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Ich versuche es . . . Brief an Jesus

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Lieber Jesus! Mit meinen Briefen habe ich mir manche Kritik eingehandelt. „Er ist Bischof und Kardinal" haben sie gesagt, „er hat sich Hände und Füße ausgerissen und an alle Welt geschrieben: an Mark Twain, Peguy, Casella, Penelope, Dickens, Marlowe, Goldoni usw. Aber keine einzige Zeile an Jesus!"

Du weißt, wie sehr ich mich bemühe, ständig mit Dir im Gespräch zu sein. Aber in einem Brief mit Dir zu sprechen, fällt mir schwer. Es sind einerseits zu persönliche Dinge, andererseits zu unbedeutende. Was soll ich an oder über Dich schreiben, nach all den Büchern, die schon über Dich geschrieben wurden? Außerdem gibt es ja das Evangelium. So wie der Blitz heller ist als das Feuer,und das Radium alle Metalle übertrifft, so wie die Rakete schneller ist als der Pfeil eines Urwaldbewohners, so übertrifft das Evangelium alle anderen Bücher.

Pilatus hat Dich dem Volk vorgeführt: „Seht diesen Menschen!" Er glaubte, Dich zu kennen, kannte aber nicht einmal ein kleines Stück Deines Herzens, obwohl Du so oft und auf tausenderlei Arten Deine Güte und Barmherzigkeit gezeigt hast.

Deine Mutter: Du wolltest diese Erde nicht verlassen, ohne für sie einen anderen Sohn zu finden, der für sie Sorge tragen konnte. So hast Du vom Kreuz herab zu Johannes gesagt: „Sieh da, deine Mutter!"

Die Apostel: Tag und Nacht warst Du mit ihnen zusammen, Du hast sie als wahre Freunde behandelt und ihre Schwächen ertragen. Mit unerschöpflicher Geduld hast Du sie gelehrt. Da die Mutter zweier von ihnen Dich um einen bevorzugten Platz für ihre Söhne bittet, gibst Du ihr zur Antwort: „Ich habe keine Ehrenplätze zu vergeben, sondern nur das Kreuz."

Im Abendmahlsaal hast Du die Apostel gewarnt: „Ihr werdet Angst bekommen und davonlaufen." Sie protestierten; als erster und lauter als alle Petrus, der Dich dann auch prompt dreimal verleugnet hat. Du hast dem Petrus verziehen und dreimal zu ihm gesagt: „Weide meine Schafe!"

Die Sünder: Der Hirte, der auf der Suche nach dem verlorenen Schaf ist, voll Freude, wenn er es findet und es glücklich in den Stall heimbringen kann, das bist Du. Dann bist Du der gute Vater, der den verlorenen Sohn bei seiner Heimkehr freudig umarmt. Auf jeder Seite des Evangeliums findet man diese vertraute Szene: Du hast Umgang mit Sündern, ißt an ihrem Tisch, Du lädst Dich selber ein, wenn sie es nicht zu tun wagen. Ich habe den Eindruck, Du kümmerst Dich mehr um das Leid, das durch die Sünde entsteht, als um die Beleidigung, die Gott damit angetan wird.

Neben der Güte Deines Herzens kennzeichnet Dich ein gesunder Menschenverstand. Dir ging es vor allem um das Innere des Menschen.

Unnütze Worte gefielen Dir überhaupt nicht: „Euer Reden sei ja, ja, nein, nein, was darüber hinausgeht, stammt vom Bösen. Wenn ihr betet, macht nicht zu viele Worte!"

Du wolltest nicht, daß man alles an die große Glocke hängt: „Wenn du fastest, salbe dein Haar und wasche dir das Gesicht. Wenn du Almosen gibst, dann soll deine Linke nicht wissen, was die Rechte tut." Dem geheilten Leprakranken hast Du aufgetragen: „Sag es keinem weiter!" Den Eltern des von den Toten auferweckten Mädchens befahlst Du mit energischer Stimme, daß sie das Wunder nicht von den Dächern posaunen sollen.

