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Die PilgerscJiaft nach dem Absoluten

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Der Freiburger Schriftsteller zeigt in seinem Roman „La Cite de l'Ouest“ (Editions St-Paui, Fribourg-Paris) den Weg eines jungen Menschen aus dem Genf der zwanziger Jahre, der aus bürgerlicher Sattheit und Enge zur Weite der katholischen Kirche findet. Des Verfasseis eigener Weg mag zugrunde liegen. So begegnet der unentschlossene Akademiker in Paris erstmals dem katholischen Geiste.

Louis Vial, in der Auvergne beheimatet, stand am Ende seines Medizinstudiums, als ich ihn kennenlernte. Er war der Action fran9aise sehr verbunden, ohne jedoch ein Fanatiker zu sein. In einzigartiger Freiheit kritisierte er sogar bei Gelegenheit politische und philosophische Anschauungen, für die sich seine Freunde einsetzten, auch wenn sie von Maurras herrührten, dem großen Führer“, wie er ihn nannte.

An jenem Abend hatten wir unser Essen in einem kleinen Restaurant der Rue du Bac eingenommen. Vial trank sein Glas leer, bestellte einen Kaffee und begann ohne Umstände jene Auffassung zu verurteilen, die das Politische über alles stellte:

— Du wirst begreifen, mein Lieber, sagte er mir in vertraulichem Ton, daß ich meinen Freunden hart zusetze, indem ich immer wieder behaupte, dies sei der größte Irrtum in der Lehre von Maurras. Und Gott weiß, wie sehr ich Maurras bewundere! Er ist einer der bedeutendsten Männer unserer Zeit, der es so sehr an gewichtigen Denkern fehlt... Aber er mag mit seiner verdammten Logik hundertmal argumentieren, um uns zu überzeugen, daß die „Politik über alles“ eine Lebensnotwendigkeit für den sei, der den Staat auf gesunder Grundlage neu bauen wolle. Unter uns Katholiken der Action fianjaise wächst der Widerstand zu sehends.

“ Ohne Zweifel, fuhr er fort, indem er das Spiel des aufsteigenden Rauches an der Decke verfolgte, geben sich die meisten unserer Freunde keine Rechenschaft von der Gefährlichkeit dieser Behauptung, die dem Agnostizismus entspringt, an den sich der „große Führer“ mit der genzen Energie eines verspäteten Comte-Schülers klammert. Wenn sich jene Freunde, die Maurras so weit zu folgen vermögen, aus der Verlegenheit helfen, indem sie Machiavelli und Thomas von Aquin durcheinanderwerfen, so ist das ihre Sache. Wir aber, die den Glauben haben und nur eine Monarchie annehmen, die aus dem Geiste des heiligen Ludwig lebt, antworten ihm: Vor allem das Geistliche, denn nach unserer Überzeugung liegt darin die einzige Bedingung zum Heile Frankreichs und der Welt.

Vial klopfte mir freundschaftlich auf die Schultern. Es ergriff mich seltsam, wie er da seine tiefsten Gedanken einem Freunde gegenüber offenbarte, der nicht seinen Glauben teilte — er wußte das — und den er erst seit kurzem kannte. Mit außergewöhnlicher Leidenschaftlichkeit sprach er weiter:

— Willst du meinen Standpunkt begreifen, so mußt du einen Schriftsteller lesen, den du wohl nicht kennst, den zu entdecken ich dir aber gerne helfen will. Hast du schon von Leon Bloy gehört, dem gewaltigen Verfasser der „Armen Frau“ und des „Verzweifelten“, um nur die beiden Romane zu nennem, die den Schlüssel zu seinem Gesamtwerk bilden? Sicher hast du nie auch nur eines seiner Bücher aufgeschlagen, sonst hättest du schon von ihnen gesprochen.

Niemand hat unsere Demokratie, besser gesagt: jene Demokratie, die uns seit 50 Jahren erniedrigt, mehr angepöbelt als eben dieser Leon Bloy. Und mit welcher Kraft, mit welchem Stilaufwand! Maurras und sogar Daudet erscheinen fad an seiner Seite, und das sagt wohl alles ... Der alte Bloy hat es eben erfaßt, daß man den tödlichen Irrtümern, in denen wir leben, nur eine absolute Wahrheit entgegensetzen kann, die alle Gebiete menschlichen Denkens und Tuns umfaßt.

