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BEKENNTNIS ZUM ABSOLUTEN

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Am 3. November sind seit dem Tode von Leon Bloy fünfzig Jahre vergangen. Der Pilger des Absoluten ist heimgegangen, „„..wie ein Kind, das sich auf eine Reise freut“. Es gab viele Menschen, die ihn mißverstanden, ja sogar verachteten, die ihn und seine absolute Haltung nicht begriffen. Aber er hatte auch viele Freunde, die ihn bewunderten und liebten. Er erwiderte diese Liebe ganz, vorbehaltlos. Er wollte nicht bewundert werden, aber wer ein Buch von ihm gelesen hatte und an seiner Türe anklopfte, wurde freundlich aufgenommen. Bloy war kein Priester, aber als Christ lebte er konsequent das Christentum in einer Welt, aus der Gott schwand. Immer mehr Menschen fanden den Weg zu Bloy. Seine geistige Familie lebt in allen Weltteilen, in vielen Orten, vielen Universitäten und überall in der Hierarchie der Kirche. Ganz besonders aber umfing seine Liebe die erwachsenen Patenkinder, wie Jacques und Raissa Maritain.

Wo alber liegt das Geheimnis des Dichters, des Bettlers, des Vielgehaßten? Ganz einfach: im Absoluten. In seinem grenzenlosen Bekenntnis zum Absoluten und Unbedingten. In seiner Absage an den „Bürger“ in uns, der ein Scheinleben lebt in seiner satten Bürgerlichkeit, ohne das wahre Leben zu kennen. Bloy war davon überzeugt, daß man seine Bücher später, vielleicht erst in hundert Jahren, richtig ver-

stehen werde. Er schliefe an einen Freund: „... daß sie (seine Bücher) mit der Heftigkeit des Blitzes in die vom Evangelium des Sports und der Maschine befreiten Geister einschlügen ...“ Sein Leben war eine einzige Auflehnung gegen alles Unechte und Verlogene, Geheuchelte und Verbogene. Dabei ist der Sturm, die Ungeheuerlichkeit seiner Idee nichts Ungewöhnliches; sondern das genaue und konsequent zum Ende durchdachte Evangelium. Aber nicht aliein durchdacht, vielmehr noch blutvoll gelebt. Er war kein abgeklärter Literat. Er war, ein von Leidenschaften gepeitschter und leidender Mensch. Das Leid wurde ihm zur aweiten Natur. In seiner „Exegese der Gemeinplätze“ entwirft er sehr bekannte, aber auch sehr schreckliche Binder. Wir schließen die Augen (wie viele seiner Zeitgenossen) und sagen einfach, sie existieren nicht. „Gemeinplätze“ sind heute in der Zeit des Atoms genauso aktuell, genauso ätzend wirksam wie zur Zeit Leon Bloys.

Eine Exegese sei auszugsweise herausgegriffen: „Ich hab' kein Kleingeld. (Wer von uns, hier und heute, hätte sich nicht auch dieses Gemeinplatzes bedient?) Das ist die Antwort, mit der ein fettigläneender Dickwanst einen Elenden abspeist, der ihn um einen Sou bittet, nachdem er vergeblich zwanzig Franken verfangt hat. Es handelt sich nicht um ein Almosen. Der Bittsteller ist kein Unbekannter, er wird seine Arbeit leisten. Was sag ich, er hat sie schon geleistet, er kann nur den für ihn festgesetzten Ausrzahlungstermin nicht abwarten. Unglücklicherweise ist der Gebotene ein Mann mü .festen Prinzipien', der nie Vorauszahlungen gibt. Darin ist er unerschütterlich. Man kann ein Wunder wirken, aber nicht einen Bürger dieser Art umstimmen. Eher erweicht das Gebet einen starren Leichnam als diese starren Prinzipien. Da der Bittsteller heftig drängt, den Eindruck eines Verzweifelten macht und die Umgebung ziemlich öde ist, unterläßt er es, von seinen Prinzipien zu reden, und begnügt sich mit der Feststellung, er habe kein Kleingeld. .Wollen Sie, daß ich wechseln gehe?' meint der Bittsteller. Welch ein entsetzlicher Vorschlag! Der Bürger glaubt, die Stimme eines Straßenräubers zu hören, der ihn mit dem Tode bedroht. Da kommt ihm ein rettender Einfall. Er erklärt, selber auf dem he'Uerleuchteten Platz, den man am Ausgang der Gasse sieht, sein Geld wechseln zu lassen. Dort angekaminen, übergibt er seinen Begleiter zwei Polizisten. Der Unglückliche wird im Arrest übernachten, soviel ist sicher, und die armen Kleinen, die auf ilhr Abendessen warten, werden ohne dieses und mit klappernden Zähnen zu Bett gehen; und das ist keine Metapher. Wer nie gehört hat, wie kleinen Kindern die Zähne klappern, der kennt die menschlichen Tiefen des Elends nicht. Jener Gerechte afber, befreit und mit sich zufrieden, nimmt einen Wagen, um sein Geld in einem Nachtlokal zu wechseln. Es ist also alles in Ordnung.“*

Bloy litt einen Teil seines Lebens ständig unter dem Druck äußerer Not und wurde, um seine eigenen Worte zu gebrauchen, selber zum „undankbaren Bettler“. Er hat diese wechselvolle Zeit in seinem Roman „Der Verzweifelte“ geschildert. Er war daher unbedingt zuständig, eine Exegese wie die oben zitierte zu schreiben; denn nur was wir am eigenen Leib erleben, wird Wirklichkeit und glaubhaft. Bloy hat mit diesem Roman auf eine Generation wie Georges Barnanos und andere katholische Schriftsteller gewirkt. Nicht wie Schlafpulver, sondern wie Dynamit. Er wurde nicht nur durch seine Schriften wie „Das Blut der Armen“ oder Darlegungen über den Sinn der Geschichte, sondern auch durch seinen ausgedehnten Briefwechsel zum Freund und Führer bedeutender Persönlichkeiten. Raissa Maritain bekennt in ihren „großen Freundschaften“: „Nun, da die Zeit alle Zufälle hat abfallen lassen, kann ich sagen, daß Leon Bloy, für uns und in uns, ob aus der Nähe oder aus der Ferne, stets der Zeuge Gottes gewesen ist. Er äst der große Zeuge für das Absolute, wenn wir die Tafel seiner Absagen betrachten:

Der Heilige Geist:

Macht euch dieser Welt nicht gleichförmig (Rom. 12, 2). Der Dämon:

Man muß mit seiner Zeit und in seinem Jahrhundert leben.

Der Heilige Geist:

Ich bin nicht von dieser Welt (Joh. 8, 23). Der Dämon: Man muß ein Weltmensch sein.“

Wenn wir des Tages der Heimreise Leon Bloys gedenken, so können wir dies nicht tun ohne die Feststellung: „Das Absolute ist eine Reise ohne Rückkehr, und darum haben jene, die sie unternehmen, so wenige Begleiter...“

Es ist so — und dennoch hat Leon Bloy treue Begleiter, überall in der Welt — wenn es auch nur wenige sind.

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