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Er habe alles mit, hier, das Meßgewand, die Geräte, die Hostien, er lese jetzt die Messe, ohne Assistenz. Die Tür war halb offengestanden, ich war stehengebldeben und hatte kurz hineingeschaut. Und da hatte er mir gewinkt, der alte Mann. Er sei Kroate, romanischer Presbyter, sagte er, katholischer Priester. Ich stellte mich vor, als er mir die Hand gab. Ja, ohne Assistenz, sagte er und lachte, wissen Sie, in einem kommunistischen Land… der Direktor Kommunist, ja… Und: bitte, sagte er, was ich für Verabschiedung nahm, da er sich dem Altar zuwandte. Dann begann er zu beten, es war schwierig zu unterscheiden, ob kroatisch oder lateinisch. Zwei Schwalben nur waren im Raum, in dieser ungeschmückten, bild- und statuönlosen Kapelle des Klostergebäudes, das bis vor etwa hundertfünfzig Jahren Benediktiner be-

wohnten und das jetzt Hotel ist. Vielleicht hätte ich bleiben sollen: wenn es gefällig ist, hatte der Priester mitten aus seinem Gebet mir nachgerufen, als er mich hatte gehen hören. Und ich war stehengeblieben und hatte ihn beten sehen, beten hören, kroatisch oder lateinisch, und hatte die Schwalben betrachtet, die eine, die auf dem Gesimse saß, und die andere, die den Raum unter den Rundbögen zerschnitt. Und ich hatte überlegt, wie ich aus meiner Unschlüssigkeit in eine anständige Selbstverständlichkeit finden könnte.

Ich bemühte mich, dem Alten zu suggerieren, daß er einmal vom Altar auf- und zu mir hėrsehe, dann hätte ich mich bekreuzigt und möglicherweise einen besseren Abgang gehabt. Denn ich wollte gehen, diese Kirchentür mir im Rücken war einfach zur Falltür geworden für mich, und der plötzliche Priester dort vorne, und daß er gewinkt hatte, ich hätte rasch den Kopf wegdrehen können, so rasch, daß es wie Zufall geschienen hätte, obendrein war rechts ja genügend zu sehen, urlaubsblaues Wasser und sehr vieles Grünes, auch Geräusche waren immer rechts, vielleicht hat ein Boot angelegt, würde der Priester gedacht haben, hätte ex meine Kopfwendung bemerkt. Doch so schnell hatte ich eben nicht reagiert, ich war ja oft schon in der Kapelle drin gewesen, in der die Verlassenheit von den Wänden her auf einen zustrahlte,

und ich hatte gewußt, daß die Benediktiner lange fort waren, und so war ein Priester geradezu ein Stück schmaler weißer Schrecken; natürlich hatte ich sofort Hochwürden gedacht, und wahrscheinlich, sicher kam davon dann meine Verlegenheit, auch, weil er gesagt hatte, er lese ohne Assistenz, und dazu kam noch, daß er gelacht und das gesagt hatte vom kommunistischen Land. Und so wartete ich also, daß er einmal vom Altar auf- und zu mir herschaue, mir einen Abgang erlaube, in den ich so etwas wie einen Abschied, einen Gruß, hineinstecken könnte. Aber er sah nicht auf und her, er hatte mich bestimmt schon vergessen, oder einfach getilgt.

Mich irritierte am meisten, daß er denken könnte, ich zöge es vor, zu baden, zöge den Sonnenplatz diesem Raum und der heiligen Handlung vor. Ich war die Morgenstunden auf der Terrasse gelegen mit Malraux’ Conditio humana. Und dann war ich eben da an der Kapellentür vorbeigegangen und da hatte mich der Priester gesehen und eintreten heißen mit einem Wink. Das war alles. Ich hatte durchaus keine Verpflichtung, schließlich kann ein Priester, der zu Mittag in einem Hotel die Messe liest, nicht damit rechnen, daß die Leute vom Strand zusammenlaufen und mit ihm beten.

Das Tor der Kirche stand noch immer gleich weit offen, ich hatte mich umgewandt und hatte es gesehen, mich vielleicht vergewissern wollen. Vor mir aber war da der vereinsamte Priester, ohne Assistenz, ohne Gemeinde, und draußen ein Stück Urlaub, plötzlich ins Banale gerückt, ins Klischee, in das, was alle tun, tun dürfen, beanspruchen zu tun. Allein der Priester half mir nicht. Ich mußte mich los- machen, Verlegenheit an mir, Stücke Verlegenheit, weil ich ausgebrochen war. Und als ich den Bademantel umschlug dann und den Platz am Felsen des Klosterinsel aufsuchte, dachte ich immer noch, wie ich mich hätte entschuldigen sollen — als würde der Priester derlei erwarten, der alles für die Messe bei sich hat; nur keine Assistenz und keine Gemeinde.

Aas den Aufzeichnungen „Momente und Reflexe“, erschienen im Residenz- Verlag, Salzburg.

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