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Brief an einen Freund und Verleger

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Auf den Mut, mit dem Sie zu meinem 60. Geburtstag auf verschiedene Weise mein' Lebenswerk, das vergessen schien, als einziger ans Licht stellten, bin ich Ihnen wohl einen ganz besonderen Dank schuldig. Ich möchte diesen Dank abstatten, indem ich Ihnen meine ausdrückliche freudige Zustimmung ausspreche zu dem großen Mut, mit dem Sie in einer Zeit, die nur das zaghafte Mittelmaß kennen will, das zentrale Werk des Dichters des Unbedingten auch bei uns in Deutschland in den längstverdienten Blickpunkt stellen: ich meine Leon Bloy. Es ist ein Mut, diese Tagebücher („Der undankbare Bettler“, „Tagebuch des Verfassers 1892 bis 1895“, herauszugeben, da doch schon Gregor Heinrich in seiner außerordentlich positiven Wertung Bloys im „Hochland“ (September 1934) die Schwierigkeiten einer „Einführung“ von Bloy betonte wegen „seiner in katholischer Literatur ungewöhnlichen Rücksichtslosigkeit in der Sprache“. Vielleicht werden Sie- um dieses Werk — wie Ich fürchte —' einen ähnlichen Kampf sich zuziehen wie Gertrud von Le Fort mit ihrem „Kranz der Engel“: und womöglich mit ihren neuen, unerhört, kühnen Gedichten.

Leon Bloy, wie er aus dem köstlich ausgestatteten ersten Band seiner Tagebücher spricht, gehört wirklich (trotz seines Mißverständnisses Deutschlands) an die Seite unserer Gertrud von Le Fort und, um es gleich zu sagen, an die Seite Graham Greenes, für den seine englische katholische Mitwelt dasselbe Unverständnis zu haben scheint wie diejenige der Schweiz gegen Gertrud von Le Fort und diejenige Frankreichs ehedem gegen Leon, Bloy. .“; '

Ja, diese drei gehören, wie auch Sie empfinden werden, zusammen. Sie sind wie ein Fanal in dem giftigen Gedämmer unserer Gegenwart, und es ist Leon Bloy mit seiner fast über die Grenzen gehenden Unbekümraerthcit, der dem Sinn dieses Fanals entspricht. Ich meine die Stelle (S, 95/96): .... Juden und Christen ... leben seit mehr als 4000 Jahren' In der Wahnvorstellung eines glanzvollen, allmächtigen Gottes. Ich jedoch sage, es ist unsere Pflicht, alles aufzugeben, alles zu veräußern, zu dem alleinigen Behuf, Almosen zu geben jenem Herrn, welcher nichts sein eigen nennt, nichts vermag, Krüppel ist an allen seinen Gliedern, übel riecht, an allen 'Durig-' statten, .des Morgen- und des AbeftrfläTKiesl nach kärglichem Abfall stochert und seit Ewig-i keiten seine Angst hinausschreit ... Und dar'-, um 1.. verfluche ich die Erfolgborauschten und die Allzuzarten.“

Im Geist dieses kühnen Wor'tos (das unsere heutigen „Erfolgberauschten und Allzuzarten“ schockieren wird) ist das Werk Leon Bloys, Gertrud von Le Forts und Graham Greenes wfe ein Werk (zu dem nun auch in übertäschen-der Verwandtschaft der unerhörte Roman „Das geschändete Antlitz“- des Holländers Dick Ou-wendijk — deutsch Warendorf 1949, I. Schnell — tritt, das, fast Fleisch und Blut von Bloy und Greene, den Augustinischen „Christus deformes“, den „entstellten Christus“, als das innere Antlitz im scheinbaren Glorien-Katholizismus aufdeckt). Vor allem aber gehört wesentlich Paul Claudel dazu, dessen „Soulier de Satin“ mit seiner Szene in St. Nikolaus in Prag so etwas ist wie die Landschaft, in der sie alle vier stehen:, einsame vier, gegenüber der herrschenden Masse in West und Ost.

