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„Wenn der Hahn kräht…"

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In dem Pariser Theater »Marigny fand vor kurzem die Premiere von Jean Cocteaus letztem Stück, »Bacchus , statt, das eine ähnliche Thematik hat wie Sartres »Le Diable et le bdn Dieu und gleichfalls in der Zeit der deutschen Reformation spielt. Einige Tage später veröffentlichte Franęois Mauriac einen offenen Brief an Jean Cocteau auf den der Angegriffene unter dem Titel »Ich klage an in dem Blatt »France Soir antwortete. Neben der Behauptung, daß seih Stück »zum Ruhme der Kirche geschrieben sei und daß der Dichter mit keiner der auftretenden Personen und ihren Meinungen identifiziert werden dürfe, enthält der Brief von Cocteau leidenschaftliche persönliche Abgriffe gegen Mauriac. Auch wenn wir in Rechnung stellen, daß dieser Disput öffentlich ausgetragen wurde und daß bei beiden eine gewisse Neigung zur Rethorik unverkennbar ist, so bleibt doch der leidenschaftliche Emst bemerkenswert, mit dem in Frankreich — heute wie ehedem — literarische Diskussionen die Form von geistigen Auseinandersetzungen annehmen und von der breiten Öffentlichkeit mit allergrößtem Interesse verfolgt werden. — Wir veröffentlichen nachfolgend den Brief Franęois Mauriacs, der im »Figaro Littėraire vom 29. Dezember erschienen ist, in der Übersetzung durch das Centre d’Information.

»Die Österreichische Furche

Lieber Cocteau!

Glaube den Zeitungen nicht: ich war nicht erzürnt, als ich neulich abends das Marigny verließ. Ich tobte nicht. Ich war nur traurig, daß ein voller Saal, in dem sich ganz Paris zusammendrängte, ohne einen Schrei diesem als Bischof verkleideten Schauspieler zuhören konnte, der sich der Worte des »Vaterunsers bediente, um ihn zum Lachen zu bringen.

Ich hatte Mitleid mit uns allen, und vor allem mit Dir. Fürchte nichts, ich schreibe das nicht, um Dir weh zu tun. Dir weh zu tun, wäre so leicht! Zu leicht! Wie sollten wir nicht unsere Schwächen und unsere Stärken kennen, wo wir doch seit vierzig Jahren in den Logen wie in der Manege dem gleichen Zirkus angehören? Nun ist es bald ein halbes Jahrhundert, daß ich Deiner Nummer zuschaue. Du hast mehr als einen Tridc in Deinem Repertoire, aber ich kenne sie alle. Du bist das härteste Geschöpf Und zugleich das zarteste. Deine Härte ist die des Insekts, Du hast seinen widerstandsfähigen Panzer; vorausgesetzt, daß man nicht zu fest darauf drückt… Aber nein, ich werde nicht darauf treten.

Man erkennt einen Menschen nie ganz. Was bleibt noch von Dir, wenn Du einmal jene letzte Maske abgestreift hast, von der Nietzsche spricht? Die Dich lieben, lieben nicht Dich, die Dich hassen, hassen nicht Dich, sondern einen Seiltänzer. Und doch fühlte ich unlängst im Marigny nur zu gut, daß ich um den wahren Cocteau litt, den unsichtbaren, den uns allen unbekannten Cocteau, den aber Gott kennt und Gott liebt…

Wir leben in der Epoche des Schlagwortes, daß „Gott tot ist“. Diese Idee liegt in der Luft, und Du hast Dein Leben dämit verbracht, Luftzüge zu erhaschen. Jetzt oder nie ist es an der Zeit, mit: diesen Toten abzurechnen und vor allem mit der alten, lästigen, geschwätzigen Kirche, die uns immer mit ihren Jenseitsgeschichten erschrecken will, dieser Kirche, der es noch lange Zeit, nachdem wir sie verlassen haben, gelingt, uns jeden Spaß zu verderben, die nicht müde wird, an die Wand des Festsaales mit ihrer alten Hand und den gichtigen Fingern den Namen dessen zu schreiben, der über allen Namen steht. Das Kind Cocteau j stampft mit dem Fuß. »Es gibt keine Hölle! Es gibt keine Hölle!“ Es gibt keine Hölle, da es kein Gericht gibt, es gibt kein Gericht, weil es keinen Gott gibt. Sartre hat es nach vielen anderen, die auch nicht die ersten waren, bewiesen.

Sartre, so erzählen uns die Journalisten, saß inmitten der Menge und frohlockte, während Cocteau seine alte Mutter an die Säule des Marigny band. Und drei Stunden hindurch hat er sie verhöhnt.

Ja ich weiß es wohl, es handelt sich um die Kirche der Renaissance, jene heidnische, simonische Kirche, für die die lutherische Häresie die gerechte Strafe war. Du hättest ihre Schandtaten än- prangern können, ohne daß es mich auch nur einen einzigen Augenblick gestört hätte. Als Bernanos, und mit welcher Leidenschaft, gegen den spanischen Episkopat während des Bürgerkrieges loszog, wem wäre es da eingefallen, daß damit die heilige katholische Kirche gemeint sein könnte …?

