6839655-1975_36_07.jpg
Digital In Arbeit

Posten im Norden

Werbung
Werbung
Werbung

Am 14. August konnten die Einwohner des Grubenortes Longyear-byen auf Westspitzbergen eine große Gruppe hochgestellter Persönlichkeiten des politischen, wirtschaftlichen und militärischen Establishments begrüßen, wie sie in dieser Stärke niemals zuvor auf dieser Inselgruppe im nördlichen Eismeer gesehen worden ist. Außer König Olav V. von Norwegen und führenden norwegischen Politikern gehörten zu ihr hohe Staatsbeamte einer ganzen Anzahl anderer Staaten. Anlaß des Besuches war der 50. Jahrestag der Übernahme der Hoheitsrechte durch Norwegen über die Insel, die diesem Land nach einem im Jahre 1920 im Paris unterzeichneten Abkommen zugesprochen worden war. Unterzeichner dieses Abkommens waren 35 Staaten gewesen, doch nur Norwegen und die Sowjetunion haben durch viele Jahre Stützpunkte auf Spitzbergen unterhalten. Heute allerdings hat diese Inselgruppe eine strategische Bedeutung gewonnen, von denen sich die damaligen Bewohner, ein paar Walfänger und Grubenarbeiter, nichts haben träumen lassen.

Diese neugewonnene strategische Bedeutung unterstrich auch die am selben Tage vorgenommene feierliche Einweihung eines neuen, ganzjährig geöffneten Flughafens in Longyearbyen. Vom 2. September an wird die skandinavische Fluggesellschaft SAS wöchentlich einmal nach Spitzbergen fliegen und die dort gelegenen Siedlungen mit der übrigen Welt verbinden. Die bisherige, oft viele Monate währende Isolierung der Inselgruppe hat damit ein Ende gefunden. Man glaubt zu wissen, daß auch die Sowjetunion ihre zur Zeit noch recht dürftige Verbindungslinie verstärken und als Dauereinrichtung führen wird. Schon jetzt beschäftigt sie in den dortigen Steinkohlengruben etwa 20000 Mann. Da nach dem Abkommen von 1920 auch andere Unterzeichnerstaaten das Recht auf eine wirtschaftliche Betätigung auf der Insel haben, wird man wohl auf weitere Forschungsgruppen nicht lange zu warten brauchen. Daß die Amerikaner dort bereits nach Erdöl gesucht haben, ist ja bekannt, allerdings scheinen sie dabei wenig Erfolg gehabt zu haben. Klarere Konturen zeigt das norwegische Erschließungsprogramm, das allein im Sektor des Kohlenbergbaues, Investitionen in der Höhe von 600 Millionen Kronen vorsieht. Man nimmt dabei an, daß allein in einer einzigen Grube, die bereits vor längerer Zeit stillgelegt worden ist, noch Kohlereserven von mindestens 20 Millionen Tonnen, möglicherweise jedoch sogar von 200 Millionen Tonnen, lagern. Die Steinkohlenförderung hat bisher in der Hauptsache die „Store Norske Kullkompani“, an der der Staat mit 33 Prozent beteiligt ist, vorgenommen. Es finden nun Verhandlungen über die Übernahme weiterer Anteile statt, die dem Staat die Mehrheitsstellung geben würde.

Angesichts des Wertes der zu erwartenden wirtschaftlichen Ausbeute erscheinen die geplanten Investitionen unverhältnismäßig hoch — sie beschränken sich ja keineswegs nur auf den Bergbau! Diese Anstrengungen werden jedoch verständlicher, wenn man das rasch wachsende Interesse der Großmächte an diesem Raum in Betracht zieht. Die Meeresstraße zwischen Spitzbergen und dem norwegischen Festland ist eine der wichtigsten Ausgangspforten der Sowjetunion in das Weltmeer, und es gibt heute keine militärische Beurteilung der strategischen Bedeutung dieses Raumes mehr, in der nicht auf die wachsende Bedeutung der sowjetischen Seemacht hingewiesen werden würde. In Norwegen hat man zu verstehen gegeben, daß man das Bestreben Moskaus, sich diese Wasserstraße freizuhalten, begreift, und seine Legitimität anerkennt. An anderer Stelle in der westlichen Welt herrschen bekanntlich andere, kritischere Auffassungen...

