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Janusfratze der Diktatur

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Die Leimrutenfrage: Diktatur — so oder so? scheint für den Befürworter demokratischer Regierungsform ebenso spontan wie leicht beantwortbar: nämlich weder so noch so. Allein bereits der mäßig aufmerksame Zeitgenosse wird eine solche Antwort als zu kurzschlüssig und naiv beurteilen, da gedruckte und gesprochene Nachrichten ihn belehren, daß die Begriffe Diktatur und Demokratie schon längst insofern korrumpiert sind, als — im krassesten Falle — die Inhalte austauschbar wurden, demnach eine Diktatur ohne zu erröten sich als Demokratie, im politischen Gesellschaftsspiel empfiehlt. In einem besonderen Fall decouvriert sich dieser Betrug sogar sprachlich, so im Osten, wo die Diktatur unter Volksdemokratie, also Volksvolksherrschaft firmiert. Der Unsinn ist offenkundig, die Dienlichkeit nicht minder, anders wäre man doch wohl nicht auf diesen Sprachunfug verfallen.

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Die Leimrutenfrage: Diktatur — so oder so? scheint für den Befürworter demokratischer Regierungsform ebenso spontan wie leicht beantwortbar: nämlich weder so noch so. Allein bereits der mäßig aufmerksame Zeitgenosse wird eine solche Antwort als zu kurzschlüssig und naiv beurteilen, da gedruckte und gesprochene Nachrichten ihn belehren, daß die Begriffe Diktatur und Demokratie schon längst insofern korrumpiert sind, als — im krassesten Falle — die Inhalte austauschbar wurden, demnach eine Diktatur ohne zu erröten sich als Demokratie, im politischen Gesellschaftsspiel empfiehlt. In einem besonderen Fall decouvriert sich dieser Betrug sogar sprachlich, so im Osten, wo die Diktatur unter Volksdemokratie, also Volksvolksherrschaft firmiert. Der Unsinn ist offenkundig, die Dienlichkeit nicht minder, anders wäre man doch wohl nicht auf diesen Sprachunfug verfallen.

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Ich möchte mich aber nicht miit Er-ßcheinurugen befassen, deren Kenntnis allgemein ist, sondern mit bestimmter Parteilichkeit, die Beurteilung einer Diktatur betreffend im Verhältnis zu ihrer Gattungsnachbarin. Man erinnert sich vielleicht noch einer Affäre, welche die Wiener Stadträtin für Kultur zur Urheberin hatte. Diese hielt es für opportun und richtig, ein zudem privates griechisches Theaterensemble, das während der Festwochen in Wien zu gastieren eingeladen war, gewissermaßen draußen vor der Tür stehen zu lassen, da im Heimatland des Ensembles eine Regierung an der Macht sei, welche die Regeln eines demokratischen Staatslebens nicht zu den ihren zu machen bereit war. Erfreulich, wenn eine Frau sich zur Demonstration für demokratische Bräuche ermannt, noch erfreulicher jedoch wäre es gewesen, diesen Mut schon früher zu erweisen, sintemalen die Ehre eines Kämpfers mit der Größe des Gegners wächst. Nicht auszudenken, wieviel Ehre einzuheimsen gewesen wäre, hätte man beispielsweise das Wachtangow-Theater ausgeladen mit der Begründung, in Moskau herrsche Diktatur.

Opportunismus ist Trumpf

Weit gefehlt, ihr Bürger von Athen, daran auch nur zu denken, ja man versammelte sogar unter freundschaftlicher Devise all die östlichen Nachbarn in bekannter Zahl. Das tanzte und fiedelte und sang und mimte, es war eine richtige Freude an der blauen Donau, die Musen hatten unzählige Brücken über den Strom geschlagen, beiderseits der Brücken — oder vielleicht doch nur ei&erseits? — standen die Tore demokratischer Verständigung mit den Diktaturen offen. Ich bin durchaus für Verfahren Brückenbau und offene Tür, ich bin aber gegen jene Anmaßung, mit welcher man heutzutage überall auf der Welt darüber befindet, welche Diktatur Kontaktpartner sein kann und welche nicht. Die Ergebnisse solcher Willkür sind ebenso aufreizend wie absurd. Franco in Spanien ist zweifellos ein Diktator. Aber er ist ein katholischer Diktator... Stalin war ein Diktator, seine Erben sind es noch, und sie sind kommunistische Diktatoren, Griechenland hat seit zwei Jahren eine Diktatur.

Die Politiker aller demokratisch regierten Staaten müßten nun, so sollte man meinen, in ungetrübter Eintracht gegen diese und .ähnliche Diktaturen Erklärungen basteln. Aufrufe in den West- oder in den Ostwind sprechen, Sanktionen beschließen, Freundschaftsvereinigungen zur Wiederherstellung der und der Demokratie gründen, denen Österreich dank Pittermann ein schönes Vorbild setzte — aber siehe da, die Wirklichkeit nimmt sich wieder einmal ganz anders aus als die Moral, die in ihr politische Wirksamkeit haben sollte.

Freilich, es mangelt nicht in der Öffentlichkeit an schlechtem Gewissen. Dergestalt versucht man, sich mit einer Art Greuelskala zu beschwichtigen und zu helfen. Natürlich ist diese Skala weder irgendwo deponiert noch geeicht. Die praktische Anwendung vollzieht sich

etwa so. Hitlers Diktatur kostete soundso vielen Millionen Juden und Angehörigen unterworfener Völker das Leben, Stalins Diktatur nur soundso vielen Millionen. Also war Hitler der schlimmere Diktator. Franco sperrt jetzt seine Gegner nur ein, also ist er gemessen an Diktaturen, in denen die Leute umgebracht werden, ein Mann mit sanfter Hand. Wenn man aber nun glaubt, daß die Demokratie ihm diese Sanftheit lohnt, übrigens wie den Griechen auch, ginge man wiederum fehl. Denn tatsächlich ist die internationale Ächtung der sanften Hand durchgreifender als die der Henkersfaust. Die Gründe dafür liegen zutage: den Schwachen und den politisch vergleichsweise inferioren Protagonisten kann man risikolos

moralisch auspunkten in jenen Theaterkämpfen, als welche sich heutzutage die einschlägigen Debatten auf internationalen Foren erweisen. Dem Stärkeren gegenüber, von dem man Nachteile befürchten muß, rückt man lächelnd zum Brük-kenbau aus.

Dazu kommt, daß die Toleranzquote gegenüber Diktaturen von der Farbenverwandtschaft jener Partei abhängig ist, welche in der jeweiligen Demokratie Begierungsgewalt hat Eine christlich gelenkte Demokratie sieht in einem Franco die Verdichtung von Ideologie und Machtmitteln, eine sozialistisch geführte wiederum wird freundlicher auf solche Züge reagieren, die sie in gradueller Abschwächung auch bei sich selber vorfindet. Das heißt nun freilich nicht, daß der Großteil der europäischen Sozialisten etwa dem Gesinnungsterror und anderen Formen der Unterdrückung nicht abgesagt hätte, ja gerade ihnen ist in mancher prekären Situation eine folgenreiche Distanzierung vom autoritären Sozialismus östlicher Prägung nachzurühmen. Gleichwohl wird man es auch den demokratischen Sozialisten aufrechnen müssen, daß sie un- und antidemokratische Formen des politischen Lebens mit verschiedenen Maßen messen.

APO bildet Unke Spitze

Die politische Situation unserer Tage wird aber neuerdings auch insofern kompliziert, als der Osten, bildlich gesprochen natürlich, sich auf den

Westen hin zu entwickeln scheint und umgekehrt. In denselben Tagen, in welchen etwa die Tschechoslowakei am Morgen der Pressefreiheit stand, stürmten sozialistische Studenten die Produktionsstätten des deutschen Springerkonzerns und verlangten unter Gewaltandrohung und schließlich Gewaltübung die Enteignung des Besitzers. Und zur selben Zeit, da wiederum in der Tschechoslowakei die neue Führung sich um eine Aufwertung des Parlamentes bemühte, blies eine Terroristengruppe in Westdeutschland zur Vergatterung für eine Revolution mit recht diffuser Zielsetzung, ja verlangte sogar eine Partnerschaft, ob-schon sie sich unter dem Titel .Außerparlamentarische Opposition“ jeden Rechtes auf Partnerschaft innerhalb einer parlamentarischen Demokratie begibt.

Auch 1938 politische Blindheit

Ich möchte nicht neuerdings an Hans Magnus Enzenbergers politisches Fernweh Richtung Kuba erinnern, auch die ob ihres nüchternen Wägens renommierten Schweizer richten bereits rote Fähnlein nach dem neomarxistischen Wind. Was wunders, daß man von den Zeitgenossen der mittleren Generation wohlvertraute Töne hören kämm. So steht in einem Bericht der „Weitwoche“ über Kuba als Resümee zu lesen: „Einerseits hat die Revolution Kuba der traditionellen Bande beraubt, zahlreiche Familien auseinandergerissen und viele Einzelleben zerstört. Anderseits hat sie jedoch vielen Tausenden vor allem gebildeten jungen Leuten neue Möglichkeiten eröffnet. Diese Menschen sind dabei, ein neues Kuba zu bauen — die einen sind opferbereite Kämpfer, die anderen Opportunisten. Aber in beiden Fällen werden die Energien der jungen Kubaner in revolutionäre Kanäle geleitet. Die Zeit vermag die kubanische Revolution nicht zu verwässern.“

Weich ein Trost. Nun weiß ich nicht, ob ein solcher Kommentator an Tor-

heit oder an Gedächtnisschwund leidet. Ich jedenfalls erinnere mich noch schmerzlich und genau, in jenen Tagen des Jahres 1938, als die westlichen Demokratien vor Hitler ins Knie und zu Boden gingen, von den Berichterstattern aus jenen Demokratien ganz ähnliche Urteile vernommen zu haben: gewiß, Hitler gehe gegen die innere Opposition vor, die Juden verlören ihr Besitztum, die Kommunisten würden eingesperrt, das alles sei durchaus zu beklagen, allein, man müsse verstehen, eine Revolution schaffe eben Opfer, aber es wachse eine junge Generation heran, erfüllt von den Idealen eines großen Reiches, bereit, für dieses Reich opfermutig zu marschieren; die Fahne hoch, Deutschlands Morgenrot liege auf blonden Schöpfen und in den blauen Augen eine hinreißende Zukunft... nun, die Zukunft wurde schneller Gegenwart als den Marschierern lieb und bekömmlich war, und von jener Jugend, die da mit zwei blauen Augen blickte, dankten einige etliche Jahre später dem wiedergefundenen Gott, daß sie mit einem blauen Auge davonkommen durften.

Kein utopisches Ideal

Irgendwann einmal hatte ich in der Schule zu lernen bekommen, es mache das Wesen eines Ideals, daß man es anzustreben habe, obschon man wissen müsse, daß es unerreichbar bleibe. Ich fand das sehr schön, zumal wir im Deutschunterricht erfuhren, welch großer Wert darin beschlossen liege, wenn einer strebend sich bemüht — und das noch dazu in Versen. Nun, Ideale sind zwar zur Zeit vom Herzen, wo sie, nach abendländisch verbürgten Nachrichten, die “ihnen eigentümlichen Wohnungen haben sollen, ein bißchen weiter hinaufgerutscbt, nämlich mehr dem Munde zu, vorzüglich in den eines offiziellen Redners. Gleichwohl soll man sich diese zweifelhafte Beförderung nicht verdrießen lassen. Ich persönlich bin zwar der Meinung, daß die Monarchie, im Wortsinn, eine bessere Regierungsform ist als die Demokratie, sofern nämlich der einzige, der herrscht, auch ein Bester ist, da aber hier das Ideal zur Utopie wird, lohnt es sich wohl, die Demokratie zum Ideal au erhöhen. Wais nun die Diktatur betrifft, möchte ich sie in jeder ihrer Erscheinungsformen ablehnen, und zwar mit kompromißloser Radikalität.

„Mandat kein Freibrief f ür Beuteteilung“

Es kann gegenüber keiner Diktatur eine Toleranzquote geben. Die Unterscheidung in schlimmere und weniger schlimme bis harmlose Diktaturen, je nachdem, ob Andersgesinnte aufgeknüpft oder nur eingesperrt werden, ob es Millionen sind oder Tausende oder lediglich eine Handvoll — das ist gleichgültig, denn Diktatur realisiert sich in der Nötigung bereits eines einzigen Menschen. Die Zahl nämlich ist nicht in Qualifikation umzuinterpretieren, der Tatqualität nach ist ein Toter soviel wie Tausende, ein Eingekerkerter ebenfalls gleich tausenden. Freilich wird es an der jeweiligen Bealisierung von Demokratie liegen, wie weit sie allgemein Anerkennung beanspruchen darf und auf Autorität zählen kann. Wohl beruft sie sich gern auf Zahlen, nämlich auf die der Wähler und der Gewählten. Aber auch diese Zahl ist nicht ohne weiteres qualitativ zu deuten, Qualität muß erst aus dem Mandat geschaffen werden. Die augenblicklich größte Gefahr, von der die Demokratie westlichen Zuschnitts bedroht ist, gründet in dem Mißverständnis, daß der Vertretungsauftrag gleich sei einem Freibrief zur Beuteteilung. Eine Demokratie dividiert durch etablierte Gruppeninteressen ist aber Interessengruppendiktatur. Dann allerdings wartet die außerparlamentarische Opposition ungeduldig auf das Stichwort für den Auftritt,

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