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DAS FLUGZEUG BEGINNT sich gegen Santa Isabel zu senken. Von Norden kommend, erblickt man zuerst zur Linken auf dem afrikanischen Kontinent das imposante Massiv des Kamerun. Dann überfliegt man einen Meerbusen, den ungefähr dreißig Kilometer breiten Golf von Biafra. Plötzlich taucht direkt vor uns eine gewaltige vulkanische Bergspitze auf: der Santa lsabel, der größte, meist in Nebel gehüllte, 3000 Meter hohe Berg von Fernando Poo.

Die Insel bildet einen Teil der merkwürdigen Kette, die in gerader Linie tief in den südlichen Atlantischen Ozean hineinragt. Wie schon erwähnt, ist der Kamerun ihr Anker auf dem Kontinent, dann reihen sich aneinander: Fernando Poo, die portugiesische Insel Principe, die Insel Sao Tomė und die kleine spanische Besitzung Annobon. Am Ende liegt Sankt Helena. Die Spitzen, die aus den Fluten auftauchen, sind wahrscheinlich die Gipfel einer hohen Bergkette, die in einer prähistorischen Sintflut verschwand.

Der Flughafen von Santa Isabel liegt einige Kilometer von der Stadt entfernt. Die Zementanlaufbahn ermöglicht die Landung von Düsenflugzeugen. Bevor die Maschine niedergeht, fliegt man über die Stadtmitte. So hat man einen ersten Überblick von Santa Isabel und seiner Satellitenstadt San Fernando, welche die spanische Verwaltung im Lauf der letzten zwei Jahrzehnte erbaut hat, um die übervölkerte Stadt zu entlasten. Bewahrt Santa Isabel viele alte Erinnerungen, so ist San Fernando eine moderne, planmäßig gebaute Siedlung, die an jedem Morgen zur Stunde, da Büros und Werkstätten ihre Pforten öffnen, fast ganz verlassen da liegt.

Aus der Vogelperspektive stechen zwei Dinge in Santa Isabel hervor. Zuerst die prachtvolle, von tropischen Bäumen und Häusern gesäumte Bucht mit den Hafenanlagen im Hintergrund, wo ständig einige Einheiten der spanischen Marine stationiert sind. Als zweites, auf der Höhe der Klippen, ist es die Plaza Espana mit den hochragenden Palmen und dem buntfarbigen Blumenteppich, der selbst in einer Höhe von einigen hundert Metern sichtbar ist. Der Platz ist umgeben von der imposanten Kathedrale, dem Gouverneurspalast und anderen Verwaltungsgebäuden.

AUF DEM WEG IN DIE STADT werden die ersten Eindrücke bestätigt. Santa Isabel vereint Tradition und Fortschritt. Die Stadtverwaltung ist auf dem Bauabschnitt sehr tätig: Die Elendshütten, eine unvermeidliche Folge des sprunghaften Anstiegs der Bevölkerung, werden rasch entfernt und durch dauerhafte Bauten ersetzt, die, obwohl stark genormt, sich den Ansprüchen ihrer Bewohner gut anzupassen scheinen. Das Zentrum hingegen atmet noch immer die friedliche Atmosphäre einer Provinzstadt vom Ende des neunzehnten Jahrhunderts. Es ist ein freundlicher Ort, aber man kann ihn nicht mehr verschlafen nennen; im Vergleich zum afrikanischen Durchschnitt wird hier sogar viel gearbeitet.

Die Stadt ist gekennzeichnet durch eine unglaubliche Menge von Kindern. Sie befinden sich überall. Sie wimmeln und schreien. Ruhe tritt nur in der Nacht ein, denn im Gegensatz zu den sommerlichen Gewohnheiten der spanischen Metropole, schlafen die Leute hier. Zu bewundern sind die Wagenlenker, sind doch die Straßen hauptsächlich Spielplätze. Trotz der eindrucksvollen Anzahl von Polizisten, die übrigens gutmütig sind und alles mit einer Dosis von Philosophie hinnehmen, zählen die Verkehrsregeln wenig.

Der Kindersegen spiegelt sich in den Statistiken wider. Zwischen 1950 und 1960 vermehrte sich die Bevölkerungszahl von Fernando Poo um 49 Prozent. Selbstverständlich ist diese Tatsache nicht ausschließlich auf die Geburtenziffern zurückzuführen. Der gegenwärtige Wohlstand hat die Einwanderung angeregt, aber letztere ist bei weitem nicht der ausschlaggebende Faktor. Fernando Poo hat also jetzt 62.000 Einwohner, davon 58.000 Afrikaner und etwas mehr als 4000 Europäer; das bedeutet ungefähr 30 Seelen pro Quadratkilometer.