Noch weiter sprach er und lud midi ein, nächsten Sonntag mit ihm zum Grabe Bloys nach Bourg-la-Reine zu pilgern. Um zwei Uhr früh“ trennten wir uns. Als ich vormittags erwachte, fand ich schon ein Paket vor, das den ersten Band von Bloys Tagebüchern enthielt, den ich alsogleich buchstäblich verschlang, ohne allerdings vorbehaltlos allen Äußerungen des Verfassers zuzustimmen. Was mich vor allem verwirrte, war das Dilemma, vor das Bloy seine Brüder in Christo stellt: es sei unumgänglich zu wählen zwischen dem Absoluten und seinen furchtbaren Forderungen, das einzig dem Evangelium entspreche, und dem Relativismus der Mehrzahl unserer Zeitgenossen, mögen sie nun Christen, Skeptiker oder Ungläubige heißen. Diesen Relativismus zeigt er als die Ursache aller modernen Katastrophen, derer, die wir schon erlebt, und derer, die uns noch bevorstehen. Konnte ich mich nun dieser Wahl noch entziehen, auf halbem Wege neutral stehenbleiben? Es drängte mich, Vial diese innere Unruhe zu erschließen, die aus meiner ersten Begegnung mit Bloy erwachsen war. Ich sollte ihn ja am Abend in einem Cafe bei der Madeleinekirche treffen. Er lächelte und sagte liebevoll:

— Wie freut es mich, daß dich diese Lektüre so beschäftigt, deren Wirkung auf dich — jetzt darf ich es sagen — ich etwas befürchtet habe. Einmal bist du nicht katholisch, außer vielleicht durch Begierde — langsam und deutlich sagte er diese Worte und sah mir dabei in die Augen —, und Leon Bloy ist wie ein 6ehr starker Alkohol, an den sich sogar starke Mägen anfänglich nur mühsam gewöhnen. Erschrick also nicht, wenn du nicht alles ohne weiteres verstehst, wenn dir das eine oder andere mit deinen gegenwärtigen Anschauungen unvereinbar scheint! Ich habe Vertrauen in dich; du bist offen und hochherzig, du bist fähig zu erfassen, was groß und edel ist, was die alltäglichen Sorgen der Menschen übersteigt, unter denen zu leben wir verurteilt sind. Wenn du mehr gelitten hast, wirst du eines Tages begreifen, was ein Bloy auf der christlichen Ebene bedeutet; du wirst vor einem mystischen Abgrund stehen und die prophetische Bedeutung seiner Anpöbelungen erfassen, die jedem Bürger die Haare sträuben, dem bigotten wie dem ungläubigen. Du gleichst diesen Bürgern jedenfalls nicht, die er so hart aufrüttelt, weniger um sie zu ärgern und zu verletzen — was man nicht zu verstehen vorgibt — als vielmehr, um sie aus ihrem Todesschlaf zu wecken, um ihnen den Schmutz zum Ekel werden zu lassen, den sie so lieben, um desset-willen sie den Lösepreis vergessen, den Christus für ihre armen Seelen bezahlt ...

Begierig lauschte ich Vials Worten. Diese Glaubensglut, der ich erstmals in einem - Menschen meines Alters begegnete, entflammte auch mich. Ich hatte mich also nicht getäuscht, als ich mir von meiner Reise nach Paris eine Offenbarung versprach. Jetzt traf mich der Stoß in einem Augenblick, da ich ihn schon nicht mehr zu erhoffen wagte. Ich beschloß, mir nach meiner Rückkehr in Genf alle Werke Bloys zu verschaffen, die irgendwie aufzutreiben waren. Als ich an diesem Abend durch die erleuchteten-'und belebten Straßen in mein Hote*. zurückkehrte, wiederholten sich in meinem Innern ständig die Worte: Du bist nicht katholisch, außei vielleicht durch Begierde ..

Berechtigte Übertragung aus dem Französischen .

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