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Vernunft oder Liebe - die Ehe hält

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175 Folketing-Sitze galt es für Dänemarks Parteien zu erobern, als Anker Jörgensen Neuwahlen ausschrieb. Auf die Besetzung von vier weiteren Plätzen haben die dänischen Wähler ! keinen Einfluß. Sie sind nationalen I Vertretern Grönlands und der Färö- i er-Inselgruppe Vorbehalten. Während i auf den Färöern erst zueinem späteren j Zeitpunkt gewählt werden wird, wur- : den die beiden Mandatare Grönlands i kurz nach dem Wahlgang im Mutter- ; land bestimmt. Lars Emil Johansen i und Otto Steenholdt werden in der nächsten Legislaturperiode die Vertreter der zwei Millionen Quadratki- [ lometer großen und von nicht ganz 50.000 Menschen bewohnten Insel im Kopenhagener Folketing sein.

Die Wahlen der nationalen Vertreter brachten neuartiges politisches Leben nach Grönland. Denn erstmals waren es nicht reine Persönlichkeitswahlen, erstmals warben zwei rivailisierende politische Gruppen um die Stimmen. Erstes Resultat der Politisierung war eine neue Rekordwahlbeteiligung von 70 Prozent.

1974 hatte sich erstmals eine politische Partei in Grönland versucht. Aber die „Iniut” verschwand so schnell, wie sie gekommen war. Bis zum Beginn der siebziger Jahre dominierten weiter die Einzelaufstellungen bei den zahlreichen dänischen Wahlgängen. 1972 entstand danA die „Siu- mut”-Bewegung, und bald wurde klar, daß sie gekommen war, um zu bleiben.’

Siumut trat für stärkere Mitbestimmung der Grönländer bei der Verwaltung ihrer Insel ein. Die gemäßigten Politiker erkannten nun, daß auch sie sich organisieren müßten. Als Anker Jörgensen im Jänner 1977 Neuwahlen ausschrieb, machten sie Emst mit diesen Plänen. Wenige Wochen vor den Wahlen entstand die „Atassut”-Bewe- gung und eroberte prompt das eine der Grönland-Mandate, was als große Überraschung kommentiert wurde. Alle Vorhersagen waren davon ausgegangen, daß „Siumut” beide Abgeordneten stellen werde. Aber der Lehrer Otto Steenholdt aus Egedesminde in Nordgrönland erhielt 4661 persönliche Stimmen und überrundete damit den zweitbesten Siumut-Kandidaten. Spitzenreiter mit 5891 Stimmen war freilich Siumuts Lars Emil Johansen, der schon bisher dem Folketing angehört hatte. Dort hatte er sich der Sozialistischen Volkspartei angeschlossen, blieb jedoch immer in erster Linie nationaler Grönland-Vertreter.

Die Unterschiede zwischen den beiden politischen Gruppen in Grönland, die nun den Rang von echten Parteien anstreben, sind nicht allzu groß. Beide wissen, daß die Verbindung zwischen Dänemark und Grönland derzeit unantastbar ist. Doch wo es bei Atassut „niemals” heißt, wenn von Selbständigkeit gesprochen wird, dort heißt es bei Siumut „noch nicht”. Kardinalproblem in der Grönlandfrage war in den letzten Jahren das Eigentums recht über Grönalnds Grund, worunter auch die Ausbeutung der vermuteten Erdölvorräte fällt. Siumut ist der Meinung, daß dieses Recht nur der Bevölkerung der Insel zustehe. Atassut hält das gegenseitige Vetorecht für einen ausreichenden Schutz der eigenen Interessen. Der Geldfluß, der seit vielen Jahren einseitig von Kopenhagen nach Godthab fließt, wird auch ohne ausdrücklich verankertes Eigentumsrecht der Grönländer nicht seine Richtung wechseln.

Die in Grönland lebenden Dänen haben sicherlich zur überraschenden Stärke der Atassut-Bewegung beigetragen, sie sind aber nicht der alleinige Grund dafür. Die Beziehungen zwischen Insel und Mutterland sind so eng, daß viele Grönländer keine Änderung der bestehenden Abhängigkeit wünschen. Nur kleine Gruppen, wie der „Rat junger Grönländer in Dänemark”, treten schon jetzt für eine Selbstverwaltung der riesigen Eisinsel ein. Die Godthaber Tageszeitung „SermitsiaK” (das K ist kein Druckfehler!) sieht den Unterschied in der Haltung der beiden politischen Gruppierungen auf Grönland im Verhältnis zu Dänemark so: „Atassut ist durch eine alte Liebe bestimmt, die nicht rostet. Siumuts Verhältnis dagegen hat eher den Charakter einer Vemunfte- he.”

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