EINE MINDERHEITSGRUPPE, GENANNT DIE „Fernandinos“, ist das einflußreichste Element unter der afrikanischen Bevölkerung. Sie bilden eine farbige Aristokratie, bestehend aus Familien, die oft schon seit Generationen eine bedeutende Rolle in den politischen und wirtschaftlichen Geschicken der Insel spielen. Man kann sie nicht im eigentlichen Sinn eine Rasse nennen, eher sind sie eine kulturelle und soziale Gemeinschaft. Die Herkunft der Fernandinos ist verschieden; manche haben ihren Ursprung in Sierra Leone und tragen englische Namen; andere sind Stammesangehörige der Bubi, der Ureinwohner der Inseln. Manche, meist Mestizen, stammen aus Sao Tomė, aber man findet auch Fangs von Rio Muni. Die Fernandinos eint ihre spanische Kultur. Die meisten unter ihnen haben in Europa studiert, sprechen klassisches Spanisch und auch oft fließend Englisch. Im allgemeinen sind sie intelligent und voll Unternehmungsgeist. Dadurch sind sie den Kreolenfamilien der Neuen Welt ähnlich und bilden eine feste Stütze für die Verwaltung.

Die ureingesessenen Bubi gehören zu der Bantu-Rasse und bilden heute ungefähr 30 Prozent der Bevölkerung. Der Bubi ist vornehmlich Landbewohner. Da die. spanische Politik keine Latifundienbildung begünstigt und den bäuerlichen Besitz gefördert hat, ist praktisch jeder Bubi Landwirt mit eigenem Grund und Boden. Heute, zum Christentum bekehrt und spanisch sprechend, spielen die Bubis mit einigen Aus nahmen keine entscheidende Rolle in der Politik, denn sie bleiben lieber auf dem Land, und die Stadt zieht sie wenig an.

Neben den Bubis und rasch sich ihnen anschließend, gibt es kleinere Gruppen: die Pamues oder Fangs von Rio Muni, Kameruner, Ein wanderer aus Sao Tomė, die meist Händler, Landwirte oder Beamte sind. In der zweiten Generation kann man sie kaum mehr von der eingesessenen Rasse unterscheiden, deren Charakter sie sogar annehmen.

Schließlich ist die große Masse der nigerischen Land- und Fabrikarbeiter da, die man „Calabars“ nennt. Sie kommen fast immer mit einem Spezialkontrakt auf achtzehn Monate, der einmal erneuert werden kann. Sie haben keinen offiziellen Wohnsitz und müssen nach Ende der Kontraktzeit in ihre Heimat zurückkehren; aber sie verlassen die Insel nicht gerne und verwenden alle möglichen Ausflüchte, um bleiben zu können. Sie sind infolge Mangels an Arbeitskräften derzeit unentbehrlich. Die Bubis haben fast alle Besitz und nehmen keine bezahlten Stellungen an, sondern bieten selbst solche, da die Kakaopflanzungen und Ölpalmen intensiv bewirtschaftet werden müssen. Bei dem wachsenden Wohlstand von Rio Muni verlassen die Bewohner dieser Provinz, die Pamues und Playe- ros, ihre Heimat nicht mehr, daher die Notwendigkeit, Arbeiter aus den armen Regionen Nigerias zu rekrutieren.

EINE INTERESSANTE EINZELHEIT IM Bilde der Provinz von Fernando Poo ist die kleine Insel Annobon, der einzige spanische Besitz südlich des Äquators; ihre Oberfläche mißt nur 17 Quadratkilometer. Die Bevölkerung von ungefähr 2000 Seelen lebt vom Ackerbau und von der Fischerei. Außer dem Annobonesischen, einer seltsamen Mischung von einheimischen, spanischen und portugiesischen Worten, sprechen die Einwohner ein fast klassisches Kastilisch, viel schöner oft als im Mutterland. Sie zeichnen sich auch durch einen tiefen katholischen Glauben und eine unzerstörbare Anhänglichkeit an ihre Heimaterde aus. Die Annobonesen sind sehr intelligent und kommen zahlreich nach Fernando Poo, wo sie sowohl in der Geschäftswelt wie in der Beamtenlaufbahn schöne Karrieren machen, aber keiner von ihnen läßt sich für die Dauer außerhalb seiner kleinen Insel nieder; nach Jahren kommt ein jeder zurück, um wenigstens seine Tage in der Heimat zu beschließen.