Die Anwesenheit eines einzigen wirklichen Heiligen oder einfach eines echten Christen im Stück hätte schon genügt. Glaubst Du denn, daß es im 16. Jahrhundert keine Heiligen auf Erden gab?

Du hast der Kirche die Gestalt eines possenhaften Bischofs und die eines politisierenden Kardinals annehmen lassen, was in meinen Augen noch schlimmer ist. Nicht sie trifft Dein Gespött, sondern die Seele der Kirche selbst…

Ein Journalist war erstaunt, daß ich so böse auf „Bacchus“ reagierte, während mich das Stück von Sartre kalt gelassen hatte. Es ist wahr, daß mich »Le Diable et le Bon Dieu“ nicht beleidigt hat. Ein Atheist bringt mühsam die Gründe seines Atheismus auf die Bühne. Wir erwarten von ihm nichts anderes, und was hätte er uns schon anderes geben können? Dazu können wir nur wiederholen, was Pascal darüber sagt: „Sie lästern, was sie nicht kennen.“ Alle Pfeile Sartres verlieren sich im leeren Himmel. Wen sollten sie auch erreichen, wenn sich niemand dort befindet? Ich füge hinzu, daß Sartre nur scheinbar scherzt. Ernste Dinge behandelt er ernst. Wir sind, gelinde gesagt, keine Freunde. Wenn ich aber sein Stück in Zusammenhang mit Deinem erwähne, ist mir, als ob ich ihm unrecht täte. Ich spreche hier kein literarisches Urteil aus. Was „Bacchus“ wert ist, sollen andere entscheiden. Ich wollte nur sagen, daß Sartre als Dramatiker sein Problem umkreist, es darstellt, indem er von den Daten ausgeht, über die er verfügt, und auch von den Kenntnissen, die er besitzt. Um in seiner Sprache zu sprechen, Sartre ist kein »Schurke“. Du natürlich auch nicht. Wahr ist immerhin, daß Du vom ersten bis zum letzten Satz einen hämischen Versuch anstrebst Du versuchst, eine Macht verächtlich, lächerlich und verhaßt zu machen, von der Du Dich ständig gerichtet fühlst…

Ich weiß nicht, was die Hölle ist. Aber ich weiß, daß unsere Seele wieder von uns zurückverlangt wird. Ich weiß, daß wir uns zugrunde richten können und auch unsere Brüder und daß dieser Ruin darin besteht, daß man für ewig von der ewigen Liebe getrennt ist. Das lehrt uns die Kirche und schenkt uns zugleich jenen nie versiegenden Schatz: die Gemeinschaft der Heiligen. Daß in einer Zeit — in jener, die Du Dir aus der Geschichte der Kirche ausgewählt hast, weil dies eine alte Narbe ist, die immer leicht von neuem geöffnet und zum Bluten gebracht werden kann — daß also im 16. Jahrhundert verschwenderische Päpste, simonische Pfarrer das, was sie umsonst bekommen haben, zu barer Münze prägen ließen, ändert nichts an jenem geheimnisvollen Austausch der Gnaden und Verdienste, der im Zeichen der Erlösung das Reich der Seelen regiert.

„La femme frone' für die heilige katholische Kirche, auf diesen Einfall bist Du stolz. Das nenne ich brav gespuckt. „La femme tronc“? Glaubst Du, daß sie im Leben das widerliche Antlitz hat, das ihr Pierre Bertin verleiht? Nein, sie hat dieses arme und reine Gesicht eines Vikars Deiner Pfarre, und den hast Du unwissend geohrfeigt. Es ist der Arbeiterpriester in Vincennes. Sie macht jeden Tag im Gewand einer kleinen Assumptionistin den Haushalt der Armen. Das „amputierte Bettelweib ist auch jene Frau mit der weißen Haube, die der heilige Vinzenz allen Kranken auf Erden als Schwester gegeben hat. Und wer bist Du schon, Saß Du Dich gegen sie auflehnen kannst?

„La femme tronc“, warum auch nicht? Ist doch die Kirche die Sammelbüchse der Armen, zu denen wir gehören, Du und ich. Ein Rumpf? Das heißt die Brust, in der das Herz schlägt, das die Lanze durchbohrte. An dieser Quelle hast Du Dich gelabt an jenem Morgen des Jahres 1926. (Datum der Konversion Cocteaus. Anm. d. Redaktion.) So alt Du auch werden magst, der Tag ist nicht mehr fern, wo wirklich wieder Engel um Dich stehen werden, weil das Seil, worüber Du seit Jahren tanzend schreitest, sich in der Nacht der Agonie verlieren wird. Dann möge die „Bettelfrau“ ein letztes Mal in Dein Zimmer treten in der Gestalt eines Priesters, der Dich von Deinen Sünden losspricht. „Um die Stunde des Christus-venit, wenn der Hahn kräht…“ Der Hahn wird krähen und an der Brust seines Herrn wird Harlekin bitterlich weinen.

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