieiterte diese einzige von Negern jemals begonnene Expedition. —

Völlig verschieden sieht die Lage im Norden aus. Zum Unterschied vom mittleren und südlichen Atlantischen Ozean erstreckt sich hier eine lose Inselkette bis nach Nordamerika. In Irland bildete sich im frühen Mittelalter eine besonde.-e religiöse Bewegung, die man am besten mit den Anacho-reten oder Einsiedlern des Orients vergleichen kann. Irische Mönche wurden von Sehnsucht erfaßt, in die Einsamkeit zu gehen und »rwählten dabei die unbewohnten Inseln im Westen und Norden Irlands. Hier aber machten diese Meereseremiten nicht halt, sondern drangen über die Hebriden bis zu den Orkney- und Shet-landinseln »vor. Im Jahi;e 670 kamen sie, vielleicht als erste Menschen, auf die Färöerinseln. Diese Ansiedlungen dauerten durch 100 Jahre, bis sie von den Normannen verdrängt wurden. Um diese Zeit gelang den irischen Mönchen eine bedeutend wichtigere Entdeckung, nämlich die Auffindung I s-1 a n d s. Darüber sdireibt Dicuil, ein irischer Historiker aus dem frühen Mittelalter:

„Es sind jetzt dreißig Jahre her, daß einige Kleriker, die auf jener Insel vom 1. Februar bis zum 1. August geweilt haben, mir berichteten, daß dort nicht nur in der Zeit der Sommersonnenwende, sondern auch in den Tagen vorher und nachher die untergehende Sonne sich gleichsam nur auf der anderen Seite eines keinen Hügels verstecke, so daß es selbst für einen nur ganz kurzen Zeitraum nicht finster wird.“

Es ist sicher, daß irische Mönche um 795 in Island gewesen sind und mit der Besiedhing begonnen haben. Es ist dabei nicht ausgeschlossen, daß die Insel bereits 50 Jahre früher von ihnen entdeckt worden ist. Wahrscheinlich im Jahre 863 sind ihnen die Normannen gefolgt, worüber das Land-namabok berichtet:

„In jener Zeit war Island zwischen Gebirge und Strand mit Wald bewachsen, ' und damals waren hier christliche Männer, welche die Norweger Papar nennen, aber nachher gingen sie fort, weil sie nicht mit Heiden Zusammensein wollten, und hinterließen irische Bücher, Schalen und Krummstäbe, woraus man erkennen konnte, daß es sich um Leute aus Irland handelte.“

Die Iren haben also damals Island verlassen. Wir sehen, daß sie immer weiter nach

Nordosten vorgestoßen waren, wobei ihnen die Normannen im Abstand von ungefähr einem Jahrhundert folgten Nun berichten aber die Quellen folgendes: In der „Navi-gatio Sancti Brandini“, die aus dem 9. oder 10. Jahrhundert stammt, wird von einer Insel erzählt, die mit wildem Wein bewachsen war, an dessen Trauben sich die irischen Seefahrer labten. Soldien wild-wadisenden Wein gab es natürlich weder auf Island noch den Färöerinseln, sondern nur auf den Inseln der ostamerikanischen

Küste. Andere nordische Quellen berichten von Vogelinseln, die im unbekannten Westen des Ozeans von jenen uralten Seefahrern angetroffen worden sind. Diese Angaben werden durch die „Saga von Erich dem Roten“ aus dem 11. Jahrhundert bekräftigt, die unter anderem folgende Stelle bringt:

„Sie hatten Südwind, als sie vom Weinland fortfuhren, kamen nach Markland und fanden fünf Wilde . -. Diese sagten auch, daß auf der anderen Seite ihres Landes ein Land läge, wo die Leute weiße Kleider anhätten, laut schreien und Stangen trügen, an denen' Lappen befestigt seien. Das, meinten die Leute, müßte das Land der weißen Männer — Hviratmcnnaland — gewesen sein oder Großirland.“

Diese norwegische Quelle berichtet also, daß Eingeborene den ersten Norwegern, die amerikanischen Boden betreten, berichtet hätten, daß andersartige Menschen, nämlich solche, die weiße Kleider an hätten und sonderbare Bräuche hätten, bereits in der Nähe wohnen würden. Was dies nun zu bedeuten habe, „Weißmännerland“, und wer diese weißen Männer gewesen seien, ist noch nicht geklärt. Es besteht aber die Möglichkeit, ja sogar die Wahrscheinlidikeit, daß sich die Bezeichnung „weiß“ nicht auf die Kleidung, sondern auf die Hautfarbe der Personen beziehe und daß dies der Name sei, den die dunkelfarbigen Eingeborenen, von den Norwegern Skrälinger, Knirpse, genannt — voraussichtlich Eskimos —, den Leuten mit den sonderbaren Gebräuchen gegeben haben. Diese Gebräudae sind aber nach Meinung des größten Fachmannes auf diesem Gebiet, ' des Geographen Hennig, nichts anderes als die Schilderung einer christlichen Prozession, die sich mit Gesang und Kirchenfahnen abspielte. Der beste Kenner irischer Geschichte, Pokorny, ist der Meinung, daß die irischen Mönche bis an die Küsten Nordamerikas gekommen sind. Seine Ansicht wird vorn isländischen Historiker Stefan-sson geteilt. Bis in die neue Zeit hinein lebte auf den Färöern die Erzählung fort, Amerika sei zuerst von den Iren entdeckt worden, die dorthin zu Schiff gelangt seien und daselbst sogar Krieg geführt hätten. Das „Landnamabok“ bringt überdies noch die Nachricht von einem Iren, Ari Marsson, der lange in Hvritamannaland gelebt und dort die Taufe empfangen habe. Diese Stelle heißt folgendermaßen:

„Ari wurde auf See nach dem Weißmännerland verschlagen, das einige Großirland nennen. Das liegt im Westen bei Vinland dem Guten. Wie Thorkel Gellirsson hörte, hätten isländische Männer, die es vcmThor-finn auf den Orkaden gehört hätten, erzählt, daß Ari in Weißmännerland erkannt worden sei und nicht fortgekonnt hätte, dort aber sehr angesehen gewesen sei.“ Wo Hvritamannaland gewesen ist, steht auch nicht ganz fest. Man kann wohl annehmen, daß es nicht weit von denjenigen Gebieten gelegen ist, wo später die Normannen landeten, also südlich von Neuschottland, beziehungsweise Neufundland. Es muß also betont werden, daß man keineswegs mit Sicherheit eine Entdeckung Amerikas durch irische Mönche bereits vor den Normannen behaupten kann. Es besteht dazu nur eine, wenn auch keineswegs geringe, Wahrscheinlidikeit. Sollte sich vielleicht durch die Auffindung noch un-entdeckter Quellen diese Wahrscheinlichkeit bestätigen, so wären die Iren den Normannen bis nach Amerika vorgegangen. Denn kurze Zeit nach diesem präsumptiven Ereignis begann der normannische Vorstoß von Island nach dem Westen. Gunnbjörn entdeckte bei einer Umsegelung Islands um 870 die einsame Felsklippe Mevensklint auf halbem Wege nach Ostgrönland. Die Entdecker Grönlands sind möglicherweise zwei Norweger namens Snäbjörn Gilti und Rolf von Raudesand gewesen, die den Spuren Gunnbjörns folgen wollten. Doch sdieint ihr Unternehmen gescheitert zu sein und die erste bewiesene Entdeckung Grönlands erfolgte durch den berühmten Erich den Roten. Darüber schreibt der Flistoriker Are Thorgihson Frode zu Beginn ' des 12. Jahrhunderts im „Islandigabok“: „Das Land, das Grönland genannt wurde, ist von Island aus entdeckt und besiedelt worden. Erich der Rote hieß ein Mann aus Bredefjord, der von hier dorthin zog und den Landstrich in Besitz nahm, der später Erichsfjord hieß. Er gab dem Land einen Namen und nannte es Grünland, indem er meinte, es würde die Leute locken, dorthin zu ziehen, wenn das Land einen schönen Namen hätte.“ ,

Vier Jahre später begann die Kolonisation Südgrönlands, die ein halbes Jahrtausend dauerte. Im gleichen Jahre wurde Amerika zum ersten Male bewiesenermaßen gesichtet. Der Mann, dem dies glückte, war der Norweger Bjarni Heriulfsson. Die entscheidende Stelle in der sogenannten „Erzählung von den Grönländern“ aus dem 11. Jahrhundert lautet. r.Aber sie Stadien doch in See und segelten drei Tage, bis das Land im Wasser versunken war. Da legte sich der günstige Wind und sie bekamen Nordwind und Nebel, so daß sie nicht wußten, wo sie waren, und dies dauerte mehrere Tage. Dann konnten sie die Sonne wiedersehen und die Himmelsrichtungen feststellen. Sie h'ßten die Segel und fuhren diesen Tag und noeh eine Nacht und y dann sahen sie Land.“ IS Jahre später, im Jahre 1000, hat Leif Eriksson den Boden Amerikas betreten. Was von der Mitte des Atlantiks aus nicht gelungen ist, das haben die Wikinger, sich vortastend von Insel zu Insel im nebelumhüllten eisigen Nord-mecr, erreicht.

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