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Paradies ohne Engel

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Als Kolumbus nach seiner ersten Atlantiküberquerung der kubanischen Küste ansichtig wurde — wahrscheinlich in der Nähe der heutigen Stadt Nuevitas — soll er ausgerufen haben: „Das schönste Land, das menschliche Augen je gesehen haben/“ Der blasierte Globetrotter unserer Tage würde sich kaum so überschwenglich ausdrücken, aber auch er wird zugeben müssen, daß sich dem Reisenden, dessen Schiff, das unwahrscheinlich blaue Karibische Meer an einem frühen Sommermorgen durchpflügend, dem Hafen von Havanna zusteuert, ein Bild bezaubernden Reizes bietet, sobald das leuchtturmgekrönte Kastell Morro, das altersgraue Wahrzeichen der kubanischen Hauptstadt, über dem Horizont aufgetaucht ist, gefolgt von den modernen Hochhäusern, die nirgends so gut hinzupassen scheinen wie hier zwischen die stolz ragenden Palmen, und schließlich vom sandigen Strand, der sich strahlend weiß hinzieht, bis er in weiter Ferne in der verschmolzenen Bläue der See und des Firmaments verschwindet. Und reizvoll, wenn auch in anderer Art, ist die Stadt selbst, von der Nähe gesehen. Der innere Bezirk, wo sich kaum etwas geändert hat seit der spanischen Zeit, könnte heute noch irgendwo in Andalusien oder Kastilien liegen, mit seinen peninsular-barocken Kirchen, seinen engen, einspurigen Gassen und Gehsteigen, die so schmal sind, daß ein Fußgänger dem andern kaum aus- weichen kann, ohne auf die Fahrbahn zu treten; mit den ungezählten Cafes, wo nur Männer, und, so scheint es wenigstens, die meisten, ihre Tage verbringen; mit den ebenso ungezählten „novios", den verliebten jungen Leuten, die, angeklammert an die außen an den Häusern angebrachten Fenstergitter, in dieser unbequemen Position meist die einzige ihnen von der spanischen Sitte gewährte Möglichkeit haben, ihre „novia“ außer Hörweite der sonst unentbehrlichen „duefia“ zu sprechen; und schließlich, nicht zu vergessen, mit dem da und dort noch sichtbaren Wappen Karls V. — ein für den Oesterreicher nicht weniger rührendes Memento vergangener Zeiten, wie die Tatsache, daß sich unter den im Morro- Leuchtturm bereitliegenden Flaggen noch durch vielp Jahre nach der Auflösungvder .ęsterreįębisclį- ,

befand, um für die reglementmäßige Begrüßung zur Hand zu sein, falls doch noch ein k. u. k. Kriegsschiff in den Hafen einlaufen sollte ...

Die neuen Stadtteile, mit ihren breiten, blumengesäumten Boulevards, den gepflegten Gärten und Parks, dem überdimensionalen Parlamentsgebäude, welches dem Kapitol in Washington Konkurrenz machen will, zeigen eher einen amerikanischen als kubanischen Charakter. Auch sie haben ihren Charme, aber wer die eigentliche und einzigartige Schönheit dieser Insel kennenlernen will, der muß ins Innere Vordringen. Er muß die fruchtbare Ebene und die Flachtäler des Camaguey gesehen haben; die „fincas“ mit ihren unübersehbaren Zuckerrohrfeldern; die berühmten Tabakpflanzungen der Vuelta Abajo; den versumpften Dschungel und die weglose, zerklüftete Sierra Maestra, mit ihren tausend und mehr Meter hohen Felswänden; die tiefeingeschnittenen, mit tropischer Vegetation überwucherten Schluchten, auf deren Grund die Flüsse ihren eiligen Lauf zum Meer nehmen, oft über Katarakte von atemberaubender Majestät; dann wird es ihm leicht fallen, zu begreifen, warum Spanien an der „Perle der Antillen" so zähe festgehalten hat, trotz der ständigen Sorgen und Schwierigkeiten, die ihm dieser Besitz vierhundert Jahre lang bereitete.

Als die Spanier 1898, nach der Vernichtung ihrer Flotte in dem ihnen von den Vereinigten Staaten aufgezwungenen Krieg, Kuba aufgeben mußten, sollte es sich bald heraussteilen, daß mit dem Ende der spanischen Herrschaft und ihren tatsächlichen oder auch nur behaupteten Mißgriffen und Fehlern das Problem, wie in diesem ewig unruhigen Land Frieden, Ordnung und Sicherheit hergestellt werden könnten, nicht gelöst war. Die in den ersten Jahren amtierende amerikanische Militärregierung kam mit allen ihren durchgreifenden Reformen an den Kern des Uebels nicht heran, und die Männer, die ihr nach Konstituierung der selbständigen Republik Kuba, von 1902 ab, der Reihe nach als Machthaber folgten, von Estrada Palma, dem ersten Präsidenten, bis zu dem jetzt gestürzten Diktator Batista, versuchten das auch gar nicht; oder wenn, dann doch nur so lange, bis sie der Versuchung unterlagen, aus ihrer Position den größtmöglichen persönlichen Vorteil herauszuschlagen, statt die ihnen gegebenen Machtmittel zum Nutzen des Landes einzusetzen. Daß es so kommen konnte und daß die Geschichte dieser Republik, besser gesagt dieser Pseudodemokratie,