Auf dem Kreuz hast Du Dein Leben beendet mit den Worten: „Alles ist vollbracht." Übrigens hast Du immer darauf geachtet, die Dinge nicht halb zu tun. Einmal haben Dir die Apostel vorgeschlagen: „Die Leute folgen uns schon seit geraumer Zeit, schik-ken wir sie zum Essen nach Hause." Doch Du meintest: „Warum geben wir ihnen nicht zu essen?"

Als das Mahl mit den wunderbar vermehrten Broten und Fischen zu Ende war, sagtest Du: „Sammelt die Uberreste, es soll nichts verderben." .

Du hast die Leute begeistert. Vom ersten Tag an sagten sie von Dir: „Dieser spricht mit Autorität! Nicht so wie unsere Schriftgelehrten."

Die armen Schriftgelehrten: Gekettet an die 634 Vorschriften des Gesetzes, behaupteten sie, daß selbst Gott jeden Tag eine gewisse Zeit dem Studium des Gesetzes widme und sich vom Himmel aus mit den Meinungen der Schriftgelehrten beschäftige, um ja auf dem laufenden zu sein. Du jedoch: „Ihr habt gehört, daß geschrieben steht... ich aber sage euch...!" Du bist der Herr über das Gesetz und nahmst für Dich das Recht und die Macht in Anspruch, es zu vervollkommnen.

Nie wurdest Du müde zu lehren: in den Synagogen, im Tempel, auf Plätzen und Wiesen sitzend, auf den Straßen wandernd, in den Häusern, selbst bei Tisch. Heute wollen alle den Dialog. Ich habe einmalig die Dialoge in Deinem Evangelium gezählt, es sind 86:37 davon mit Deinen Jüngern, 22 mit Leuten aus dem Volk, 27 mit Deinen Gegnern. Heute fordert die Pädagogik, daß alle an den brennenden Problemen Anteil nehmen sollen. Johannes der Täufer schickte vom Gefängnis aus einige Männer zu Dir, um Dich zu fragen: „Wer bist Du eigentlich?" Du hast keine Zeit mit Geschwätz verloren, Du heiltest die Kranken, die man Dir brachte und sagtest: „Geht und sagt dem Johannes, was ihr gesehen und gehört habt!"

Seit Jahrhunderten strömen Menschen von überallher zu einem Gekreuzigten. Vor diesem Schauspiel stellt sich die Frage: Handelt es sich nur um einen bedeutenden und wohltätigen Menschen oder um einen Gott? Du hast selbst die Antwort gegeben.

Als Petrus bekannte: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes", hast Du diesem Bekenntnis nicht nur zugestimmt, sondern es auch belohnt.

Als sie Dich schließlich verhaftet und vor den Hohen Rat geschleppt hatten, fragte Dich der Hohepriester feierlich: „Bist du nun der Sohn Gottes oder bist du es nicht?" Du gabst ihm zur Antwort: „Ich bin es, ihr werdet mich zur Rechten des Vaters sehen!" Um Dein göttliches Wesen nicht zu verleugnen, hast Du sogar den Tod auf Dich genommen.

Das ist also der Brief. Aber nie war ich so unzufrieden mit dem Ergebnis wie diesmal. Ich habe den Eindruck, daß ich das Wesentliche über Dich nicht gesagt habe, und daß ich das, was ich gesagt habe, besser hätte formulieren müssen. Doch etwas tröstet mich: Es kommt nämlich nicht darauf an, daß jemand über Christus schreibt, sondern daß viele Menschen Christus lieben und ihm nachfolgen.

Und das geschieht - trotz allem — immer noch.

Aus: Ihr ergebener Albino Luciani - Briefe an Persönlichkeiten (Verlag Neue Stadt, München-Zürich-Wien) (Leicht gekürzt)

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