Die Bedeutung Grönlands, der größten Insel der Welt, für die westliche Verteidigungspolitik, ist allgemein bekannt. Neben Reykjavik auf Island, der Halbinsel Vardö im nordöstlichsten Teil Norwegens und einigen Stüztpunkten auf nordnorwegischen Inseln, stellt die Militärbasis Thüle auf Grönland das wichtigste Glied der westlichen Beobachtungskette im Nordatlantik dar. Wenig beachtet wurden dagegen die recht kostspieligen Bemühungen des dänischen Mutterlandes um die wirtschaftliche, verkehrsmäßige, soziale und kulturelle Einordnung der Inselbevölkerung in die westliche Welt. All das verlangte Aufwendungen, die weit über das hinausgehen, was sich ein in ständigen finanziellen Nöten befindliches und hoch verschuldetes Land wie Dänemark noch leisten kann.

Das Schulwesen, die Gesundheitsfürsorge, die wirtschaftliche Grundlage und das allgemeine Bildungsniveau der grönländischen Bevölkerung sind sicher ständig verbessert worden und heute unvergleichlich höher als etwa im Jahre 1950. Aber gemessen an dem Aufwand — in manchem Jahre waren es an die 500 Millionen Kronen! —, ist das Erreichte doch recht bescheiden. Dabei waren etwa 5000 Dänen aus dem Mutterland ständig mit dieser Aufbauarbeit beschäftigt; es konnte nicht ausbleiben, daß sie trotzdem als ein Fremdkörper empfunden wurden, jedenfalls reagierte so ein großer Teil der ursprünglichen Bevölkerung. Immer wieder wurde deshalb der Vorschlag gemacht, alle Grönländer, die dies wünschten, einfach nach Dänemark zu übersiedeln, und-die Insel im übrigen dem Meistbietenden zu überlassen, oder jenen Grönländern, die ihren Urzustand behalten wollten.

Der letzte Vorstoß dieser Art kam von dem Führer der Fortschrittspartei, Morgens Glistrup, welcher der dänischen Staatsführung vorwarf, daß sie auf Grönland die Einführung von Verhältnissen versuche, die dort nie richtig heimisch werden. Man wolle dort ein dänisches Gemeinwesen im kleinen schaffen, wogegen man es den Grönländern überlassen sollte, ein Gesellschaftssystem nach eigenem Gutdünken aufzubauen. — „In Dänemark hat es niemals eine ernst zu nehmende Diskussion über Grönland gegeben, in der die Gesichtspunkte der Parteien zum Vorschein gekommen wären. Nicht einmal der Gedanke, daß man auf die Menschen dort oben Rücksicht nehmen müsse, ist einer der alten Parteien eingefallen. Jede grönländische Familie kostet nun dem dänischen Staat 380 Kronen täglich! Gleichzeitig ist die dortige Fischereikrise permanent, das „Handels“-Defizlt wächst ständig, die Konkurrenzsltua-tion ist hoffnungslos schlecht, der Alkoholmißbrauch nimmt eher zu als ab, und nun registrieren wir schon 13.000 Fälle von Geschlechtskrankheiten jährlich — bei einer Bevölkerung von nur 40.000 Personen!

„Wollen Sie wirklich die Milliarden, die im Staatsbudget für Grönland eingesetzt sind, streichen?“ wurde Glistrup gefragt.

„Nein, das will ich nicht! Aber ich würde jeder grönländischen Familie, die auswandern will — nach den USA, nach Kanada oder nach Westdeutschland —, ein Startkapital von 100.000 Kronen anbieten. Selbstverständlich würden nicht alle Grönländer diesen Vorschlag annehmen, aber möglicherweise die Hälfte von ihnen, die an westlichen Verhältnissen Geschmack gefunden hat. Die andere Hälfte, diejenige, die das primitive Leben wie bisher vorzieht, könnte sich dann von der Jagd und der Fischerei ernähren, so wie bisher!“

Es dürfte Militärstrategen geben, denen solche „Lösungen“ recht interessant erscheinen!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung