Er sagte, man dürfe alten Leuten nicht unterstellen, daß sie anfälliger seien für geringere Temperaturen, er kenne genügend junge Leute, die sich in Schal und dicht gewebte Stoffe hüllten und nahe der Frostgrenze einhergingen, als drohten Erfrierungen, indes der Nachbar, ein Mann jenseits der Achtzig, an Tweed, einem Sakko von Tweed, sein Genügen habe.Nein, sagte er, das Kalenderbild weißhaariger Menschen, welche frieren, sei längst Kalendergeschichte, zumal jene, welche tatsächlich frieren müssen, da es ihnen an Geld mangelt für den Brennstoff, darauf achten, gleich den vielen
Es ist wie bei dem Mann, der auf dem Markt von Stand zu Stand geht, und von dem ich weiß, daß er täglich von Stand zu Stand geht, nicht jedoch genau weiß, wann er das tut; da ich ihn aber oft so habe gehen sehen, habe ich auch nach und nach aufgehört, ihn zu sehen. Die Sehgewohnheit ist nämlich der Tod des Sehens, und also habe ich auch die beiden Bäume nach und nach nicht mehr gesehen, die Nadelbäume, genauer, die Fichten, sie standen nahe der Ausfahrt, auf des Nachbars Grund, besitzrechtlich gesagt.Sie waren mir aufgefallen, nicht gleich einem Bild, welches das Auge anfällt, nein,
Sie heimkommen hören, ich habe in meinem Alter sehr viel ungebrauchtes Warten, das Warten hat seine eigene Zeit, wenn es bei sich bleibt und keine Öffnung mehr hat, so ein Warten ist ohne Kalender, ohne Stundenzählung, von aller Zeit vergessen —Sie lauere Heimkehrgeräuschen auf, redete die alte Frau inmeinen zerfallenden Schlaf, Schritten, Schlüsseldrehen, Türen-offnen, Türenschließen, Schritten dann wieder, man höre dabei dem Gewohnheitsglauben, daß morgen auch ein Tag sei, dieses fahrlässige Hoffen, das den Tod herausfordern müsse, den Tod um elf Uhr vierundzwanzig—ja, so
Die Calle ist eng. Die im Winkel zu ihr noch enger. Ein Regenschirm, ausgespannt, ist nicht unterzubringen. Aber zwei Menschen, einander entgegnend -nicht jeder bringt sich kollisionslos unter. Die sich unterbringen sind die, welche sich fortbringen. Die Calle sondert sie von jenenanderen, welche die Mauer entlangschleifen, schattenflach.Das Seicento, die stubenkleine Schenke auf der Insel, das knapp getretene Gras vor und unter den rohen Tischen und Bänken, Katze und Junghahn, die beiden sem-melfarbenen Hunde, einem Spitz verwandt der eine, herkunftslos der andere, Sciroccohimmel, Wolkenzug,
Die Tramway, in der ich sitze, fährt zu weit in die Kreuzung ein, sodaß die Tramway, die links abbiegen möchte, das nicht kann. Der Fahrer der Tramway, in der ich sitze, öffnet das Fenster und redet mit dem Fahrer der Tramway, die nicht einbiegen kann. Deren Fahrer schlägt offenbar dem Fahrer meiner Tramway vor, einige Meter zurückzufahren. Weil aber die Tramway, in der ich sitze, nicht fährt, sondern steht, der Unmöglichkeit halber, die andere Tramway einbiegen zu lassen, und weil die Fahrer beider Tramways reden, um herauszubekommen, auf welche Weise sie fahren, aneinander
Umbertide, das in sich zerstreute umbrische Dorf nahe dem Elefantenleib des Monte Tezio und den Fluß entlang und den Flanken der langhin gezogenen Hügel und den Feldern darauf: das Bauernhaus am Ende des Kammes einer jener Hügel und vor wegloser Macchia hatte ich mir für eine Weile zur Wohnung bestimmt. Umbrien, so hatte ich gedacht, das geschichtsvergessene Land, das Land von sprachlosem Ernst unter dem römischen Sonnenbogen, mir nun Land im Dezember, da in Häusern daheim Barbarazweige gebündelt auf Märkten liegen und Tannenreisig, stockt der Luftzug über dem Platz, gequält zu
Als Linz noch zwei, drei Buchstaben ständig vergeudete, einen Punkt zudem hinter jedem, nämlich a. d. D., sich von einem gleichnamigen Flecken am Rhein zu unterscheiden und also darauf bestand, seinen Namen dem Strom verbunden zu wissen und Linz an der Donau zu sein, da waren das Zaubertal und das Wirtshaus dort Ziel des Osterspazier-ganges mit Eltern und Tanten und Onkeln und Ostereiern zwischen Primeln und frühjährigem Gras und wie zögerndem Bachlauf unter tief hängenden Weiden hin.Die Mühe für Beine und Lungewar gering, zumal der Vater von Körperbewegung um ihrer selbst willen
Ich war wach und dachte, daß ich nun endlich schlafen müsse, und als ich darüber einschlief, dachte ich, immer noch wach zu sein und endlich einschlafen zu müssen, und dieses Denken im Schlaf, wach zu sein, machte eine Nervosität und zerebrale Uberbelichtung, man spürt Verspan-nungen im Gehirn, man wünscht, den Kopf in Finsternis zu tauchen, schlafend wünscht man in Schlaf zu tauchen —. In den Schlaf wird eine Tür geöffnet, wird eine Tür geschlossen, sind Schritte, ist eine Pause, ein Warten, ich gebe den Schlaf an das Wachen zurück, ich sage: ja?, fragend sage ich ja?, gegen die
Ein bißchen jubiläumslüstern zählt mans an den Fingern der Rechten ab: zum fünftenmal waren sie heuer, die Rauriser Literaturtage,gemütlicher, entspannter als das eine oder andere Jahr vorher, als manchem der Mund tönte, wovon der Kopf leer war. Nun ein paar Nachzuckungen der Garde, die sich „avant“ nennen läßt, leicht gealtert in Attitüden, reich an Alkohol und ausholenden Gesten, da und dort macht einer hinter einem oder schon vor einem die Tür zu, ansonsten aber ist alles auf Konsens und Freizeit eingestimmt. Engagement, betreffend irgendwas, scheint keine Stunde zu haben.
Venedig im Nebel frühen Winters ist ertapptes Venedig, ertappt über einer Gegenwart, deren Farben ausgelaufen sind, barer Leblosigkeit den Übergang zu machen.Tod in Venedig, literarische Attitüde, Ghasel und Novelle, Stra- winsky-Condukt, doch die Wirklichkeit ist nicht ästhetisierbar, entschwunden der Zug, die Prozession, Ansehen und Geschichte, aus Geräusch von Füßen, Ruderschlägen setzt sich Nachhall ab, Verlassenheit. Die Piazza hin .vier Menschen und ein Hund. Tagsüber jedoch müssen da mehr Hunde gewesen sein, so viel ist überall von Hunden. Aber im Teatro la Fendce musiziert
Er habe alles mit, hier, das Meßgewand, die Geräte, die Hostien, er lese jetzt die Messe, ohne Assistenz. Die Tür war halb offengestanden, ich war stehengebldeben und hatte kurz hineingeschaut. Und da hatte er mir gewinkt, der alte Mann. Er sei Kroate, romanischer Presbyter, sagte er, katholischer Priester. Ich stellte mich vor, als er mir die Hand gab. Ja, ohne Assistenz, sagte er und lachte, wissen Sie, in einem kommunistischen Land… der Direktor Kommunist, ja… Und: bitte, sagte er, was ich für Verabschiedung nahm, da er sich dem Altar zuwandte. Dann begann er zu beten, es war
Nach Carl Orff und Oskar Kokoschka hat der vor sieben Jahren begründete Kulturfonds der Stadt Salzburg zum erstenmal einen Literaturpreis verliehen. Man konnte keinen Besseren für diese Auszeichnung linden als Carl Zuckmayer, den halben Wahl-Salzburger, der in Henndorf bei Salzburg die glücklichsten Jahre seines Lebens verbrachte, „zwölf Jahre im Paradies“, wie er auch in der Antwort auf die Laudatio Dr. Rudolf Bayrs sagte. (Über diese Zeit berichtet er ausführlich in seinen Lebenserinnerungen und aud» in der im Salz- ■ burger Residenz-Verlag erschienenen „Henndorfer Pastorale“). Gleichsam als wollte er die Aufmerksamkeit des Auditoriums, das sich am 21. August im Marmorsaal des Schlosses Mirabell zur Überreichung des Preises eingefunden hatte, ein wenig von der eigenen Person ablenken, gedachte Zuckmayer des größten Dichters dieser Stadt und eines der bedeutendsten Lyriker im deutschen Sprachraum: Georg Trakl, der „wie ein dunkler Engel“ durch diese freundlichen Barockkulissen gesdiritten ist, und Trakls Vers vom Sdunerz um „die ungeborenen Enkel“ zitierend, sprach Zuckmayer die Hoffnung aus, daß die Jugend und unsere Enkel „der Himmel vor dem Katastrophalen, das uns umgibt, bewahren möge“. Und ganz zum Schluß noch einmal eine echte Zuckmayer-Geste: er gab dankend, stante pede, den eben erst empfangenen Preis an den Bürgermeister und Vorsitzenden des Kulturfonds zurück, mit der Bitte, ihn förderungswürdigen jungen literarischen Talenten aus Salzburg zukommen zu lassen. F.
Wenn vom Pöstlingberg die Rede ist und vom Pfenningberg und wie lange man nach Steyregg braucht und durch den Haselgraben und daß die Maximiliantürme von Erzherzog Maximilian erbaut worden sind und wie aus Flachs Leintücher werden in Rohrbach, dann haben wir Heimatkunde. Babylon und Cäsar und die Entdeckung Amerikas kommen später, dann aber zweimal, einmal im Untengymnasium, das zweite Mal im Obergymnasium mit etwas mehr Schlachten dazwischen und ihren geistigen Hintergründen.Natürlich kommen in der Heimatkunde auch Kelten vor, der Funde halber, die im Museum zu sehen und für den
Ein Tief über dem Golf von Genua und dem westlichen Mittelmeer, das seine Lage kaum veränderte, hatte nördlich der Alpen zum Aufkommen einer warmen Südwestströmung geführt, die Temperaturen lagen über dem langjährigen Durchschnitt und die Niederschlagsmengen wesentlich unter demselben, doch die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik erklärte, daß so ein Februar durchaus nicht ungewöhnlich sei. Als Napoleon Edelsberg bei Linz beschoß, seien die Temperaturen noch mehr über dem Durchschnitt und die Niederschläge noch mehr unter dem Durchschnitt gewesen. Man müsse
Für die Planung des Literaturprogramms im ORF sind folgende Erwägungen maßgebend:Allgemein hat die österreichische Literatur vorrangig präsent zu sein, dann — verhältnismäßig — die des deutschsprachigen Auslandes, schließlich die der Nachbarländer in signifikanten Beispielen. Innerhalb der österreichischen Literatur wird seit zwei Jahren der zeitgenössischen gegenüber der tradierten der Vorzug gegeben, innerhalb jener wiederum der Produktion junger Autoren. Ihr sind zur Gänze die einschlägigen Termine des Programms ö 3, so vor allem die „Spezialbox“, vorbehalten.ö 1
Der gegenwärtige Stand der zeitgenössischen Literatur ist einem Versuch nicht günstig, sich über das Werk Karl Heinrich Waggerls zu verständigen. Es scheint fortgerückt aus unseren Tagen, obschon ihm tatsächlich nur das Substrat, die soziale Wirklichkeit, abhanden kam, entzogen wurde: das salzburgische Bergdorf als Gleichnisformel für menschliches Geschick innerhalb einer anschaubaren, weil überschaubaren, jahrhunderteher tradierten Welt.Natürlich war diese schon zu Beginn der zwanziger Jahre mehr Relikt als Welt, gemessen bereits am nächstgelegenen Industrieort. Allein für den
Diskussionen stehen im Kalender der Veranstalter gleich den Patronen in dem des Kirchenjahres, zeremo-niös nehmen die Diskutanten nik-kend und sich neigend ihre Plätze ein, eine schaugestellte Oligarchie über Stoff und Thema auf Brettern, welche die intellektuelle Halbwelt bedeuten, und dann meint und glaubt es links und rechts des Pater conventus in höflichstem Konjunktiv. Bisweilen ist Mitgerede des Publikums zugelassen, das sich ebenso, nur meistens etwas leidenschaftlicher und jargonärmer, bemüht, an Thema und Mitrednern vorbeizureden.In den deutschen Nachtstudios macht der
Eine Verkaufs- und Käuferwelt ist nicht mit Brandlegung und Bomben zu treffen, wohl aber mit Verzichten. Der Verzicht wurde als Angriffswaffe noch nicht genügend praktiziert. Er erlaubte zudem die befriedigende Tat-Täter-Identiflkatiom, erzielt mit ziemlich genau kontrollierbarer Eigenleistung. Hunderttausende kündigen die Mode: mini, maxi passe, ein Kleid, eine Hose, ein Mantel, ein Paar Schuhe reichen für fünf Jahre. Hunderttausende hören auf zu rauchen, versagen sich die letzten hits — die Produzenten von Modebewußtsein und rotierendem Schwachsinn läsen die Umsatzzahlen wie ein
Die Leimrutenfrage: Diktatur — so oder so? scheint für den Befürworter demokratischer Regierungsform ebenso spontan wie leicht beantwortbar: nämlich weder so noch so. Allein bereits der mäßig aufmerksame Zeitgenosse wird eine solche Antwort als zu kurzschlüssig und naiv beurteilen, da gedruckte und gesprochene Nachrichten ihn belehren, daß die Begriffe Diktatur und Demokratie schon längst insofern korrumpiert sind, als — im krassesten Falle — die Inhalte austauschbar wurden, demnach eine Diktatur ohne zu erröten sich als Demokratie, im politischen Gesellschaftsspiel empfiehlt. In einem besonderen Fall decouvriert sich dieser Betrug sogar sprachlich, so im Osten, wo die Diktatur unter Volksdemokratie, also Volksvolksherrschaft firmiert. Der Unsinn ist offenkundig, die Dienlichkeit nicht minder, anders wäre man doch wohl nicht auf diesen Sprachunfug verfallen.
Als vor wenigen Wochen der Schah von Persien Wien besuchte, wußte der österreichische Rundfunk zu melden, daß demonstrierende Studenten, Perser und — merkwürdigerweise — Österreicher und Deutsche, von dier Polizei durch gütiges Zureden veranlaßt wurden, von ihrem wagemutigen Unternehmen abzulassen; die Demonstranten — so jener Bericht — zogen sich in ein Kaffeehaus zurück. Sehn Sie, das ist Österreich, ‘hätte man sicher gesagt, wäre main zur Zeit dieser Nachricht im Kreise deutscher Nachbarn gewesen. Man erinnert sich ja noch gut, daß mit Demonstrationen gegen Reza
Stumm wird der Mensch, schwindet der letzte Freimd. Jegliches Wort ist auf Antwort gemacht. Nur der Schrei, Der erschrockene und der des Entzückens, Fällt in die Brust zurück.Aber die anderen, die meinenden Worte, Sie sind dein Teil an den Nächsten, Heischend des Nächsten Teil, Und noch im Schweigen ist Zuspruch und nah der Gefährte.Immer ist Welt im Gespräch, aus dem Vergangnen geholt, Zur Stunde berufen und in die Zukunft gezielt.Als seien aus Luft sie gemacht, eilen die Dinge herbei.Die Hände ruhen im Schoß, Was am Tag sie begriffen will in begreiflichem Sätzen Feierabends ins
Vor kurzem las Karl Heinrich Waggerl, eingeladen vom „Kreis des geistigen Lebens“, in Wien. Endlich, denn es sind seit dem letzten Besuche des Dichters mehr als sieben Jahre vergangen. Und obgleich Viel geschehen ist inzwischen, wie man weiß, ist der Dichter' doch der nämliche geblieben: der Bewahrer einer überkommenen, sittlichen Ordnung, eines rechtsdiäffen bewältigten Daseins und alles dessen, was in der Stille geschieht und tröstlich ist. Freilich, mag einer einwenden, ob nicht heutzutage etwas Kräftigeres von-nöten sei, damit die Leute in ihren Händeln einhalten und den Blick
Gedenke des Abschieds: wie vorläufig damalsDem voreilenden Sinn das Mahnwort des Vaters war,Wie flüchtig bereit die Stirn seinem Segen,Wie allgemein dein Trost wider der Mutter Tränen.Oh, daß ihr tiefster VerlustHochschlägt als Jubel im Sohn!Und weglang klang dein Lied. Das Wort war fern dem Sinn, Des Vaters Abschiedswort; Der Trunk ward trüb gemischt, Den dir die Lust gereicht; Kein Wegkreuz machte bang. Kein Kreuzweg dich beschwert; Der Tag ein bunter Ball, Der in die Hände sprang.Die Mutter schreibt vom Herzeleid, das alle Mütter Nach den Kindern haben: ob du in Fährnis, Ob im
Daß Freude glänze über allem Werke, die Gabe rechten Mühens, Vom Aufgang an des Taggestirns, bis es hinabtaucht, glutenmüd, In Dunkel wieder, so sechsmal,Hieß Gott, da es zum siebenten heraufrollt, dich ruhn. Nehmen sollst von bester Webe du,Zu kleiden deinen Leib, und, ledig allen Schweißes Fron, Den Blick inständig gegen Himmel heben. Gerät und Werkzeug raste feierlich in oberem Licht, Auch Ochs und Esel, jeglich nutzbares Getier im Haus, Sei ohne Joch und Plage.Zur Andacht rufe dann dein Weib und deine Kinder,Die Ehehalten auch, Knecht und Magd,Ein frohes Herz in Gottes Schoß zu