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Das vierte Gebot
Gedenke des Abschieds: wie vorläufig damals
Dem voreilenden Sinn das Mahnwort des Vaters war,
Wie flüchtig bereit die Stirn seinem Segen,
Wie allgemein dein Trost wider der Mutter Tränen.
Oh, daß ihr tiefster Verlust
Hochschlägt als Jubel im Sohn!
Und weglang klang dein Lied. Das Wort war fern dem Sinn, Des Vaters Abschiedswort; Der Trunk ward trüb gemischt, Den dir die Lust gereicht; Kein Wegkreuz machte bang. Kein Kreuzweg dich beschwert; Der Tag ein bunter Ball, Der in die Hände sprang.
Die Mutter schreibt vom Herzeleid, das alle Mütter Nach den Kindern haben: ob du in Fährnis, Ob im Elend seist, ob dich dein Brot besorgte, Ob winters wohl dein Rock noch taugt — Mein Kind, mein Sohnl
Doch nur von Worten bedankt,
Nicht vom sich schämenden Herzen,
Welken in entfremdetem Jahr
Güte und Kummer der Schenkenden hin
Vorm Stolz des ferne Beschenkten.
Weißt du von Abenden alternder Eltern?
Wie sie das Licht deines Kindseins berufen,
Scheucht die entzündete Lampe allein
Die Schatten doch nicht, die du übers Brot wirfst.
Hart ist das Lager auf Blättern von Träumen.
Aber wissender rasten die Hände am Krug:
Ihn hielt dein Vater einst an die Kufe,
Ihn hat auf duldender Schulter die Mutter getragen
Daß du sie liebest, die Eltern — Dies zu gebieten entschlug sich die Tafel. Denn wie sonst, wenn nicht liebend, Vermöchtet ihr, Töchter und Söhne, gedenken, Da euch Liebe gezeugt, da euch Liebe geboreü?
Zu ehren Vater und Mutter heischt das Gesetz,
So das vierte ist vor Gott,
Doch das erste uns sei vor den Menschen:
Denn zu bedanken vermöchtest du nie,
Was würdig dir vorausgelebt ward
An Werken und Schmerzen. Doch wer ehrt
Und ein Gleiches zu tun sich auflegt,
Demut beugt ihm das Knie,
Und der Geehrte heißt den Gebeugten
Sich erheben. So heben die Väter hinan ihre Sühne.
Ja, über solche Stufen wirst auch Du
Endlich heim- und hinanheben.
Die Dir Kinder sind,
Dir, Vater unser!
Aus dem werdenden Buch: Der Dekalog. Zehn Oden.
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