fast durchweg gekennzeichnet ist durch Verfassungsbrüche aller Art, durch Korruption und Günstlingswirtschaft in kaum glaublichem Ausmaß, durch Willkür und blutigen Terror im Dienst der jeweils herrschenden Clique, dafür ist mehr als eine Ursache zu nennen. Mitgespielt hat der starke Gegensatz zwischen den im Laufe von Generationen durch das entnervende Klima lethargisch gewordenen, überwiegend in ländlichen Gegenden ansässigen Kreolen spanischer Abstammung und den viel unternehmenderen, zu Abenteuern geneigten Neueinwanderern in den Städten; der durchschnittlich sehr niedrige Bildungsgrad, namentlich der Bevölkerungsteile afrikanischen oder gemischten Blutes; der periodische Zustrom von Massen nichtweißer Saisonarbeiter aus Jamaika, die ein besonders unstabiles Element darstellen; die Anziehungskraft der Vereinigten Staaten, der, zum Schaden ihres eigenen Landes, manche strebsame und oft sehr wertvolle junge Kubaner nicht widerstehen können. Aber, so paradox es klingt, als die eigentliche Wurzel des kubanischen Uebels hat sich sein Reichtum an Zuk- ker erwiesen.

Die kubanische Landwirtschaft, und sie bildet das Rückgrat der gesamten nationalen Oekono- mie, steht praktisch im Zeichen einer Monokultur. Rund eine Million Hektar, das heißt etwa die Hälfte der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche, sind dem Zuckerrohr gewidmet. Mit dem Zuckerpreis also steigt und fällt der nationale Wohlstand. Aber der Preis gerade dieses Produkts ist enormen Schwankungen ausgesetzt. Nach Ende des ersten Weltkriegs erreichte er mit 22 US-Cents pro Pfund seinen höchsten Stand, zu anderen Zeiten wieder waren knapp 2 Cents zu erzielen. Vollbeschäftigung und Geldflüssigkeit wechselten daher, und oft in rascher Folge, mit Arbeitslosigkeit, Hunger und Elend für Hunderttausende und einem allgemeinen Geschäftsrückgang, der auch die vielen Halb- und Viertelintellektuellen in Mitleidenschaft zog, deren Haupttätigkeit darin zu bestehen schien, auf dem Prado in Havanna zu flanieren oder sich auf der Terrasse des Centro Gailego im Schaukelstuhl zu räkeln. Aus dieser Schicht kleiner Spekulanten und kteiaar-Galegen-' heitsschwindler und -betrüger entsprang der Gedanke, das reichlich unsichere Naschen am Rande des Zuckergeschäfts durch eine solidere Sparte zu ersetzen, nämlich durch eine groß aufgezogene Organisation des Hasardspiels. Die Durchführung dieser Idee, von der Regierung Machado sanktioniert und gefördert, brachte einen durchschlagenden Erfolg; nicht freilich für das arme kubanische Volk, aber für die Besitzer der bald an jeder Ecke etablierten Kasinos und ihren Anhang, für die aus den USA herbeigeholten Gangsterkönige, die sich eine Beteiligung an einem so lukrativen Geschäft natürlich nicht entgehen lassen wollten, und, keineswegs in letzter Linie, für den kubanischen Diktator, dem aus dem Spielbetrieb ungezählte amerikanische Dollarmillionen — nach Einführung der Prohibition war ja das „rumreiche Kuba das beliebteste Ziel amerikanischer Urlaubsreisender geworden — zuflossen. Die damals geformte Allianz zwischen allen Nutznießern der Spielleidenschaft hat sich bis in diese Tage als die stärkste Stütze der kriminellen Gewaltherrschaft in Kuba erwiesen.

Nun ist dieses Regime gestürzt. Die Bewegung, die es nach langem und hartem Kampf zu Fall gebracht hat, wird von einem Mann geführt, an dessen Patriotismus ebensowenig zu zweifeln ist wie an seinem ehrlichen Willen, die Uebel, an denen Kuba krankt, an der Wurzel anzupacken. Fidel Castro hat es als sein Ziel erklärt, das Leben der Nation auf eine neue Grundlage zu stellen. Er will vor allem die Arbeitslosigkeit beseitigen und jedem Kubaner die Möglichkeit schaffen, sich auf anständige Weise das tägliche Brot zu verdienen. Er will dem zügellosen Hasardspiel ein Ende machen und nur, im Interesse des Fremdenverkehrs, einige wenige, streng kontrollierte Kasinos tolerieren. Er will dem Schulwesen und, wie er ausdrücklich betont hat, vor allem dem Religionsunterricht sein besonderes Augenmerk zuwenden. Und er will mit aller Beschleunigung eine durchgreifende Bodenreform in die Wege leiten. Auf Grund dessen, was man über Castros bisheriges Leben weiß, über seine Herkunft, seine Erziehung, seine tiefe Gläubigkeit, darf man annehmen, daß es ihm mit seinen reformatori- schen Plänen durchaus ernst ist. Allerdings, ob er sich durchsetzen kann und ob die an der Wiederkehr der früheren Zustände interessierten Kräfte sich nicht wieder als die stärkeren erweisen werden, das kann erst die weitere Entwicklung lehren.

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