Es könnte scheinen, wenn wir einmal mit den Augen dieser „Erfolgberauschten und Allzuzarten“ sehen, als ob die furchtbare Realistik eines Graham Greene, das hie und da fast erschreckende Dreinblitzen Leon Bloys und die unbekümmerte Seherklarheit Gertrud von Le Forts und Paul Claudels im Gegensatz stünde zu einer kirchlich-katholischen Weisheit des Maßes. Von diesem Mißverständnis offenbar geleitet, hat sich das Juniheft des „Hochland“ dazu verleiten lassen, die echte Katholizität Graham Greenes der Verwandtschaft mit protestantischem Existentialismus zu verdächtigen (während dasselbe Heft sidi unschuldig zur „Moralischen Aufrüstung“ bekennt, die doch nichts ist als eine neu aufgeputzte Oxford-Gruppenbewegung). — Von demselben Mißverständnis verführt, sind offenbar auch die verschiedenartigen Angriffe gegen Gertrud von Le Forts „Kranz der Engel“ entstanden — anscheinend gelenkt durch pastorale Rücksichten (ohne Instinkt für den tiefen Sinn der Gestalt des Dechanten in diesem Roman). Es ist freilich ein großes Glück, daß ein so unverdächtiger Theologe und Literarhistoriker wie Hubert Becher S. J. in der Wiener Zeitschrift „Wort und Wahrheit“ gerade vom theologischen Gesichtspunkt aus Gertrud von Le Fort bis ins letzte gerechtfertigt hat. Aber Wien scheint für die Schweiz und gewisse deutsche Kreise etwas abseits zu liegen. Ich fürchte, daß Ihre dankenswerte Leon-Bloy-Publikation auch diesem Mißverständnis ausgesetzt sein mag, obwohl das katholische Frankreich längst seine Schuld an ihm wieder gutgemacht hat, vor allem durch das offene Bekenntnis des weisen Kardinals Suhard von Paris zu Leon Bloy.

Gestatten Sie, verehrter Herr Glodc, daß ich Ihnen aus eigener Erfahrung zu diesem Thema etwas erzähle. Es ist nämlich nicht wahr, daß Rom eng ist, sondern es ist wahr, wie Kardinal Newman es einmal ausgedrückt hat und vor ihm der hl. Franz von Sales, daß es außerrömische katholische Kreise sind, die immer wieder Rom zu Eingriffen veranlassen möchten. Ich weiß noch gut, wir Kardinal Frühwirth mir erzählte, daß er seinerzeit im Auftrag von Rom „Jesse und Maria“ von Handel-Mazzetti habe durchlesen müssen, weil deutsche, schweizerische und österreichische katholische Kreise deren Indizierung wünschten. Die Weisheit Kardinal Frühwirths durchschaute, trotz der damaligen Wirrnis des Kampfes zwischen Modernismus und Integralismus, alles, und Handel-Mazzetti war gerettet. Selbst Kardinal Merry del Val, der als Staatssekretär Pius' X. sich lange Zeit durch Monsignore Benignis Doppelspiel hätte täuschen lassen (er hatte römische Akten an Rußland verkauft), war von sich aus, wie ich aus persönlichen Unterredungen weiß, gerade gegenüber den Schriften des damals vielverhetzten Kardinals Newman von einer erstaunlichen Weite und Einsicht. Es setzt sich immer das weise Wort durch: Roma patiens, quia aeterna: Rom kann warten, weil es ewig ist.