Die Stadt Santa Isabel liegt auf der Höhe einer Felsenwand, von wo aus man einen prachtvollen Blick über Bucht und Meer hat. Bei klarem Wetter sieht man von weitem den Kamerun. Am Fuß der Klippen befinden sich die Hafeneinrichtungen. in denen reges Leben herrscht. Neben spanischen Kriegsschiffen und Frachtschiffen verschiedener

Nationalität sieht man immer eine große Anzahl von Fischerbarken aus dem Kamerun oder aus Nigeria. Aber das Fischen ist oft nur ein Vorwand, denn dort, wo die kleinen Boote anlegen, sieht man, hinter Mauerwinkeln versteckt, die Kisten, mit denen sie in der Nacht beladen werden. Die Preise in Fernando Poo sind niedrig und Waren gibt es in Hülle und Fülle. Nichts ist also verlockender, als sie nach Kamerun oder Nigeria zu schmuggeln, wo es, seit der Unabhängigkeit, an vielen Dingen mangelt; die größten Profite werden mit alkoholischen Getränken erzielt, besonders spanischer Wein und Kognak sind bei den Afrikanern sehr geschätzt.

Der Hafen ist mit der Stadt und mit der schönen Promenade entlang des Felsenkammes durch eine breite Straße verbunden, die in zwei steilen Kurven auf die Höhe führt. Sie ist von alten Bäumen mit dichtem, dunklem Blätterwerk gesäumt, von denen man glauben könnte, sie wären schon hier gestanden als die ersten Weißen aus Santa Isabel landeten. Die Straße hat einen eindrucksvollen Namen: Fiebersteigung. Tatsächlich betrat jeder, der in der Vergangenheit die kurze Anhöhe hinaufstieg, das Reich des Fiebers und lief Gefahr, nicht mehr zurückzukommen. Für viele Männer war es im wahrsten Sinne des Wortes eine Einbahnstraße des Todes.

OFT WURDEN DIE EUROPÄER getadelt, Afrika nicht rascher entwickelt zu haben. Diese Anklage richtete sich vor allem gegen jene, die alte Besitzrechte hatten. Man vergißt, daß Äquatorialafrika bis zur Entdeckung des Chinins eine Todeszone war. Es war das Reich der furchtbaren Fieber — Sumpffieber, Gelbes Fieber, Schlafkrankheit —, die nahezu alle Weißen vernichteten und die farbige Bevölkerung dezimierten. Es war fast unmöglich, sich einer wirksamen Tätigkeit zu widmen, um so mehr, als man sich im allgemeinen nur kurz aufhielt; entweder man starb oder man kehrte, zum Skelett abgemagert, vom Fieber geschüttelt, in gemäßigte Klimate zurück. Wenn man nicht mit eigenen Augen die zahllosen Schwierigkeiten gesehen hat, die noch heute bestehen, dann wird man nie die übermenschliche Aufgabe jener Männer begreifen können, die den Weg gebahnt haben und fast ausnahmslos auf diesem fernen Schlachtfeld gefallen sind. Der Gang der Entwicklung Afrikas gleicht einem Leichenfeld, mit Helden, deren Namen die Geschichte allzu oft nicht kennt, obwohl sie eines der glorreichsten Kapitel des europäischen Heldenepos geschrieben haben.

Fernando Poo wurde von den Portugiesen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts entdeckt. Mit dem im Jahre 1778 geschlossenen Vertrag von El Pardo übergaben sie die Insel und Annobon den Spaniern, im Austausch gegen Gebiete in Südamerika. Im selben Jahr kam eine von Argelejo und dem Infanterieoberst Primo de Rivera geleitete Expedition aus Argentinien, um die Inseln und die Küste von Rio Muni in Besitz zu nehmen. Diese Unternehmung endete schlecht; Fieber dezimierten die Truppen und zwangen zur Umkehr. Obwohl es sich nur um eine Episode handelte, hinterließ die kurze Anwesenheit der Spanier in Annobon einen tiefen Eindruck, da Argelejo und seine Schiffskapläne das Christentum gebracht hatten. Während siebzig Jahren blieb dann der Kontakt zwischen Spanien und Annobon völlig unterbrochen. Als jedoch in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts ein spanisches Schiff von neuem bei der Insel anlegte, fanden sie eine Bevölkerung vor, die den katholischen Glauben weiter ausübte und als oberste Behörde einen Mann gewählt hatte, der sich noch Gouverneur Seiner Majestät des Königs von Spanien nannte.

Die Katastrophe der Expedition Argelejos hatte von ähnlichen Bemühungen abgeschreckt. Anfang des neunzehnten Jahrhunderts bemächtigten sich daher Engländer aus Sierra Leone der Kontrolle über Fernando Poo und brachten auf die Insel ihre Sprache, ihre Namen und ihre Religion. Gegen Mitte des neunzehnten Jahrhunderts bestand die spanische Oberherrschaft nur mehr at : dem Papier.

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