So hat Rom auch schließlich immer wieder das Ja gesprochen zu den Gestalten, die in der flammenden Absolutheit eines Leon Bloy, Graham Greene, Gertrud von Le Fort, Paul Claudel der sogenannten tonangebenden „katholischen Welt“ gegenüberstanden: wie eine Jeanne d'Arc gegenüber ihren anscheinend kirchlichen, aber in Wirklichkeit politischen Richtern. So hat Rom — sogar mit der Ehrung zum Kirchenlehrer — einen Johannes vom Kreuz auf. die Altäre erhoben, den die beschuhten Karmeliter in den Kerker warfen nd halb zu Tode mißhandelt hatten, und den die unbrschuhten Karmeliter als lästiges Mitglied in einer unzugänglichen Zelle vergessen ließen. So (beginnt Rom auch ja zu sagen zu Mary Ward, gegen die der Bullensekretär Benedikts XIV. jene Enzyklika veranlaßte (und wahrscheinlich selber schrieb), die das Werk der kühnen Engländerin zerstören sollte. — So steht niemals das Rom des hl. Petrus gegen die Flamme des hl. Paulus (wie sie in Leon Bloy, Graham Greene, Gertrud von Le Fort, Claudel heute echt lodert). Sondern, wenn wir einmal in dieser Sprache bleiben wollen: Petrus und Paulus sind das eine untrennbare wahre Rom (wie ja auch keines der Meßoffi-zien den einen feiert, ohne des anderen zu gedenken).

Das führt mich in ein Letztes: Sie haben den Mut gehabt, meinen Hölderlin zu drucken, in dem ich gegenüber der üblichen Hölderlin-Darstellung den Hymniker eines Deutschland herauszuarbeiten suchte, das auf den Namen Johannes des Apokalyptikers und — in Hölderlins Sicht — entsprechend auf den Namen Asien getauft ist. Ich darf wohl sagen, daß ich mich hier in besonderem Maße eins weiß mit Gertrud von Le Fort, die in ihrem „Reich des Kindes“ (München 1934) einen Mönch sprechen läßt: „... denn immerdar, wenn die Völker des Abendlandes wanken und untereinander zerfallen, so erhebt sich der Sturm aus Asia, also war es, als das Reich der Römer versank, und also wird es sein bis ans Ende der Zeiten.“ Das eben auch ist die Sicht Paul Claudels: in seinem „Soulier de Satin“ und in seinen „Fünf großen Oden“ und seinem wenig bekannten Buch über das Abendland. Hölderlin (und später Donoso Cortez und Nietzsche), Gertrud von Le Fort und Paul Chaudel sind wie eine Prophetie dieser geheimnisvollen Zukunft.

Es ist das Bekenntnis zum Geheimnis des Sacrum Imperium, wie es in meinen letzten Predigten in München umzeichnet war und vordem 1944 in einer Feier in der Kaisergruft von Speyer vor dem Sarge Rudolfs von Habsburg. Ich weiß nicht, ob ich mich genau ausdrücke, aber im Herzen weiß ich, daß das Bekenntnis Gertrud von Le Forts (des Sprosses aus altfranzösischem Geschlecht) zum wahrhaft heiligen Deutschland — in der Einheit ihrer „Hymnen an Deutschland“ und jetzigen Gedichte —, das Bekenntnis Leon Bloys (des scheinbaren Hassers Bismarcks und seines Deutschland) zum absoluten Christentum des Ecce homo — und das gewaltige Bekenntnis Paul Claudels im „Soulier de Satin“ zu der Aufweitimg des Imperium Sacrum zur ganzen Welt — im Herzen weiß ich, daß dies alles ein einziges Bekenntnis ist: Bekenntnis zur eigentlichen Wahrheit der Menschwerdung, wie sie wirklich ist: Gottes Sichtbarkeit allein im Zeichen von Ohnmacht und Narrheit und Schande von Krippe und Kreuz. Insofern dieses Zeichen heute auf der Stirn unseres Deutschland aufleuchtet, ist Deutschland mehr denn je zuvor das Land des Kindes in der Krippe und des Gekreuzigten auf Golgotha.

In dieses Bekenntnis hinein möchte ich auch meinen Hölderlin stellen, weil ich möchte, daß Hölderlin gesehen werde, wie er ist: als der Seher'beutschlands.

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